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Krise in KatalonienZwischen Amt und Anklage

Die Anklageschrift gegen 23 Unabhängigkeitsbefürworter liegt jetzt vor. Einer von ihnen fällt beim ersten Wahlgang für das Amt des Premiers durch.

Gerichtstermin: Jordi Turull am Freitag in Madrid Foto: reuters

Madrid taz | Richter Pablo Llarena am Obersten Gerichtshof in Madrid hat seine Ermittlungen in Sachen Katalonien abgeschlossen. Er legte die Anklageschrift gegen 23 Politiker und Aktivisten aus dem Lager der Unabhängigkeitsbefürworter am Freitag vor. Unter ihnen befindet sich Jordi Turull.

Die Anklage kommt genau einen Tag nachdem der ehemalige Regierungssprecher des von Madrid abgesetzten Carles Puigdemont vor dem katalanischen Parlament für das Amt des Regierungschefs kandidierte. Im ersten Wahlgang fehlten ihm vier Stimmen zur absoluten Mehrheit, da sich die antikapitalistische CUP enthielt.

Es ist fraglich, ob es zum für Samstag vorgesehenen zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit überhaupt kommt. Denn die Staatsanwaltschaft fordert gegen Turull und vier weitere Politiker Untersuchungshaft ohne Kaution. Falls Richter Llarena dem statt gibt, braucht die Unabhängigkeitsbewegung einen neuen Kandidaten. Wenn es in zwei Monaten noch immer keine Regierung gibt, muss erneut gewählt werden.

Turull wäre bereits der dritte Bewerber für das Amt des Regierungschefs, der an Llarena scheitert. Der Erste war der nach Brüssel geflohene Puigdemont. Llarena kündigte an, ihn verhaften zu lassen, sobald er nach Spanien zurückkehre, um an einer Parlamentssitzung teilzunehmen.

Kein Freigang

Ihm folgte der inhaftierte ehemalige Vorsitzende der Katalanischen Nationalversammlung Jordí Sànchez, dem Llarena keinen Freigang für das Parlament gab. Neben Turull klagt Llarena zwölf weitere Politiker und Aktivisten wegen der Vorbereitung und Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums im vergangenen Oktober sowie der „Rebellion“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ an.

Unter den Angeklagten befinden sich auch der nach Brüssel geflohene Puigdemont, sein Stellvertreter Oriol Junqueras, und der ehemalige Innenminister Quim Forn. Beide sitzen seit Anfang November in Untersuchungshaft. Alleine auf Rebellion stehen bis zu 30 Jahre Haft.

Llarena beschuldigt die Angeklagten, seit sechs Jahren gezielt auf einen Bruch mit Spanien hingearbeitet zu haben. Sie hätten die „kollektiven Wunsch nach Unabhängigkeit (…) in breiten Teilen der Bevölkerung“ angespornt.

2,1 Millionen Euro Kaution

Die 14 Mitglieder der abgesetzten Regierung Puigdemonts müssen gemeinsam 2,1 Millionen Euro Kaution hinterlegen. Das soll im Falle einer Verurteilung die rechtswidrigen Ausgaben der Regierung für das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017 decken.

Fünf Ex-Minister werden nur wegen Ungehorsam und Veruntreuung angeklagt. Darauf stehen bis zu neun Jahre Haft. Weitere fünf Politiker sollen sich nur des Ungehorsams schuldig gemacht haben. Dies bedeutet nur eine Bewährungsstrafe sowie die vorübergehende Aberkennung des Rechtes öffentliche Ämter zu bekleiden.

Eine wegen Rebellion Angeklagte, die Generalsekretärin der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) Marta Rovira, erschien am Freitag nicht vor Gericht. Rovira soll sich in der Schweiz aufhalten. Damit sind sieben katalanische Politiker im Ausland.

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2 Kommentare

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  • Aristoteles beschreibt die Demokratie als die beste Staatsform, wenn die Besten gewählt werden und es nach dem Gesetz zugeht!

    Die Verfassung des Königreiches Spanien vom 29. Dezember 1978 erfüllt dies nicht, da es dort nach dem undefinierten "allgemeinen Interesse Spaniens" der Faschisten zugeht?

    Der Text lautet: Art. 155. (1) Wenn eine Autonome Gemeinschaft die ihr von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt oder so handelt, daß ihr Verhalten einen schweren Verstoß gegen die allgemeinen Interessen Spaniens darstellt, so kann die Regierung nach vorheriger Aufforderung an den Präsidenten der Autonomen Gemeinschaft und, im Falle von deren Nichtbefolgung, mit der Billigung der absoluten Mehrheit des Senats die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Gemeinschaft zur zwangsweisen Erfüllung dieser Verpflichtungen anzuhalten oder um das erwähnte Interesse der Allgemeinheit zu schützen.

    (2) Zur Durchführung der in Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen kann die Regierung allen Behörden der Autonomen Gemeinschaften Weisungen erteilen."

     

    In Deutschland gilt: "Artikel 37

    (1) Wenn ein (Bundes-) Land die ihm nach dem Grundgesetze oder einem anderen Bundesgesetze obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, ..." d.h. es gibt ein Gesetz dafür, das zu überprüfen möglich ist! Das fehlt in der Spanischen Verfassung!

    • @Peter Meisel:

      Die Auslegung der Verfassung und des Paragraphen 155 wird zu einer einseitigen und ganz privaten Sache des Richters Llarena. Seine Katalanophopie ist bekannt. Aber er handelt im Auftrag seines Parteigenossen Rajoy.

       

      Gegen diejenigen, die das Referendum vom 1. Oktober organisiert und durchgeführt haben wurden drei Anklagepunkte erhoben: Rebellion, Seddition und Missbrauch von Staatsgeldern. Damit kann der linientreue Saatsanwalt 30 Jahre Haft beantragen. Llarena wird es absegnen.

      Da muss man sich erst einmal die Augen wischen. Sie wollen Politiker verurteilen, die Volkes Wille erfüllt haben. Eine katalanische Republik wurde zwar vom Parlament abgesegnet und von Puigdemont verkündet, aber niemals auch nur versuchsweise praktisch durchgeführt. Die Ausgaben für die Durchführung der Volksbefragung - angeblich 2.1 Millonen Euro - sind ein Klacks im Vergleich zu den rund 80 Millonen, die der spanische Staat zur Verhinderung ausgegeben hat. Diese Zahl kommt vom spanischen Innenministerium.

       

      Glaubt der spanische Staat und seine Partner bei Ciudadanos und den Sozialisten wirklich, die Katalanen weren ihr Vorhaben abbrechen, besonders jetzt da das Volk vor Wut schäumt? Ganz im Gegenteil. Madrid beabsichtigt wohl mit allen Provokationen einen Austand herbeizuführen, der Polizei und, wer weiss, auch Militäreinsatz vor dem Ausland rechtfertigen würden. Die Katalanen sind so klug, dass sie sich mit massiven Protesten auf der Strasse begnügen. Und sie haben Geduld.

       

      Mit absoluter Sicherheit wird es - vorläufig - keine Abspaltung, keine katalanische Republik geben.Aber der Schaden für Spanien und Katalonien ist jetzt schon unendlich gross. Ein tiefer unüberbrückbarer Abgrund trennt zwei Welten, spanische Völker, viele Familien.

       

      Wie einfach wäre es gewesen, wenn der sture Rajoy den Dialog mit den Katalanen vor Jahren angenommen hätte. Es ging doch ursprünglich nur ums Geld, um eine gerechtere Besteuerung und Finanzausgleich der Autonomien!!!

       

      FRANCO GRÜSST!!!