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Kruzifix-Streit vor GerichtLanger Kampf um ein Symbol

Der Europäische Gerichtshof verhandelt darüber, ob Kreuze in Schulen eine Verletzung der Menschenrechtskonvention sind.

Müssen europäische Staaten in religiösen Fragen neutral sein oder dürfen sie religiöse Symbole als Ausdruck ihrer nationalen Identität benutzen? Bild: dpa

STRASSBURG taz | Die Frage berührt das in Jahrhunderten gewachsene Selbstverständnis des christlichen Abendlandes. Müssen europäische Staaten in religiösen Fragen neutral sein oder dürfen sie religiöse Symbole als Ausdruck ihrer nationalen Identität benutzen? Darüber verhandelte am Mittwoch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Konkret ging es um Kruzifixe in italienischen Schulen, doch die Bedeutung des Falles reicht weit darüber hinaus.

Ausgelöst hatte den Rechtsstreit die italienische Mutter Soile Lautsi. Sie verlangte 2001, dass in den Schulräumen ihrer zwei Söhne, damals 11 und 13 Jahre alt, die Kruzifixe abgenommen werden. In Italien besteht eine Regierungsempfehlung, ein Kreuz im Klassenzimmer aufzuhängen. Die konkrete Entscheidung treffen aber lokale Schulbehörden. Doch Lautsis Aufforderung fand kein Gehör, weder bei den Behörden noch bei den italienischen Gerichten.

Erst beim Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte hatte sie im letzten November Erfolg. Der Staat sei im Bereich der öffentlichen Erziehung zu Neutralität und Pluralismus verpflichtet, so die Straßburger Richter. Kruzifixe in öffentlichen Schulen verstießen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die 47 Staaten unterzeichnet haben. Doch Italien legte Rechtsmittel ein. Jetzt muss die mit 17 Richtern besetzte Große Kammer des Gerichtshofs entscheiden.

"Hier wurden keine Menschenrechte verletzt", betonte Nicola Lettiere, der Vertreter Italiens, "das ist vielmehr eine politische und ideologische Frage." Er bezeichnete die Klägerin als "militante Atheistin", die der Gesellschaftsmehrheit ihren Willen aufzwingen wolle. Das Kreuz sei ein "volkstümliches Symbol", das zur Identität Italiens gehöre. Es diene nicht der Indoktrination oder Missionierung der Kinder, es sei vielmehr ein "stummes Symbol", das keinen Einfluss auf den Unterricht habe. "In Italien kann auch ein atheistischer Lehrer oder eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch in einem Klassenzimmer mit Kruzifix unterrichten", erklärte der Regierungsvertreter.

Die Vertreter der Klägerin halten das Kreuz dagegen vor allem für ein religiöses Zeichen. "Wer ein Klassenzimmer mit Kruzifix sieht, kann den Eindruck nicht vermeiden, dass sich der Staat mit dem katholischen Glauben identifiziert", sagte Anwalt Nicolo Paoletti. Er berief sich auch auf die klare Trennung von Kirche und Staat, die in der italienischen Verfassung garantiert ist. "Im italienischen Verfassungsgericht hing bis 2001 ein Kreuz, dann haben es die Richter entfernt, weil es dem säkularen Charakter des Staates widerspricht", erinnerte der Anwalt.

Die aus Finnland stammende Soile Lautsi war in Straßburg nicht erschienen. Sie will aus Furcht vor Anfeindungen nicht öffentlich auftreten und fotografiert werden. Ob sie tatsächlich Atheistin sei, wollte ihr Anwalt ausdrücklich offen lassen. "Das ist hier irrelevant", sagte er, "sie könnte Jüdin sein, Protestantin oder ungläubig, es geht hier um die Neutralität des Staates."

Gegen eine staatliche Neutralitätspflicht argumentierte jedoch der renommierte New Yorker Rechtsprofessor Josef Weiler, der in Straßburg großen Eindruck hinterließ. Er vertrat die Interessen von zehn Staaten, die Italien unterstützten, darunter Russland, Griechenland und Rumänien. "Die Trennung von Kirche und Staat gilt bisher nur in einem Teil Europas, rund die Hälfte der Bürger leben aber nicht in laizistischen Staaten." Sein Musterbeispiel war England. "Dort gibt es eine Staatskirche, die Queen ist als Staatsoberhaupt zugleich Oberhaupt der anglikanischen Kirche, und in der Nationalhymne heißt es ,God save the Queen'." Letztlich gehe es um nationale Identitäten, die nicht zentral vom Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte vorgegeben werden sollten. "Frankreich mit Kruzifixen ist nicht mehr Frankreich. Italien ohne Kruzifixe ist nicht mehr Italien", proklamierte der jüdische Professor, der mit Kippa auftrat.

Das Straßburger Urteil wird erst in einigen Monaten verkündet. In Deutschland hatte 1995 das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Staat Kinder nicht verpflichten kann, "unter dem Kreuz" zu lernen.

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12 Kommentare

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  • P
    Peter

    In Zeiten wo muslimische Schüler Gebetsräume einklagen können sollte man wegen einem Stück Holz an der Wand nicht so einen Wind machen.

  • RM
    Reiner Moysich

    Kreuze in staatlichen Schulen: klar menschenrechtswidrig

     

    Die italienische Regierung, christlichen Kirchen und Parteien wollen weiterhin ihre egoistischen Privilegien aus dem Mittelalter erhalten.

    Sie wollen die Entscheidung der ersten Instanz des Europäischen Gerichtshofs nicht akzeptieren, obwohl sie nur Selbstverständliches für die heutige Zeit feststellte: dass "Religionsfreiheit" auch automatisch das Recht bedeutet, frei von Religionen und seinen Symbolen sein zu dürfen, speziell in staatlichen schulischen Einrichtungen!

    Es entspricht der allgemein bekannten Vorschrift, dass keine der ca. 4000 religiösen oder nichtreligiösen Weltanschauungen vom Staat bevorzugt oder benachteiligt werden darf.

     

    Dass Kreuze in Klassenzimmern keineswegs traditionelle, sondern eindeutig religiöse Symbole sind, hatte übrigens schon früher das deutsche Bundesverfassungsgericht dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber unter Beifall der Kirchen klargemacht.

    Nun wird der Europäische Gerichtshof selbstverständlich den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi in der gleichen Art belehren (der Vatikan kann nicht widersprechen).

     

    Die Religionen sollten endlich anerkennen, dass die universellen Menschenrechte über(!) allen Religionen stehen - nur dann kann es mehr Frieden unter den seit sehr langer Zeit sich bekriegenden Religionen (mit bisher schon vielen Millionen Toten) geben!

  • H
    Heidi

    @Sepp Schilehrer:

     

    Minarette sind aber doch eine religiöse Einrichtung. Sie sind dafür da, diejenigen, die WOLLEN in der Religion zu Unterrichten. Die Christen nennen sie Kirche- und es gibt 'ne ganze Menge davon!

     

    Die Schule unterrichtet alle (Schulpflicht) und ist für die Allgemeinbildung zuständig.

     

    Werfen Sie nicht 2 unterschiedl. Dinge durcheinander!

  • FN
    Floda Nashir

    @Thomas Krug:

    Das Hobby "Nicht-Briefmarkensammeln" ist köstlich - vielen Dank für die Bereicherung der Argumentationsbasis.

  • SS
    Sepp Schilehrer

    Also ich fasse zusammen: Minarette sind ok, das Kreuz in der Schulklasse ist ganz bööööse?

     

    Du armes abendländisches Europa - dem Untergang geweiht!

  • UH
    Uwe Hebel

    @Max: Ein Einstieg der Pastafarians in die Diskussion ist dringend erforderlich! Jeder von uns sollte sich die Frage stellen, "What Would A Pirate Do?"

  • M
    Max

    Man könnte sich ja darauf einigen dass das Kreuz hängen bleiben darf wenn auch ein gleich froßes Fliegendes Spaghettimonster daneben gehängt wird.

  • HS
    Homo sapiens sapiens

    Unter dem Aspekt der Verblödungs- und Verbrechensprävention sollten eigentlich ALLE sog. Religionen weltweit verboten werden. (Falls es doch eine gibt, in deren Namen noch nie Mord, Totschlag und/oder Unterdrückung verübt wurde, bitte ich um Verzeihung.) Mangels Durchsetzbarkeit aber: Verbietet wenigstens jeglichen Missionarismus, dieses krankhafte Bedürfnis vieler geifernder Fanatiker aller Couleurs, allen vorschreiben zu wollen, was sie zu glauben haben, und natürlich die zugehörigen Symbole!

     

    Aber selbst im Fall einer rationalen Entscheidung wird der EuGH wohl leider nichts bewirken - außer vielleicht, dass sowas wie CSU und "Geistes-"verwandte wieder eine große Demo zelebrieren.

     

    @Thomas Krug:

    Das Hobby "Nicht-Briefmarkensammeln" ist köstlich - vielen Dank für die Bereicherung der Argumentationsbasis.

  • L
    Luftikus

    @Freischreiber: Klar... ne kahle Wand steht für Atheismus, ist ja eigentlich völlig offensichtlich. Von daher sollte vielleicht eher die katholische Kirche klagen - drei freie Wände und nur eine mit Kreuz, das kann doch nicht sein, da wird der Atheismus ja jetzt schon übermäßig bevorzugt m(

     

    Den Unterschied zwischen "ist nicht verboten" und "muss unbedingt hängen bleiben" solltest du dir vielleicht auch noch mal zu Gemüte führen.

  • TK
    Thomas Krug

    Von Freischreiber: "Wenn ein Staat religiös u n d w e l t a n s c h a u l i c h (GG!) neutral ist, darf er nicht parteiisch zu Gunsten der Weltanschauung des Atheismus entscheiden"

     

    Dass der Atheismus immer wieder von religiösen Menschen als Weltanschauung bezeichnet wird, zeigt wie schwierig es doch für diese ist, außerhalb von religiösen Denkmustern zu urteilen. Wer käme schon auf die Idee, Nicht-Briefmarkensammeln als Hobby zu bezeichnen?

     

    Weiter Freischreiber:

     

    "Ohnehin darf die bildhafte Darstellung eines Ereignisses von weltgeschichtlicher Bedeutung, und das ist die Kreuzigung Jesu für alle..."

     

    Die Kreuzigung und Jesus selbst sind keine historisch gesichterten Tatsachen.

     

    Gruß Thomas

  • JM
    Jens Marder

    Nehmt es raus, lasst es drin, mir egal.

     

    Aber tut bitte nichts auf Anordnung der faschistoiden EU.

     

    Wir dürfen diese Faschos nicht auch noch ermutigen.

  • F
    Freischreiber

    taz.de stellt folgende fehlerhafte Frage:

     

    "Müssen europäische Staaten in religiösen Fragen neutral sein oder dürfen sie religiöse Symbole als Ausdruck ihrer nationalen Identität benutzen?"

     

    Wenn ein Staat religiös u n d w e l t a n s c h a u l i c h (GG!) neutral ist, darf er nicht parteiisch zu Gunsten der Weltanschauung des Atheismus entscheiden.

     

    Vielmehr ist ein schonender Ausgleich zu suchen, z.B. das Jesusdenkmal im Klassenzimmer in einvernehmlicher Größe und seitlich anzubringen.

     

    Ohnehin darf die bildhafte Darstellung eines Ereignisses von weltgeschichtlicher Bedeutung, und das ist die Kreuzigung Jesu für alle, auch in staatlichen Bildungsstätten nicht verboten werden. Es sei denn, wir leben in einer Pseudodemokratie.

     

    Dann ist auch bald mit der ausschließlich negativen Presse- und Meinungsfreiheit jeder noch so kleinen Minderheit zu rechnen, die sie allen anderen aufzwingt. Als "Minderheitenschutz".