Künstlerin über koloniale Ausbeutung: „Narrative aufbrechen“
Die Künstlerin Nadja Ofuatey-Alazard hilft Bremen beim Dekolonialisieren. Ein Gespräch über Ausbeutung, Aufarbeitung und falschen Stolz.
taz: Frau Ofuatey-Alazard, ist Bremen in Sachen Kolonialismus ein hoffnungsloser Fall?
Nadja Ofuatey-Alazard: Was verstehen Sie unter hoffnungslos?
Naja, ein Projekt der Dekolonialisierung würde gerade hier eine komplette Umwälzung bedeuten: Ist Bremen bereit dafür?
In dem Punkt haben Sie recht: In letzter Konsequenz würde Dekolonialisierung eine vollständige Umwälzung bedeuten. Es beträfe alle während der letzten 500 Jahre gewachsenen Strukturen, materiell wie diskursiv und epistemisch. Dass das auf die Schnelle umsetzbar wäre, ist mehr als unwahrscheinlich. Und es ist zweifelhaft, ob das politisch oder wirtschaftlich gewollt wäre. Aber trotzdem: Bremen ist nicht hoffnungslos.
Warum?
Aus meiner Sicht ist ein Prozess im Gange in Bremen, der gut ist, richtig ist, wichtig ist. Und der eigentlich normal sein müsste: Die AkteurInnen der Stadt fangen langsam damit an, sich mit der kolonialen Vergangenheit zu beschäftigen, ihre Spuren sichtbar zu machen und darüber ins Gespräch zu kommen. Und es gibt auch eine wachsende kritische Masse von außer- wie auch innerparlamentarischer Kontrolle.
Bremen hat erste Schritte dahin früh, eigentlich schon Ende der 1980er, unternommen. Das führt manchmal zu einem merkwürdigen Stolz: Ja, wir haben schon eine Menge geschafft, und dafür wollen wir dann aber auch gelobt werden und durch den Verkauf von dekolonialisierten Marzipan-Elefanten profitieren. Ist das nicht zweischneidig?
Soll ich auf eine zweischneidige Sache jetzt mit einer eindeutigen Ansage reagieren? Soll ich sagen: Von mir kriegt keiner einen Orden, weil er das Normale tut, das Richtige und Anständige – indem er die Leichen im Keller ausbuddelt und anderen Stimmen und Geschichtsnarrativen endlich einen Raum gibt? Oder soll ich das Ganze lieber loben und gleichsam pädagogisch unterstützen? Ich persönlich bin manchmal gleichzeitig in beiden Gefühlslagen unterwegs.
ist Filmemacherin und leitet als Artist in Residence des Uni-Instituts für postkoloniale Studien ein Projekt, das Wege der Dekolonialisieurng erkundet.
Weil dieser fragwürdige Stolz sowohl den unterdrückten und vergessenen Stimmen einen Artikulationsraum schaffen kann als auch in der symbolischen Anerkennung von vergangener Schuld die Unterdrückung und Ausgrenzung fortschreiben …?
Das ist tatsächlich ein Problem des aktuellen Umgangs mit der kolonialen Vergangenheit. Es gibt das Bestreben, diesen Diskurs aus dem Mainstream und seinen Institutionen heraus zu kontrollieren, vielleicht auch zu entschärfen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Stimmen der Betroffenen und der Nachfahren jener Menschen, die koloniale Erfahrungen erlitten haben, aufs neue marginalisiert und ausgeschlossen werden. Das Gros der Institutionen ist durch weiße AkteurInnen dominiert. Kolonialisierte und ihre NachfahrInnen sind kaum präsent. Das schadet einer Binnendemokratie und begünstigt Monologe.
Dann könnte die Aufbereitung den Blick auf gegenwärtige Fortschreibung und Erneuerung kolonialistischer Strukturen verschleiern?
Ja, die Gefahr besteht. Andererseits gibt es – wenigstens in Deutschland – mittlerweile viele andere Stimmen aus aktivistischer, aus afrikanischer, PoC- und aus postkolonialer Perspektive, die laut werden und sich einmischen. Die sind in der Lage, Sand ins Getriebe der institutionellen Aufarbeitung zu streuen.
Dabei scheint mir entscheidend, die Wirtschaft in den Blick zu bekommen: Die hat vom alten Kolonialismus profitiert und ist auch der Motor hinter gegenwärtigen Erscheinungsformen.
Der Kolonialismus hat bestimmte Strukturen auf wirtschaftlicher und auf institutioneller Ebene geschaffen. Diese Entwicklungen sind nicht so leicht umkehrbar. Gerade das ökonomische Machtgefüge ist ein Relikt des Kolonialismus, das erhebliche Auswirkungen auf die Gegenwart hat und die Märkte in den afrikanischen Ländern prägt: Gerade laufen ja wieder Verhandlungen, wenn man sie denn als solche bezeichnen mag, zu den Economical-Partnership-Abkommen zwischen der EU und verschiedenen Staaten Afrikas. Und die sind von knallharten Interessen großer Player der europäischen Wirtschaft bestimmt.
Das als gegeben hinzunehmen, kann doch keine Lösung sein?
Nein, es ist an der Zeit, dass die Vertreter der Firmen und der Wirtschaftsverbände, die Nachfahren der Unternehmen, die vom Kolonialismus schon lange profitiert haben, selbst bevor es ihn in Deutschland formal gab, sich ihrer eigenen Geschichte stellen. Sie müssen sich klar machen, durch welche, „Handelsbeziehungen“ sie hier Reichtum aufgehäuft haben – Handelsbeziehungen natürlich in Anführungszeichen: Mindestens bei der für Bremen so wichtigen Baumwolle sollte jedem klar sein, dass sie im 18. und 19. Jahrhundert in den USA von versklavten Menschen gepflückt worden ist. Es täte der Wirtschaft gut, sich diese Zusammenhänge bewusst zu machen – und einen anderen Umgang damit zu entwickeln. Was auch bedeutet, Geld in die Hand zu nehmen.
Bloß wie bringt man sie dazu? Wieso sollte es sich für die Wirtschaft lohnen, das Ausbeutungsverhältnis, das ihr erlaubt hat, Kapital anzusammeln, infrage zu stellen?
Es muss erst darum gehen, sich der eigenen Verstrickungen bewusst zu werden und sie sichtbar zu machen. Dazu kann und sollte die örtliche Politik einladen – denn zwingen kann man die Unternehmen ja nicht dazu. Es sollte also fürs Erste Foren geben, zu denen auch VertreterInnen der Wirtschaft eingeladen werden. Stichwort: soziales Kapital. Ich hoffe doch sehr, dass es da ein Interesse bei den Unternehmen gibt, einen eigenen Beitrag zu leisten, gerne auch im Rahmen des vom Senat verabschiedeten Bremischen Erinnerungskonzepts.
Danach, wie Dekolonisierung Bremens möglich ist, fragt Ihr Projekt an der Uni …
Ja, das ist ein kollektives Rechercheprojekt: Mir war wichtig, nicht als Artist in Residence hier reinzuschneien und eine Vorgehensweise festzulegen: Ich habe die Studierenden sozusagen ermächtigt, sich ihre eigene Stadt anzueignen auf diesem Weg, von dessen Ziel sie selber auch erst eine Vorstellung entwickeln müssen. Es war ihnen sehr schnell klar, dass es nicht reichen kann, ein paar Straßennamen umzubenennen – auch wenn es elementar wichtig ist, dass in Deutschland Straßen und Plätze nicht weiter das Andenken von Mördern und Gewaltverbrechern wie Karl Peters oder Raffern und Betrügern wie Adolf Lüderitz ehren. Sie fragen sich: Was heißt das darüber hinaus, wo ist Kolonialismus heute noch wirksam, in welchen Diskursen wird er fortgeschrieben? Und sie haben einen persönlichen, teils auch lyrischen, fragenden Zugang gefunden zu dem Thema.
Der künstlerische Zugang ist auch so etwas wie die Signatur Ihres bisherigen Schaffens?
Ja, absolut. Auch wenn mir hier für Bremen eher ein konventionellerer Ansatz vorschwebte, das wollten die Studierenden nicht. Ich glaube fest an die Notwendigkeit von Polyphonie und Pluriversalität: daran, dass es viele Stimmen gibt und viele Perspektiven, die hörbar und sichtbar gemacht werden müssen. Die Single Story, die eine Geschichte, existiert nicht. Und dort, wo ein Geschichtsnarrativ ein Monopol beansprucht, muss es darum gehen, es im Sinne der nigerianischen Autorin Chimamanda Adichie aufzubrechen.
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