piwik no script img

Kürzungen bei Kinder- und JugendarbeitAuf dem Rücken der Schwächsten

Die Sparpläne des Berliner Senats betreffen auch die Kinder- und Jugendhilfe. Dagegen demonstrieren Betroffene im Reinickendorfer Jugendhilfeausschuss.

Während der Pandemie geschlossen: dem Wohl von Kindern und Jugendlichen wird keine Priorität eingeräumt Foto: Jens Kalaene/dpa

Berlin taz | „Wir wollen auf Klassenfahrt“ hat ein Jugendlicher auf den Zettel der Girlande geschrieben, der im Sitzungssaal des Jugendhilfeausschusses der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf hängt. Aufgehängt hat sie ei­ne:r der rund 50 Erzieher:innen, So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen und Jugendlichen, die am Mittwochabend bei der Sitzung gegen die Sparpläne des Senats protestieren.

„Seit Jahren diskutieren wir über wachsende Bedarfslage“, sagt Gloria Amoruso von der Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugendförderung, die zu dem Protest vor dem Ausschuss aufgerufen hat. Die freien Träger hätten schon jetzt kaum Ressourcen, um das bestehende Regelangebot umzusetzen. „Jetzt müssen wir so viele Rückschritte hinnehmen“.

Amoruso arbeitet beim Jugendträger Kein Abseits, der einen Jugendclub und Spielmobile betreibt. In Reinickendorf gebe es Wohngebiete, in denen 50 bis 60 Prozent der Kinder von Armut betroffen sind, so Amoruso. Die Kinder dort seien besonders auf die Angebote der Jugendhilfe angewiesen. „Gerade in Gebieten wie dem Märkischen Viertel braucht es auch aufsuchende Angebote.“

Nachdem der Senat vergangene Woche seine 3-Milliarden Sparliste vorlegte, war klar, dass auch auf die Kinder- und Jugendhilfe harte Einschnitte zukommen werden. So werden allein die Zuschüsse für die Jugendarbeit mit 7 Millionen Euro um fast ein Fünftel gekürzt. Bislang ist unklar, welche Projekte und Einrichtungen konkret betroffen sein werden. Das sorgt für Frustration und Verunsicherung bei den Beschäftigten.

Verunsicherung bei den Beschäftigten

„Wir wissen quasi nichts, sollen aber für das kommende Jahr Projekte planen“, berichtet Karsten Hartmann. Der Erzieher arbeitet bei der Kinderfreizeiteinrichtung Kreativfabrik in Reinickendorf. „Die jährliche Zeltfahrt steht in den Sternen, selbst das wöchentliche Kochen steht auf der Kippe.“ Auch die berufliche Zukunft vieler Beschäftigten ist nach Jahresende ungewiss, was die Träger aufgrund der Kündigungsfrist vor Probleme stellt. „Wenn wir schon betroffen sind, wäre es cool, wenn man mit uns spricht“, sagt Hartmann.

Bis das Abgeordnetenhaus den Nachtragshaushalt Anfang Dezember endgültig beschließt, kann sich noch einiges ändern. Dieses Zeitfenster wollen die freien Träger nutzen, um möglichst viel Druck aufzubauen, in der Hoffnung den Kahlschlag doch noch abwenden zu können.

Die Sitzung des Jugendhilfeausschusses ist ein erster Anlaufpunkt, auch auf Bezirksebene Verbündete zu finden. Tatsächlich zeigten sich die Mitglieder des Ausschusses offen gegenüber den Forderungen der Beschäftigten. „Ich verstehe ihr Kommen als Unterstützung“, begrüßt Alexander Ewers die Demonstrierenden während der Sitzung.

Jugendstadtrat zeigt Verständnis

Der SPD-Jugendstadtrat von Reinickendorf verspricht, dass zumindest die vom Bezirk finanzierten Projekte genauso viel Geld erhalten werden, wie im Vorjahr. Für alles Weitere wolle er keine Versprechungen machen. Absehbar sei allerdings eine Übergangsregelung für Mitarbeitende, deren Projekte auslaufen, aber nicht mehr gekündigt werden können. Auch der Forderung der Beschäftigen nach mehr Transparenz stimmt Ewers zu. „Wenn es harte Einsparungen gibt, muss man das rechtzeitig kommunizieren.“

Auch das Motto der Kundgebung „Unkürzbar“ schien der Ausschussvorsitzende Stefan Valentin verstanden zu haben. „Wir müssen sparen, aber nicht im Kinder- und Jugendbereich. Das müssten wir dreifach bis vierfach wieder zurückzahlen“, sagt der SPD-Verordnete.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • In einer Idiokratie ist Bildung halt unerwünscht.