Kritik zu „Correctiv“-Recherche: Peinliches Penisfechten
Eine „Correctiv“-Recherche zum Treffen rechter Kräfte wird nun kritisiert. Doch eine ehrliche Debatte über journalistische Praxis sieht anders aus.

K urz fühlte es sich so an, als würde es sich jetzt wirklich etwas verändern. Anfang des Jahres gingen Hunderttausende trotz Eiseskälte gegen Rechts auf die Straße. Und das schien sogar Wirkung zu zeigen: Die Umfragewerte der AfD sanken.
Ausgelöst wurde der Massenprotest von dem Correctiv-Text „Geheimplan gegen Deutschland“. Darin geht es um ein Treffen zwischen AfD-Politiker_innen, Neonazis und Unternehmer_innen in Potsdam, wo Martin Sellner einen „Remigrations“-Plan vorgestellt hat. Der Rechtsextremist sprach davon, bestimmte Menschen aus Deutschland ausweisen zu wollen: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“.
Die Pläne waren weder ganz neu noch unbekannt, doch Correctiv präsentierte sie mit ordentlich Bohei in Sozialen Medien und szenischen Lesungen in renommierten Theaterhäusern. Für viele galt der Text als journalistisches Glanzstück, das unsere demokratischen Werte verteidigt. Doch früh kam auch Kritik an dem Text und der Inszenierung auf – gerade von konservativen und rechten Medien.
Ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung holt nun Übermedien zum Schlag aus, und zwar mit der ganz großen Keule. In einer seitenlangen Analyse kommen Stefan Niggemeier, Christoph Kucklick und der Anwalt Felix W. Zimmermann zum Schluss, der Text verdiene keine Preise, sondern Kritik. Und es brauche endlich eine ehrlich geführte Debatte.
Übertreibungen, Spekulationen und Fehler
Gegen eine medienpolitische Debatte kann niemand etwas einwenden. Denn nur weil ein Text Gutes ausgelöst hat, muss es nicht heißen, dass es auch ein guter Text ist. Doch das Problem an der Kritik ist, dass sie teilweise mit den gleichen Mitteln arbeitet, die sie Correctiv vorwirft: nämlich mit Übertreibungen, Spekulationen und Fehlern.
Die grundsätzliche Kritik von Niggemeier und Co. an dem Text lautet: zu wenig handfeste Details und direkte Zitate, zu viel Spekulation, Geraune und Unklarheiten. Und an manchen Stellen haben sie mit ihrer Kritik einen Punkt.
Wie wenn Correctiv den „Remigrations“-Plan von Sellner in die Nähe der Idee der Nazis stellt, die 1940 vier Millionen Juden nach Madagaskar deportieren wollten. Nur um dann anzuführen, dass der Potsdamer Treffpunkt nur acht Kilometer vom Haus der Wannseekonferenz entfernt sei. Ein Fakt, der keinen Mehrwert liefert, aber ein Narrativ füttern möchte.
Bei anderen Punkten scheint die Kritik etwas weit hergeholt: Wie, wenn es darum geht, dass Sellners „Masterplan“ nur mit drei direkten Zitaten unterfüttert wird. Oder der Vorwurf, dass hinreichende Belege fehlten, dass Sellners Plan nach „rassistischen Kriterien“ ablaufe – weil auch hier ein direktes rassistisches Zitat fehle.
Dabei sollte es doch wohl außer Frage stehen, dass der Wunsch, deutsche Staatsbürger, die „nicht ausreichend assimiliert“ seien, abzuschieben, als Beleg ausreicht, um etwas als rassistisch zu bezeichnen.
Wirklich falsch wird es an der Stelle, an der Übermedien behauptet, dass der Text sich selbst widerspreche. Denn es gebe keine Belege für einen „Angriff gegen die Verfassung der Bundesrepublik“, weil Sellner selbst behauptete habe, dass er Menschen „nicht gesetzeswidrig ausweisen“ möchte.
Problem ist nur, dass dieses Zitat überhaupt nicht von Sellner stammt, sondern von einem Anwalt, der für den AfD-Politiker Ulrich Siegmund spricht. Auf Nachfrage der taz hat Übermedien die Namen an der Stelle entsprechend abgeändert. Doch nun beweist sie nichts mehr.
Hauptsache online bleiben
Ein letzter großer Punkt in der Argumentation von Übermedien bezieht sich auf die Verteidigungsstrategie von Correctiv vor Gericht. Denn natürlich wurde der Text von verschiedenen Seiten juristisch angefochten. Übermedien kritisiert, dass die Argumentation vor Gericht nicht dem entspreche, was die Journalist_innen in ihrem Text geschrieben hätten.
Doch das ist kein Wunder, denn vor Gericht sprechen nicht Journalist_innen, sondern Anwält_innen. Deren Ziel: so zu argumentieren, dass der Text bestehen bleiben kann. Und festzuhalten bleibt: Bis auf wenige Änderungen steht der Correctiv-Text weiter online.
Die Kritik an der Kritik hier mag haarspalterisch erscheinen. Doch sie lässt vermuten, dass der Text von Übermedien kein Debattenstart ist, vielmehr erstickt er jegliches Gespräch im Keim. Schon in der Einführung heißt es, die Berichterstattung von Correctiv sei „problematisch“ und „misslungen“, das Verhalten der Redaktion „fragwürdig“ und die Berichterstattung über den Text „eine Katastrophe“. Eine Nummer kleiner ging es wohl nicht.
Leider reagieren die Correctiv-Redakteur_innen ähnlich unsouverän. Correctiv-Chef David Schraven schreibt bei Threads über Stefan Niggemeier: „Der Mann sucht nach dem Skandal im Menschen und ist vor Neid zerfressen“, sein Kollege Jean Peter unterstellt dem Co-Autor Kucklick bei X, es gehe ihm um Anerkennung und Status und bietet ihm dann überheblich ein Trost-Gespräch an.
Recherche als Story
Von außen wirkt das nicht wie seriöse Medienkritik, sondern wie ein peinliches Penisfechten unter Journalisten. Dabei wäre eine ehrliche Debatte über die Correctiv-Recherche, inwiefern sie Narrative über detailreiche Beweisführung stellt, dringend geboten. Genau wie die allgemeine Frage, wie viel Storytelling eine Recherche verträgt, dringend geboten wäre.
Denn ganz ohne Storytelling funktioniert es nicht: Reine Rechercheergebnisse sind langweilig, es kommt auf die Aufarbeitung und auch die Verbreitung an, damit Texte durchdringen. Ein Journalismus, der nicht durchdringt, bringt nichts.
Gleichzeitig darf Storytelling nicht dazu führen, dass Fakten zugespitzt oder verwässert werden. Wo die Grenzen liegen, ist ein Aushandlungsprozess, den wir nur gemeinsam führen können. Dafür braucht es aber Journalist_innen, die Kritik einstecken können – und auch solche, die Kritik formulieren können.
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