piwik no script img

Kritik am „Bau-Turbo“Weniger Neubau, mehr Bestandserhalt

Klimaschädlicher Abriss und Neubau seien auch bei landeseigenen Unternehmen gängige Praxis, kritisiert das Bündnis Klimastadt Berlin 2030.

Auch dem SEZ in Friedrichshain droht der Abriss, obwohl vieles im Bestand möglich wäre Foto: dpa | Jens Kalaene
Jonas Wahmkow

Von

Jonas Wahmkow aus Berlin

taz | Umbauen statt abreißen, Partizipation statt vollendete Tatsachen und Umweltschutz statt Bau-Turbo: Im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahlen im kommenden Jahr hat das Bündnis Klimastadt Berlin 2030 eine Wende der Berliner Stadtentwicklungspolitik gefordert. Gerade die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen ordneten dem Ziel des Wohnungsbaus alle anderen Belange unter, kritisierte der Zusammenschluss aus Umwelt- und stadtpolitischen Initiativen bei einem Pressegespräch am Mittwoch.

„Wir brauchen eine Umbauinitiative für den Bestand“, sagte Elisabeth Broermann von Architects for Future, „wir bauen immer neu und reißen gleichzeitig immer wieder ab, das ist ein wahnsinniges Spiel.“ Die Architektin betonte, dass der Gebäudesektor für 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sei. Mit jedem Abriss gehe wertvolle „graue Energie“, die bei der Herstellung für das Material aufgewendet wurde, verloren. Aber auch jeder Quadratmeter neu versiegelte Fläche schwäche die Anpassungsfähigkeit der Stadt an die Folgen des Klimawandels. „Mit Bauprojekten auf Freiflächen oder Parks opfert die Stadt wichtige ökologische Infrastruktur“, warnte Broermann.

Der geplante Abriss der sogenannten Sternhäuser in der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenheilanstalt ist einer der vielen Fälle, bei dem die Stadt eine klimafreundlichere und sozialverträglichere Stadtentwicklung hätte umsetzen können. Die leer stehenden Bettenhäuser wurden Anfang der 80er Jahre errichtet und sind laut der Architektin Theresa Keilhacker „eigentlich in einem Idealzustand. Man könnte sofort in die Ertüchtigung gehen.“

Zusätzliche Betten könnte das benachbarte Krankenhaus des Maßregelvollzugs gut gebrauchen. Mehr als 100 Pa­ti­en­t:in­nen sind dort über der regulären Kapazität untergebracht, teilweise schlafen sie in Mehrbettzimmern auf Matratzen auf dem Boden, wie die Nationale Stelle zur Prävention von Folter in einem im Januar veröffentlichten Bericht kritisierte.

„Sternhäusern“ droht Abriss

Doch die Sternhäuser sollen abgerissen werden. Das landeseigene Wohnungsbauunternehmen Gesobau will ein neues Quartier mit 600 Wohnungen errichten. Dafür müssten 240 Bäume gefällt werden, ein Großteil der parkähnlichen Umgebung würde versiegelt. Proteste einer Bürgerinitiative wurden ignoriert.

„Öffentliche Belange des Klimaschutzes und der Wohnraumversorgung werden hier gegeneinander ausgespielt“, kritisierte Keilhacker. Dabei sei beides kein Widerspruch: Mit der Einbeziehung von Anwohnenden und Umweltverbänden könnten oft tragfähige Kompromisse gefunden werden. Große Gefahr sieht das Bündnis in dem im Oktober vom Bund beschlossenen „Bau-Turbo“-Gesetz, mit dem das Land Umweltschutzprüfungen und Bürgerbeteiligungen überspringen kann. „Durch den Bau-Turbo werden die Bezirke entmachtet“, warnte Keilhacker.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare