Krise des Euro: Merkel stuft Ratingagenturen runter
Die Kanzlerin geht nach dem Votum "Zahlungsausfall" für Griechenland auf die Ratingagentur Standard & Poors los. Ignorieren kann sie die Warnung nicht.
BERLIN taz | Es ist ein neuer Machtkampf entbrannt zwischen Ratingagenturen und den EU-Regierungen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Dienstag, "es ist wichtig, dass sich die Troika die eigene Urteilsfähigkeit nicht wegnehmen lässt". Bei Griechenland vertraue sie "vor allem den Bewertungen dieser drei Institutionen": Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds.
Damit reagierte die Kanzlerin auf die US-amerikanische Ratingagentur Standard & Poors (S & P), die am Montag angedroht hatte, dass sie es als "Zahlungsausfall" werten würde, falls ein französischer Plan umgesetzt wird, wie die privaten Banken an einem Rettungspaket für Griechenland zu beteiligen sind. Schon vor zwei Wochen hatte Merkel über die skeptischen Ratingagenturen gesagt: "Kein Mensch zwingt uns, deren Einschätzungen zu glauben."
Trotz dieser Kampfansage ist es für die Regierungen nicht gefahrlos, die Ratingagenturen zu ignorieren. Denn die Bewertung "Zahlungsausfall" könnte eine Kettenreaktion in Gang setzen. Erstes Problem: Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte eigentlich keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheiten akzeptieren. Damit aber wären die griechischen Banken umgehend pleite, die sich inzwischen über die EZB refinanzieren.
Offiziell äußert sich die Notenbank nicht zu diesem Problem. Faktisch aber hat sie Spielraum: Sie könnte anderen Agenturen folgen.
Ansteckungsgefahr
Damit enden die Probleme jedoch nicht. Die zweite Gefahr: Das Votum "Zahlungsausfall" könnte ein "Kreditereignis" auslösen, womit gemeint ist, dass die Kreditausfallversicherungen (CDS) fällig würden. Da aber niemand weiß, wer diese Derivate hält, sind die Rückkopplungen auf den Finanzmärkten unkalkulierbar.
Um die Wucht dieser CDS-Derivate einzuschränken, hat das EU-Parlament am Dienstag gefordert, "ungedeckte" Kreditausfallversicherungen auf Staatsanleihen zu verbieten. Damit sind CDS-Kontrakte gemeint, die abgeschlossen werden, obwohl der Käufer gar keine entsprechende Staatsanleihe besitzt - die also der reinen Spekulation dienen.
Das dritte Problem: die vielzitierte Ansteckungsgefahr. Die Anleger benötigen nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass auch andere Euroländer wie Portugal, Irland oder selbst Spanien mit dem Siegel "Zahlungsausfall" belegt werden könnten, sobald dieser Präzedenzfall in Griechenland eingetreten ist. Also könnten die Risikoaufschläge auch bei diesen Ländern weiter steigen - so dass sie ebenfalls dauerhaft vom Euro-Rettungsschirm abhängig blieben.
Neue 30-jährige Papiere
S & P sieht den "Zahlungsausfall" als gegeben, weil die Banken Wertverluste hinnehmen müssten, wenn sie sich am Rettungsplan für Griechenland beteiligen. Denn der favorisierte französische Plan sieht vor, dass die Banken 70 Prozent ihrer griechischen Staatsanleihen, die zwischen 2011 und 2014 fällig werden, wieder neu anlegen - und zwar in 30-jährige griechische Papiere, für die sie zwischen 5,5 und 8,0 Prozent Zinsen erhalten würden.
Diese Rendite wäre zwar üppig, aber mit dem Risiko behaftet, dass Griechenland diese Zinslast nicht tragen kann und weiterhin auf eine Pleite zusteuert. Trotzdem mildert S & P seine Drohung ein wenig ab: Die neuen 30-jährigen Papiere könnten schon bald wieder hochgestuft werden - wenn die EU-Rettungspakete greifen.
S & P sorgt jedoch nicht nur beim Thema Griechenland für Ärger. Die italienische Börsenaufsicht hat eine Untersuchung eingeleitet, weil S & P das neue italienische Sparpaket negativ bewertet hat, noch bevor dessen Details öffentlich bekannt waren. Dieses Vorgehen finden die Italiener merkwürdig, denn offenbar habe sich S & P nur auf "Indiskretionen der Presse" verlassen.
Zudem veröffentlichte die Ratingagentur ihr Votum am Nachmittag, als die Börsen noch geöffnet hatten. Auch das ist sehr ungewöhnlich. Normalerweise werden negative Bewertungen am Wochenende bekannt gegeben, damit die Investoren ausreichend Zeit haben, diese neue Einschätzung zu analysieren. Die Untersuchung der italienischen Börsenaufsicht ist noch nicht abgeschlossen: S & P muss noch Dokumente nachreichen.
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