Krise im Einzelhandel: Eine Chance für die Innenstädte

Trotz des gut laufenden Weihnachtsgeschäfts klagt die Branche über Umsatzrückgänge. Doch Kaufhäuser sind nicht nur für den Handel gut.

Eine Shopping-Mall aus Vogelperspektive im Weihnachtsgeschäft

Das Weihnachtsgeschäft lief dieses Jahr ordentlich – trotzdem ist die Aussicht düster Foto: dpa

Erst Corona, nun Inflation und steigende Energiepreise: Die vielfältigen Krisen machen dem Einzelhandel zunehmend zu schaffen. Die diesjährige verhalten positive Bilanz für das Weihnachtsgeschäft, die der Vorsitzende des Handelsverbands Berlin-Brandenburg Nils Busch-Petersen für 2022 zog, ist dabei nur ein schwacher Trost. Zu stark hat die Konsumlaune der Kun­d:in­nen in diesem Jahr gelitten, als dass das verkaufsstarke Weihnachtsgeschäft es hätte wett machen können.

Die Krisen beschleunigen einen Umbruch in der Branche, der schon längst stattfindet: Nicht nur weg vom stationären Einzelhandel hin zum Online-Shopping, sondern auch eine Abkehr von scheinbar endlosen Umsatzsteigerungen und Neuerschließungen von Einzelhandelsflächen. Lange galten Shopping-Malls in Berlin als sichere und renditestarke Anlagemöglichkeit unter Investor:innen. Das Ergebnis waren riesige Einkaufscenter, die seit den frühen 2000er Jahren überall in Berlin aus dem Boden sprossen.

Doch die Nachfrage hielt auch schon vor Corona nicht mehr mit dem Angebot mit: Immer mehr Malls verwaisten, wie die Arkaden am Potsdamer Platz, die kaum noch Kunden anzogen und nun aufwendig umgebaut wurden. Auch in der prestigeträchtigen Friedrichstraße sollte durch eine halbherzige Verkehrsberuhigung der Umsatz gesteigert werden – mit mäßigem Erfolg.

Besonders das klassische Warenhaus leidet unter diesen Entwicklungen. Galeria-Karstadt-Kaufhof-Eigentümer Signa schaffte es, den Konzern innerhalb von zwei Jahren in ein zweites Insolvenzverfahren zu manövrieren. Bis zu zwei Drittel der Filialen sind von der Schließung bedroht, darunter auch einige Berliner Standorte.

Mögliche Gewinner

Dass sich die Kauflaune in der Bevölkerung in absehbarer Zeit wieder erholen wird, ist nicht zu erwarten. Es ist unwahrscheinlich, dass sich angesichts der Energiewende die Energiepreise auf das Vorkrisenniveau zurückbewegen. Die Nachforderungen bei den Rechnungen für Strom und Gas trudeln bei vielen erst in den kommenden Wochen ein, dazu kommen die steigenden Mieten, die weiterhin ein Problem sind. Und wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, ist die nächste Krise nicht weit.

„Wir werden uns neu definieren müssen“, brachte es Busch-Petersen gegenüber der taz auf den Punkt.

Die großen Gewinner dieser Entwicklung könnten ausgerechnet die Innenstädte sein, die durch den Rückzug des Handels wieder an Lebensqualität gewinnen. Denn die Einzelhandelsfläche von heute kann der neugewonnene Freiraum von morgen sein.

Beispiel Karstadt: Die Warenhaus-Filialen befinden sich meist in mehrstöckigen Funktionsbauten, die sich für so gut wie alles nutzen ließen: öffentliche Bibliotheken und Archive, selbstverwaltete Cafés, Nachbarschaftsküchen, kostenlose Sportgeräte, Wärmeorte für Obdachlose, Indoor-Flohmärkte, Tischtennisplatten, Repaircafes, Werkstätten und und und …

Die Voraussetzung wäre natürlich, dass man mal zur Abwechslung nicht ausschließlich auf Profit fixierte In­ves­to­r:in­nen über die Gestaltung unserer Städte entscheiden ließe. Denn an die Stelle des Einzelhandels würde in dem Fall einfach nur das rücken, was weiterhin Profit abwirft: Büros und Luxuswohnungen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.