Künstler will klagen: „Facebook ist Zwangsarbeit“
Facebook und Co. haben zu viel Macht, findet der Künstler Jonas Staal: Er will vor den UN-Menschenrechtsrat ziehen und die Unternehmen sozialisieren.
![Fassade des HAU in Berlin Fassade des HAU in Berlin](https://taz.de/picture/4081460/14/Kunstler-Facebook-Interviewjpeg-1.jpeg)
taz: Herr Staal, Ihre Kampagne zur Kollektivierung von Facebook wollten Sie eigentlich im Berliner Theater HAU auf dem „Spy on Me #2“-Festival vorstellen. Das Festival wurde aber wegen der Corona-Pandemie abgesagt, stattdessen haben Sie die Aktion online gestartet. Sind Sie damit zufrieden?
Jonas Staal: Die kulturelle Maschinerie ist nicht gerade in dem Zustand, in dem wir sie gerne hätten: Wir müssen uns mit Videochats und schlecht aufgenommenen Livestreams behelfen. Unsere Abhängigkeit von kommerziellen sozialen Medien und Kommunikationsmitteln war ohnehin schon stark. Die Pandemie wäre erst recht eine Chance, diese Abhängigkeit zu hinterfragen.
Als Teil Ihrer Kampagne wollen Sie Facebook vor dem UN-Menschenrechtsrat verklagen. Wie ist Ihre Argumentation?
Das Eigentumsmodell von Facebook verstößt auf eine unverhältnismäßige Weise gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Unsere Klage hat mehrere Unterpunkte: Dass unsere Daten verkauft und von externen Unternehmen verwendet werden, ohne dass wir dafür vergütet werden. Das ist Zwangsarbeit. Oder dass Facebook autoritäre Regimes berät, wie das von Rodrigo Duterte auf den Philippinen. Oder wie Facebook Daten über Menschen sammelt und diese mit Regierungen und Sicherheitsdiensten teilt, was für Aktivist*innen in vielen Ländern lebensbedrohlich ist. Fakt ist: Manche Dinge sind für das Gemeinwohl einfach zu wichtig, um in privater Hand zu sein – wie die Feuerwehr, Abfallbeseitigung oder die Banken nach der Finanzkrise 2008. Facebook gehört dazu.
Facebook ist doch aber eine kommerzielle, freiwillige Plattform. Kann man das wirklich Zwangsarbeit nennen?
Facebook ist unverzichtbar geworden, das sagt auch Amnesty International: Eine zunehmend prekarisierte Arbeiterschaft braucht das Netzwerk, um kulturelles Kapital aufzubauen, um sich beruflich zu vernetzen, um temporäre Beschäftigungsformen zu suchen, um sich als Individuum, als Produkt zu verkaufen, aber auch, um einfach miteinander zu kommunizieren und zu organisieren. Insofern ist es eine notwendige Bedingung unseres Lebens, aus der Profit geschlagen wird, für die wir aber nicht vergütet werden. Es kann daher als nichts anderes als eine Form der Zwangsarbeit interpretiert werden.
Warum haben Sie und ihr Projektpartner, der Anwalt Jan Fermon, den Menschenrechtsrat der UN für Ihre Anklage gewählt?
geboren 1981 in den Niederlanden, ist Künstler und Wissenschaftler. 2019 erschien sein Buch „Propaganda Art in the 21st Century“. Darin untersucht er Formen von Propaganda von Alt-Right bis zum Islamischen Staat. „Facebook Kollektivieren“ ist sein drittes Projekt am Berliner HAU: 2017 leitete er das „New Unions“, wo emanzipatorische politische Plattformen alternative Visionen für Europa präsentierten. Jonas Staal lebt in Rotterdam und Athen.
Das Problem bei nationalen Gerichten oder dem Europäischen Gerichtshof ist, dass man im besten Fall nur zusätzliche Maßnahmen zur Kontrolle über Facebook erwirken könnte. Wir wollen aber das Eigentumsmodell von Facebook grundsätzlich infrage stellen. Dafür braucht man das größtmögliche politische Organ, das in der Lage ist, Facebook radikal als Gemeingut zu rekonzeptualisieren.
Warum Facebook und nicht Amazon oder Alphabet?
Wenn der Launch im HAU wie geplant stattgefunden hätte, hätten wir vor einem Banner gestanden, auf dem zu lesen wäre: „Collectivize Amazon, Alphabet, Apple, Microsoft, Bayer und Co.“ Facebook ist lediglich eine der vielen Fronten, wenn es darum geht, „Corporate Infrastruktur“ zu reklamieren und als Gemeingut anzuerkennen.
Wollen Sie den Kapitalismus abschaffen?
Genau das. Es hat noch nie so viele Sozialist*innen gegeben wie in Zeiten des Coronavirus: Plötzlich will jede*r universelle Gesundheitsversorgung, gut bezahlte Pflegekräfte, das bedingungslose Grundeinkommen. Gerade in diesen Krisenmomenten berufen wir uns als Gesellschaft auf das hohe Ideal der Solidarität. Uns ist es aber hier wichtig zu betonen: Wir wollen Facebook nicht verstaatlichen, was ja die Idee eines real existierenden Staatssozialismus hervorruft. Wir wollen Facebook kollektivieren. Wir wollen es vergesellschaften, damit es den Nutzer*innen gehört. Wir wollen soziale Medien sozialisieren.
Nach Corona wird die globale Wirtschaft vermutlich sehr anders aussehen. Welche Rolle wird Big Data spielen?
Eine zunehmend bedrohliche Rolle. Die Krise ist schon ein großer Moment für Pharmariesen und die Überwachungsindustrie gewesen. Dieser Ausnahmezustand hat es ermöglicht, dass die Gesundheit und Bewegung von Menschen auf beispiellose Weise überwacht werden. Nach der Pandemie werden diese Daten in einigen Staaten wahrscheinlich weitergesammelt – und das könnte für manche Menschen lebensbedrohlich sein. Daher brauchen wir mehr denn je neue gemeinschaftliche Regierungsformen.
Die Krise als Chance?
Diese Pandemie ist noch relativ kontrollierbar im Vergleich zu künftigen Katastrophen. Die Klimakrise wird riesige Ernteausfälle und die Flucht von Millionen von Menschen verursachen. Wenn wir in der aktuellen Krise nicht fähig sind, auf eine solidarische Weise zu agieren, dann stellen Sie sich mal vor, wie es bei der nächsten aussehen wird. Daher müssen wir neu überlegen, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen. Das könnte jetzt eine Chance sein, die Luftfahrtindustrie zu vergesellschaften oder unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden. Wir sind mit einem System konfrontiert, das als bestes aller möglichen Systeme präsentiert wird. Doch es ist so unglaublich fragil.
Sie sind Künstler, kein Anwalt, und wollten Ihre Kampagne nicht an einer Uni oder bei einer Denkfabrik vorstellen, sondern in einem Theater.
Wir haben uns den Launch als ein alternatives Volkstribunal vorgestellt. Für mich ist das Theater ein Ort der Imagination, der kollektiven Kreativität, wo wir versuchen, unsere Einbildungskraft zu beeinflussen, zu inspirieren, zu agitieren. Die eine Seite der Kampagne ist sehr konkret: Wir werden unsere Klage beim Gericht einreichen. Diese Seite basiert auf kritischer Auseinandersetzung und Argumentation. Aber die andere Seite beschäftigt sich mit der Zukunft. Diese Zukunft wird erst möglich, wenn wir sie uns vorstellen können. Für eine emanzipatorische Politik ist das allerdings immer schwieriger geworden. Wir haben uns an Niederlagen und ans Scheitern gewöhnt. Die Kunst aber kann sich vorstellen, dass wir gewinnen. Sie hilft uns, unsere Fantasien zu befreien und darüber nachzudenken, was für eine Welt wir durch diesen kollektiven Sieg bauen könnten.
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