Krise im Sudan: Die Miliz frisst die Revolution
Sudans Grenztruppe RSF, hervorgegangen aus Mordmilizen in Darfur, ist zentral im Machtkampf. Anführer Hametti kann die Demokratisierung blockieren.
Aber draußen vor den Barrikaden geben bewaffnete Männer den Ton an. Fast an jeder Straßenecke in Khartum sind Pick-up-Trucks mit aufgepflanzten Maschinengewehren postiert. Manche tragen die Nummernschilder der regulären Armee, die meisten von ihnen gehören aber einer Miliz an, die sich Rapid Support Force (RSF) nennt.
Es sind diese Männer mit ihren Camouflage-Uniformen und Schnellfeuergewehren, die die Demonstranten am meisten beunruhigen. Die RSF ist hervorgegangen aus den berüchtigten arabischen Janjaweed-Reitermilizen, die ab 2003 mordend, brandschatzend und vergewaltigend durch die Dörfer der sudanesischen Region Darfur zogen und dort im Namen des Bashir-Regimes Rebellen bekämpften. Über eine Viertelmillion Menschen wurden in Darfur getötet, über zwei Millionen vertrieben, Bashir wird deswegen vom Internationale Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht.
„Im gegenwärtigen Machtpoker zwischen Militärs und Demonstranten sind die RSF-Milizen eine Schlüsselfigur bei den politischen Entscheidungsprozessen“, glaubt der sudanesische Menschenrechtler Majid Maali. Der sudanesische Journalist Faisal Saleh bestätigt: „Heute ist der RSF-Miliz in Khartum stärker vertreten als die Armee.“ In Khartum werden die Milizionäre als Fremdkörper wahrgenommen. „Sie kommen vom Land und nicht aus urbanen Zentren. Sie kamen in die Hauptstadt und wurden zur Quelle von Spannungen“, analysiert Saleh.
Gewaltsame Zusammenstöße in Khartum am Montag:
Im Sudan ist das Militär am Montag laut Opposition und Ärzten mit Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen. Dabei seien zwei friedliche Demonstranten erschossen worden, twitterte ein sudanesischer Ärzteverband am Montagmorgen. Die Streitkräften versuchten, mit Gewalt die seit Wochen andauernde Sitzblockade im Zentrum Khartums aufzulösen, teilte das Gewerkschaftsbündnis SPA, die Organisatoren der anhaltenden Massenproteste im Sudan, auf Twitter mit. Der britische Botschafter im Sudan, Irfan Siddiq, twitterte, man sei „extrem besorgt“ über die Schüsse, die zu hören seien. (dpa)
Gewaltsame Zusammenstöße in Khartum am Samstag:
Bei einem Militäreinsatz gegen Demonstranten in der Nähe der Dauerblockade vor dem Militärhauptquartier sind am Samstag mindestens ein Demonstrant getötet und über zehn verletzt worden. Der 20-jährige Student Abdel Basit Abdellah starb durch einen Kopfschuss. Es ist der dritte getötete Demonstrant in der fraglichen Straße seit einer Woche. Das Militär, das am 6. April nach monatelangen Protesten den Langzeitdiktator Bashir gestürzt und selbst die Macht ergriffen hatte, fordert seit mehreren Wochen das Ende aller Straßenblockaden und spricht von Ansammlungen von Kriminellen. Laut Augenzeugen riegelte am Samstag die RSF-Miliz das Gebiet ab, während die Armee gegen die Demonstranten vorging.
Demonstration für die Armee: Am Freitag gingen in Khartum mehrere hundert Islamisten für das Militär auf die Straße. „100 Prozent Militärmacht“, riefen die Demonstranten, die teils Bilder des RSF-Milizenführers Hametti trugen. Einige riefen: „Das Volk wählt die Scharia.“ Der Protest war allerdings viel kleiner als die andauernden Massenproteste gegen das Militär.
RSF-Anführer Muhammad Hamdan Dagolo, im Sudan unter dem Namen „Hametti“ bekannt, hält im gegenwärtig regierenden Militärrat offiziell die zweithöchste Stelle. Manche glauben aber, dass Hametti eigentlich den Ton angibt, nicht der offizielle Chef des Rates, General Abdel Fatah Burhan. „Hemeti ist möglicherweise das Mitglied des Militärrates mit dem größten Einfluss. Es wird keine Abkommen geben im Sudan geben, die er nicht mit unterzeichnet“, ist sich Saleh sicher.
Hametti hat eine gewaltige Karriere hinter sich. Geboren in ärmlichen Verhältnissen, einst als Kamelhirte unterwegs, fand er seine Berufung als Krieger, zunächst bei Janjanweed-Milizen, deren Anführer er in Darfur wurde, und dann als Chef des RSF, die schließlich in die Armee integriert wurde und mit EU-Finanzhilfe im Rahmen der Flüchtlinngsabwehr zur Grenzschutztruppe mutierte.
Abgesehen vom eigenen Vorteil scheint er keine große politische Agenda zu haben, sondern er hat immer guten Instinkt bewiesen. Er weigerte sich zu den Beginn der Proteste im Sudan, für Bashir den Aufstand niederzuschlagen. „Damals erhielt er Lob von den Demonstranten“, blickt der Journalist Saleh auf die Tage des Umsturzes Anfang April zurück.
„Die Milizen schossen wild um sich“
Die Flitterwochen zwischen den Demonstranten und der RSF währten allerdings nur kurz. Am 15. Mai versuchten bewaffnete Männer, eine der Barrikaden zu räumen. Mehrere Menschen wurden verletzt und die Demonstranten zeigten schnell mit dem Finger auf die RSF. „Die RSF-Milizen kamen, um die Barrikaden wegzuräumen, sie schossen erst in die Luft und dann wild um sich auf die Demonstranten“, erzählt Atef Baqr, der mit einer Schussverletzung im Krankenhaus liegt.
Vor allem jene, die aus Darfur nach Khartum gereist sind, um am Protestlager teilzunehmen, haben die Zeiten der marodierenden Janjaweed nicht vergessen. „Wenn ich die RSF-Milizen jetzt in Khartum sehe, dann denke ich zurück an die Massaker zwischen 2003 und 2005 in Darfur, vor denen ich damals geflohen bin“, sagt Idris Adam, einer der Aktivisten, die sich in einem speziellen Protestzelt der Darfuris jeden Abend versammeln. „Die RSF ist ein Instrument des alten Regimes. Ihre Präsenz in der Hauptstadt ist völlig unakzeptabel“, meint auch die Darfur-Aktivistin Halima Ashak.
Halima Ashak, Aktivistin
Die Stärke der Nachfolger der Janjaweed-Milizen entspringt auch ihrem Einsatz im Jemenkrieg. Dort werden sie von den Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien als Söldner-Bodentruppen gegen die Huthi-Rebellen eingesetzt. Das hat ihnen viel Geld und Macht im Sudan verschafft. Und das macht die RSF-Milizen möglicherweise auch zu einem willfährigen Instrument der Golfautokraten, die keinerlei Interesse an einem demokratischen Experiment im Sudan haben.
„Die Beziehungen der Golfstaaten zur RSF sind stärker als zur sudanesischen Armee“, beschreibt der Journalist Saleh. Dass Hamettis erste Auslandsreise in seiner neuen Position als Vizechef des Militärrates ihn nach Saudi-Arabien führte, wo er den umstrittenen Kronprinzen Muhammed Ben Salman traf, ließ bei den Demonstranten in Khartum alle Alarmglocken läuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin