Kritik an Katherina Reiche: Kritik von NGOs, verhaltenes Lob aus der Industrie
Umweltverbände beklagen die große Nähe von Katherina Reiche zur Energiewirtschaft. Sie fürchten negative Auswirkungen für die Klimapolitik.

Umweltverbände und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sehen ihre Befürchtung bestätigt, dass Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nicht die nötige Distanz zu den Interessen der Energiewirtschaft wahrt. Reiche ist im Mai ohne Pause aus ihrer Position als Chefin der Eon-Tochter Westenergie an die Spitze des Wirtschafts- und Energieministeriums gewechselt. Sie hatte umgehend klar gemacht, dass sie einen anderen Kurs einschlagen wird als ihr Vorgänger Robert Habeck (Grüne), der die Energiewende forciert hat.
Die NGO LobbyControl hatte bei Reiches Amtsantritt vor 100 Tagen vor ihrer Nähe zur Energiewirtschaft gewarnt. „Wir sehen unsere Befürchtungen bestätigt“, sagte Timo Lange, Sprecher von LobbyControl, der taz. Die Energieministerin folge fast ausschließlich den Interessen der großen Energieunternehmen, sagte er. Die Ministerin lege bei Entscheidungen keinen Wert darauf, Gruppen aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Erneuerbare-Energien-Szene anzuhören. Sie müsse diese Gruppe aber für eine ausgewogene Politik stärker einbeziehen.
LobbyControl hat Reiche aufgefordert, freiwillige und umfassende Angaben zu ihren Unternehmensbeteiligungen zu machen. Erst auf öffentlichen Druck hin legte Reiche Informationen zu bestehenden Beteiligungen offen. Dabei wurde deutlich, dass sie Optionsscheine eines Unternehmens besaß, in dessen Aufsichtsrat sie vor ihrer Amtszeit als Ministerin tätig war und das in den Zuständigkeitsbereich ihres Hauses fällt.
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft der Ministerin vor, die Interessen der konventionellen Energiewirtschaft zu stark zu berücksichtigen. Das gelte etwa für Reiches Gutachten zum Stand der Energiewende, dem sogenannten Energiemonitoring, kritisiert Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer.
Ernüchternde Bilanz
Die DUH fürchtet, dass das Monitoring zu dem Schluss kommt, dass der künftige Energiebedarf niedriger ist als bislang prognostiziert. Dann könnte der Ausbau der Erneuerbaren gebremst werden. Das sei „Klientelpolitik erster Güte für die großen Gaskonzerne“, sagte Müller-Kraenner. Außerdem fürchtet er, dass das Gutachten dazu dienen wird, den von Reiche angekündigten massiven Gasausbau zu legitimieren. Reiche will neue Gaskraftwerke mit einer Kapazität von bis zu 20 Gigawatt bauen lassen. Die DUH hält das für „überdimensioniert“.
Die 100-Tage-Bilanz von Greenpeace fällt ebenfalls ernüchternd aus. „Die bisherigen Entscheidungen und Signale von Katherina Reiche in der Energiepolitik sind wirtschaftspolitisch unklug, rechtlich angreifbar und klimapolitisch verheerend“, sagte Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland.
Eine andere Sicht auf Reiches Politik hat der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), zu dem Reiche 2015 ohne Karenzzeit von ihrem Posten als Staatssekretärin im Verkehrsministerium gewechselt war. Der VKU hält die geplanten Gaskraftwerkskapazitäten von 20 Gigawatt für nötig.
Der Verband ist nicht der Auffassung, dass Reiche die Energiewende ausbremst. Vielmehr handle es sich um eine Beschleunigung der notwendigen Transformation, sagte ein Sprecher. Der Verband begrüßt auch, dass die Ministerin eine Reihe von Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht hat, etwa zur Planungsbeschleunigung.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie wollte sich nicht inhaltlich äußern. Der Verband ziehe bislang eine „zurückhaltend wohlwollende Bilanz“, sagte ein Sprecher.
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