Kritik an Chinas Vorgehen in Tibet: Belgien erwägt Olympia-Boykott
Die Regierung in Brüssel denkt darüber nach, Belgiens Sportler nicht nach Peking zu schicken. Die Unruhen in Tibet sind inzwischen Thema im UN-Menschenrechtsrat. Angeblich starb ein Mönch den Hungertod.
BRÜSSEL/GENF/PEKING/OSNABRÜCK rtr/dpa/ap Die belgische Regierung schließt einen Boykott der Olympischen Spiele in China nicht aus, falls sich die Lage in Tibet weiter verschlechtern sollte. Ein Boykott sei derzeit zwar keine Option, "aber wir können das Schlimmste nicht ausschließen", erklärte der stellvertretende belgische Ministerpräsident Didier Reynders in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Zeitung Le Soir.
Erst am Dienstag hatte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy erklärt, er halte sich die Option eines Boykotts offen. Bei einem Protestmarsch tibetischer Mönche war es am Dienstag erneut zu blutigen Zusammenstößen mit der chinesischen Polizei gekommen, bei denen mindestens zwei Menschen getötet wurden.
Unterdessen hat sich China hat wegen seines Vorgehens in Tibet deutlicher Kritik im UN-Menschenrechtsrat stellen müssen. In einer Generaldebatte am Dienstag äußerte die slowenische EU-Ratspräsidentschaft ihre "tiefe Sorge" angesichts der Berichte über die anhaltenden Proteste in Tibet und anderen chinesischen Regionen. Die EU "drängt die chinesischen Behörden, keine Gewalt gegen die an den Protesten Beteiligten einzusetzen, und ruft die Demonstranten auf, Gewalttätigkeiten zu unterlassen", sagte der slowenische Botschafter beim UN-Menschenrechtsrat in Genf, Andrej Logar. Er unterstrich die große Bedeutung, die die EU der Freiheit der Meinungsäußerung und dem Recht auf friedliche Proteste beimesse. Die chinesische Regierung forderte er auf, "sich der Sorgen der Tibeter unter Berücksichtigung der Menschenrechte anzunehmen".
Auch die USA forderten von der Volksrepublik, Tibet für ausländische Journalisten und Diplomaten nicht länger abzuriegeln. Eine unabhängige Berichterstattung über die Vorgänge vor Ort sei so nicht möglich, kritisierte der US-Vertreter Warren Tichenor. Dies widerspreche aber den Grundsätzen, auf die sich China als Olympia-Gastgeber verpflichtet habe.
Die Lage in den abgeschotteten tibetischen Klöstern ist nach Angaben von Exiltibetern schlimmer als bisher bekannt. Im Ramoche-Kloster in Lhasa sei bereits ein Mönch aufgrund der mangelnden Versorgung gestorben. Der Pressemitteilung zufolge sei der Mann bereits am Montag "verhungert". Die Angaben konnten zunächst nicht durch unabhängige Quellen bestätigt werden. Zahlreiche von Sicherheitskräften blockierte Klöster in Tibet hätten mit Nahrungs- und Wasserknappheit und schlechter medizinischer Versorgung zu kämpfen, berichtete das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) weiter.
Das Ramoche-Kloster sei bereits seit dem 14. März vom Militär umstellt, das sämtliche Zugänge blockiere und es "öfter" mit Tränengas beschieße, wie eine "zuverlässige Quelle" berichtet habe. Es sei "aufgrund der Restriktionen durch die chinesischen Behörden" aber zunehmend schwierig, detaillierte Informationen aus Tibet zu bekommen.
Die chinesische Polizei hat eine Liste mit Namen von 53 Tibetern veröffentlicht, die wegen der blutigen Unruhen in Lhasa gesucht werden. Gegen 29 Beteiligte seien Haftbefehle ausgesprochen worden, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Insgesamt sollen sich in der tibetischen Hauptstadt 280 Menschen der Polizei gestellt haben, nachdem diese ein Ultimatum ausgesprochen hatte.
Bei den Protesten gegen die chinesische Herrschaft in Tibet sind bislang nach Angaben der tibetischen Exilregierung 140 Menschen getötet worden. Die Regierung in Peking spricht dagegen von 19 Toten. Die anti-chinesischen Proteste hatten am 10. März begonnen. Die Volksrepublik wirft dem geistlichen Führer der Tibeter, dem Dalai Lama, vor, den Aufstand absichtlich wenige Monate vor den Olympischen Sommerspielen in Peking angezettelt zu haben. Der Nobelpreisträger hat dies zurückgewiesen.
In der Diskussion über eine angemessene Reaktion auf das chinesische Vorgehen in Tibet hat der Vorsitzende der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Johannes Pflug, einen teilweisen Handelsboykott ins Gespräch gebracht. Maßnahmen im Wirtschaftsbereich seien sinnvoller als ein Olympiaboykott, um in Menschenrechtsfragen Druck auf die politische Führung in Peking auszuüben, sagte der SPD-Politiker der Neuen Osnabrücker Zeitung.
"Man muss darüber reden, welche Güter man nach China liefert und wie die Wirtschaftsbeziehungen sind", wird Pflug zitiert. So könne zum Beispiel die Lieferung von Gütern der Hochtechnologie und des Energiesektors, insbesondere von Luxusgütern, ausgesetzt werden. Ausgenommen werden sollten Exporte, von denen "wir alle profitieren - etwa beim Klima- und Umweltschutz". Aber es gebe viele Güter, "die nicht unbedingt nach China geliefert werden müssen".
Pflug sagte, es werde Zeit, dass sich die Internationale Völkergemeinschaft stärker mit der Tibet-Frage auseinandersetze. Ein Boykott der Olympischen Spiele wäre aus seiner Sicht nur "ein Symbol, bei dem man sich erst stark fühle, anschließend aber ohnmächtig". Dadurch würden sich die Fronten endgültig verhärten, "so dass der Einfluss der daran beteiligten Staaten auf die chinesische Politik anschließend gegen Null geht".
Pflug forderte die chinesische Führung auf, offizielle Gespräche mit dem Dalai Lama aufzunehmen, der bislang eine "sehr vernünftige, abwägende und auch deeskalierende Reaktion" auf die Vorfälle in seiner Heimat gezeigt habe.
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