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Krise der Berliner Verkehrsbetriebe„Das wird noch mal richtig wehtun“

Die BVG ist ein Großsanierungsfall. Unternehmenschef Henrik Falk will die Probleme bis Ende 2027 in Griff kriegen – mit einer „gewissen Radikalität“.

„Niemand darf erwarten, dass ich das mit einem Fingerschnipsen hinkriege“: BVG-Chef Henrik Falk Foto: Jens Gyarmaty

taz: Herr Falk, Sie sind zum Januar 2024 von der Hamburger Hochbahn zur BVG gewechselt. Wie oft haben Sie diese Entscheidung seither verflucht?

Henrik Falk: Nie, kein einziges Mal.

taz: Weil es jeden Tag aufs Neue unglaublich erfüllend ist, Kapitän auf einem alten Tanker in schwerer Seenot zu sein?

Falk: Richtig ist, dass mir bei der Rückkehr aus Hamburg in meine Heimatstadt Berlin zwar klar war, dass die BVG vor Herausforderungen steht. Aber die tatsächliche Größenordnung war mir nicht bewusst. Hätte ich mir Anfang 2024 vorstellen können, dass unsere Strategie heute „Stabilität vor Wachstum“ heißt? Ganz sicher nicht.

Im Interview: Henrik Falk

Henrik Falk ist seit Januar 2024 Vorstandsvorsitzender der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Bis dahin war der 1970 in Ostberlin geborene Jurist acht Jahre lang Chef der Hamburger Hochbahn.

Nach Hamburg war Falk wiederum 2016 von der BVG gewechselt, bei der er seit Ende 2008 den Vorstandsbereich Finanzen und Vertrieb leitete. In seine Verantwortung fiel in der Zeit unter anderem die Einführung der Werbekampagne „Weil wir dich lieben“.

An der Spitze der BVG folgte Falk auf die glücklose Managerin Eva Kreienkamp, die bereits im April 2023 von ihrem Posten abberufen wurde.

Die BVG ist mit über 16.000 Beschäftigten, neun U-Bahn-, 22 Straßenbahn- und mehr als 160 Buslinien Deutschlands größtes Nahverkehrsunternehmen.

taz: Wenn wir ehrlich sind, haben Sie bereits zu Ihrem Amtsantritt nicht von Wachstum gesprochen, sondern davon, noch 2024 eine „Stabilisierung des Systems“ hinzubekommen.

Falk: Das ist kein Widerspruch. Dass es Stabilitätsthemen bei der BVG gibt, war von Anfang an klar. Den Kurswechsel „Stabilität vor Wachstum“ haben wir dann nach eingehender Analyse Ende 2024 eingeleitet und die Hintergründe breit kommuniziert. Folgendes muss man dabei festhalten: Die BVG befindet sich seit Ende des letzten Jahres im größten personellen und inhaltlichen Umbau der jüngeren Vergangenheit. Diesen Prozess gehen wir mit aller Entschiedenheit an.

taz: Und dann kommt das Wachstum?

Falk: Es ist selbstverständlich mein Anliegen, dass sich die BVG wieder Zukunftsthemen widmen kann. Aber dafür braucht es halt erst mal ein Fundament. Es wurden viel zu viele Sachen parallel gemacht, da fehlt es an einer effizienten Aufstellung und Fokussierung im Unternehmen. Das wird sich ändern.

taz: „Krise? Welche Krise?“, heißt es von CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde über die Probleme Ihres Unternehmens, deren Aufstellung Sie gerade als ineffizient bezeichnet haben. Sehen Sie die Sache auch so locker?

Falk: Sagen wir so: Der Zustand der BVG ist kritisch und die Situation so, dass sie eine gewisse Radikalität erfordert. Aber das als „Krise“ zu bezeichnen? Da gehe ich nicht mit.

taz: Frau Bonde ist auch der Meinung, die Meckerer sollten mal halblang machen. Anderswo fahre die U-Bahn nur alle 10, 15 Minuten. Das sei alles eine Frage der Haltung. Wird in Berlin zu viel gejammert?

Falk: In Hamburg wird genauso viel gemeckert wie in Berlin. Dabei hat Hamburg im Vergleich zu Berlin ein wesentlich kleineres ÖPNV-System. Da gibt es vier U-Bahnlinien und ein Busnetz, und alles führt zum Hauptbahnhof. Es gibt keinen S-Bahn-Ring wie in Berlin, keine Tram. Man sollte sich immer mal wieder klar machen, wie gut ausgebaut das Berliner System schon ist.

taz: Das ist ja schön, dass das Berliner System generell gut ausgebaut ist. Nur fehlt es eben an Stabilität. Bleiben wir beim U-Bahn-Betrieb. Wann läuft der wieder stabil?

Falk: Bei der U-Bahn wollen wir spätestens Ende 2027 eine Zuverlässigkeit von 99 Prozent erreichen.

taz: Das heißt, nur 1 Prozent aller geplanten Fahrten fallen aus. 2024 waren es 6 Prozent.

Falk: Ja. Es kann auch gern schneller gehen. Aber niemand darf erwarten, dass ich das als Manager mit einem Fingerschnipsen hinkriege. Wir müssen große infrastrukturelle Herausforderungen bewältigen. Bei der U-Bahn sind das Hauptthema die Werkstätten. Wir bekommen jetzt bald so viele neue Fahrzeuge, wie wir in den letzten Jahrzehnten nicht bekommen haben. Die müssen dann alle nach einigen Jahren in die Hauptuntersuchung. Aber das gesamte Werkstattkonzept der U-Bahn ist noch nicht da, wo es hätte sein können. Wenn wir das bis dahin nicht hinkriegen, haben wir ein richtiges Problem.

taz: Wann rollen denn die ersten neuen U-Bahn-Züge? Für das sogenannte Kleinprofil, also die engeren und schmaleren Tunnel auf den Linien U1 bis U4, hieß es zuletzt: nach den Sommerferien. Waren da die Berliner oder die bayerischen Sommerferien gemeint?

Falk: Ich weiß, dass die Berliner Sommerferien am 6. September zu Ende sind. Anschließend werden wir Schritt für Schritt die Fahrzeuge im Kleinprofil einsetzen, die U2 wird dabei unser Fokus sein. Die Fahrerinnen und Fahrer werden schon geschult, und der Termin für das erste Fahrzeug, das wirklich im Fahrgastverkehr fährt, steht auch.

taz: Den werden Sie uns jetzt sicher auch nennen.

Falk: Unsere erste Fahrgastfahrt wird unmittelbar nach den Berliner Sommerferien stattfinden. Die komplette Lieferung der 140 Kleinprofil-Wagen wird in Rekordzeit und noch bis Ende des Jahres eingeflottet. 2026 kommt dann das Großprofil (für die Linien U5 bis U9; Anm. der Red.), das wird dann auch ungefähr bis Jahresende dauern. Das ist für die BVG auf jeden Fall ein Befreiungsschlag.

taz: Und dann läuft bei der U-Bahn alles wieder rund?

Falk: Auf der U2 wollen wir noch in diesem Jahr zeigen, dass wir mit den neuen Fahrzeugen und einem erneuerten Personalkonzept den Takt wieder stabilisieren können.

taz: Das hilft den Fahrgästen auf der U1 wenig, die seit Längerem nicht mehr bis zur Warschauer Straße fährt, sondern nur noch die drei Stationen von Wittenbergplatz bis Uhlandstraße bedient.

Falk: Wir haben da definitiv ein Thema. Auf der U1 müssen wir jeden Tag operativ entscheiden, ob wir die Züge fahren lassen oder die Fahrgäste zum Umstieg in die U3 bitten, die wir ja verstärkt haben.

taz: In der Regel entscheiden Sie sich jeden Tag für den Stummelbetrieb. Wann fährt die U1 wieder durch?

Falk: Wie gesagt, die Linie, auf der Sie in diesem Jahr deutliche Verbesserungen sehen sollten, ist die U2. Dann werden wir uns weiter vorarbeiten, und sobald wir alle neuen Fahrzeuge im Kleinprofil haben, werden wir den Takt auch wieder einhalten können. Jetzt kommt ein Aber.

Bunt, aber noch länger ohne U1: Berlins berühmteste U-Bahn-Linie wird regulär frühestens 2026 wieder am Kottbusser Tor halten Foto: Jens Gyarmaty

taz: Das da wäre?

Falk: Die für 2026 geplante Sanierung der Tunneldecke am U-Bahnhof Nollendorfplatz wird den Betrieb von U1 und U3 direkt betreffen, da werden wir Einschränkungen haben. Das wird Anfang kommenden Jahres noch mal richtig wehtun. Aber danach wird es auch hier viel stabilere Takte geben.

taz: Wenn wir schon beim Thema „Alles wird wie neu sein“ sind. Was ist eigentlich aus den neuen „Urbanlinern“ geworden? Die extralangen Trams sollten schon seit Anfang dieses Jahres rollen. Zu sehen ist davon nichts.

Falk: Die kommen auch noch dieses Jahr. Wir haben sie Mitte letzten Jahres vorgestellt, und inklusive aller Zulassungsprozesse hat sich das Ganze etwas verzögert. Der Unterschied ist: So sehr wir uns auf den „Urbanliner“ freuen – so eng beim Fuhrpark aufgestellt wie bei der U-Bahn sind wir bei der Tram definitiv nicht. Ich weiß, wenn man sagt, dass etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt, und dann kommt es nicht, ist das nicht gut. Nichtsdestotrotz hat es nicht die Dramatik wie bei der U-Bahn.

taz: Gleiches werden Sie vermutlich zum Thema Busse sagen. Es wurde lange versprochen, dass bis 2030 die Elektrifizierung der Flotte abgeschlossen ist. Das wird nichts, oder?

Falk: Wir stellen einen Großteil der Busflotte Schritt für Schritt und fokussiert auf Elektroantrieb um. Ich gehe dabei davon aus, dass wir 70 Prozent bis 2030 schaffen. Dabei ist aber der Umbau der Infrastruktur das eigentliche Thema. Wir bauen jetzt zwei neue Betriebshöfe für E-Busse bis 2027 und können dann 550 Busse betreiben. Danach geht’s los mit der Grundinstandsetzung der Höfe in der Müllerstraße und in Lichtenberg. Einen Großteil der Flotte bis 2035 auf emissionsfreien Betrieb umzustellen, ist ambitioniert, aber möglich. Ich würde aber nie zu 100 Prozent auf Elektro umstellen, das halte ich für falsch.

taz: Wieso?

Falk: Weil wir eine Resilienz im System brauchen. Dass kritische Infrastruktur resilient sein muss, haben wir spätestens seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine begriffen. In Krisensituationen spielt das Bussystem eine ganz wichtige Rolle, etwa bei großen Stromausfällen. Darum werden wir 20 bis 30 Prozent der Busflotte mit einer anderen emissionsfreien Technologie betreiben.

taz: Welcher denn? Dem von Umweltverbänden als Mogelpackung kritisierten HVO-Diesel?

Falk: Das werden wir sehen. Aber ja, aktuell sondieren wir HVO, also „Hydrotreated Vegetable Oils“, einen Dieselersatz aus Altspeiseölen. Aber ich bin auch bei E-Fuels überhaupt nicht dogmatisch, da wird es technologische Sprünge geben. Ich weiß, manche betrachten das kritisch.

taz: Heißt das, dass ein Teil der Dieselflotte einfach nur ein bisschen umgerüstet wird, aber ansonsten erhalten bleibt? Und was, wenn HVO mal knapp wird? Fahren die Busse dann wieder mit dem fossilen Zeug von vorgestern?

Falk: Wir prüfen derzeit ergebnisoffen, ob zusätzliche Maßnahmen die CO2-Emissionen unserer Bestandsflotte möglichst schnell senken können. Tests zur technischen Umsetzbarkeit von HVO100 haben wir bereits erfolgreich durchgeführt. Selbstverständlich sind für uns neben der technischen Machbarkeit aber auch die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit entscheidend. Hier haben wir nach wie vor Fragen an den Markt hinsichtlich der Lieferketten, zur gesamthaften Nachhaltigkeitsbilanz und zur ausreichenden Verfügbarkeit und Preisstabilität des Treibstoffs.

„Haben auf der U1 definitiv ein Thema“: Falk ist dann doch lieber mit dem Rad zum Interviewtermin am Kottbusser Tor gekommen Foto: Jens Gyarmaty

taz: Apropos Zukunftsmusik: Frau Bonde hat sich letztens mit Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder, CDU, getroffen, um mit ihm über Flugtaxis, Magnetschwebe- und Seilbahnen zu plaudern. Beneiden Sie die Senatorin dafür, dass sie über Utopien fern aller Bedarfe sinnieren darf, während Sie mit uns über die Probleme Ihres Unternehmens im Hier und Jetzt reden müssen?

Falk: Sie können schon davon ausgehen, dass Ute Bonde und ich abgestimmt mit dem Bundesministerium reden. Und wenn wir bis Ende 2027 Stabilität im Grundsystem hinkriegen, muss ich natürlich darüber nachdenken, was die nächsten Schritte sind. Es ist Frau Bondes und auch mein Job, weiter in die Zukunft zu denken.

taz: Das heißt, sobald die U-Bahn wieder stabil fährt, kriegt Berlin auch seine Schwebe- und Seilbahnen?

Falk: Ob Magnetschwebebahnen und Seilbahn-Linien im ÖPNV eine Antwort sind, kommt ganz drauf an. Es gibt Städte, die das machen. Aktuell liegt unser Fokus darauf, dass wir unser bestehendes Netz weiter optimieren und verbessern. Darüber sind wir uns mit der Senatsverwaltung vollkommen einig.

taz: Eine Stadt mit Seilbahnen ist zum Beispiel La Paz in Bolivien, wo es innerorts aber auch bis zu 1.000 Meter Höhenunterschied gibt, enge Gassen, Serpentinen, begrenzte Straßenkapazitäten. Etwas andere Notwendigkeit, oder?

Falk: Es sollte stets erst einmal ergebnisoffen und entlang von konkreten Bedarfen untersucht werden, ob ein Verkehrsträger möglicherweise auch in Berlin sinnvoll sein könnte – und das geht ganz ohne jeden Sarkasmus.

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