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Krisenverordnung der Europäischen UnionDie EU bleibt erpressbar

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Solange die EU-Staaten in Flüchtlingen eine Gefahr sehen, kann man sie unter Druck setzen. Die Asylrechtsverschärfung ändert nichts daran.

Geflüchtete unterwegs in der Türkei Richtung griechischer Grenze 2020 Foto: Yasin Akgul/picture alliance

F lüchtlinge werden durchaus als politisches Druckmittel gegen EU-Staaten eingesetzt. Drei solcher Fälle hat es in der jüngeren Vergangenheit gegeben: 2020 stellte die Türkei die Bewachung der Grenze zu Griechenland ein und ermunterte einige zehntausend Menschen, sie zu überqueren. Erdoğan wollte mehr Geld für die Verlängerung des EU-Flüchtlings­deals. 2021 tat Marokko dasselbe mit der Grenze zu Melilla – und zwang so Spanien, Marokkos Anspruch auf die besetzte Westsahara anzuerkennen. Belarus, und wohl auch Russland, schickten im Herbst 2021 zehntausende Menschen über die zuvor gemeinsam bewachte Grenze nach Polen – wohl, um ein Ende der EU-Sanktionen gegen Minsk wegen des Wahlbetrugs zu erzwingen.

Gegen solche Fälle will die EU mit ihrer neuen „Krisenverordnung“ reagieren, der Deutschland am Donnerstag zustimmte. Das Konzept ist: Werden Flüchtlinge als Waffe gegen Europa eingesetzt, darf man ihre Rechte einschränken.

Dass die EU sich nicht mit Flüchtlingen erpressen lassen will, ist naheliegend. Dass genau das aber überhaupt möglich ist – daran trägt sie selbst die Schuld. Seit Jahren ist für die ganze Welt zu sehen, wie panisch in Europa auf Ankommende reagiert wird und welche „destabilisierenden“ Effekte das hat: Populisten, die unter anderem Russland zugeneigt sind, geraten an die Macht, Gesellschaften driften auseinander.

Es war die EU selbst, die Flüchtlinge unter dem Eindruck der Ankünfte aus Belarus zu einer „hybriden Bedrohung“ erklärte, einer Art softer Kriegswaffe. Wer das tut, lädt seine Gegner geradezu ein, sie entsprechend zu nutzen.

Darauf zu reagieren, indem man den Menschen Rechte entzieht – nichts anderes sieht die neue Verordnung vor –, ändert nichts daran. Die EU bleibt erpressbar, solange sie selbst die Flüchtlinge ständig zur „größten Gefahr“ erklärt. Den Ankommenden mit Knast und anderen Schikanen das Leben schwer zu machen, hat allenfalls den Effekt, der Öffentlichkeit zu signalisieren, irgendetwas „gegen die ganzen Flüchtlinge“ zu unternehmen.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Abermals und immer wieder: Solange die EU und andere Staaten nicht an die Ursachen der Flucht gehen, solange wird sich nichts ändern. Doch ein wirkungsvolles Eingreifen in die sogenannten "Frei"-Handelsverträge würde der hiesigen Wirtschaft überhaupt nicht gefallen. Die verhalten sich mit Billigung der Regierungen genauso wie damals als Kolonialmächte. Die Ausbeutung der Menschen im globalen Süden hat sich nicht verändert, seit Jahrhunderten nicht. Zwar sind es keine Sklavenschiffe mehr, die irgendwohin segeln, doch das bedeuetet keineswegs, dass es keine Sklaven mehr gibt. Die werden nur anders bezeichnet. Die Profite machen Konzerne, wie eh und je. Geduldet wird das von korrupten Eliten, wie eh und je und korrumoiert werden die von den Interessenten -auch Regierungen- der wirtschaftlich stärkeren Länder. Wie eh und je...

    • @Perkele:

      Was würden denn bessere Handelsverträge an den Problemen ändern, zb in den hauptherkunftsländern wie afghanistan?