piwik no script img

Krise beim FC St. Pauli„Lethargische Stimmung“

Beim FC St. Pauli läuft es sportlich und atmosphärisch schlecht. Die Aufstiegsplätze sind weit entfernt und die personellen Wechsel bedeuten Unsicherheit.

Angespannt: Neu-Trainer Jos Luhukay (rechts) und Interims-Sportdirektor Andreas Rettig Foto: dpa

Hamburg taz | Eine „lethargische Stimmung“, so als ob es um den Abstieg und nicht um einen möglichen Aufstieg ginge, machte Präsident Oka Göttlich „in und um den Verein“ herum vergangene Woche aus. Dem Team warf er Angsthasenfußball vor: Es spiele, als wolle es „nur nicht verlieren, aber nicht, als wolle es unbedingt gewinnen“. Tatsächlich überließ die Mannschaft in dieser Saison selbst bei Heimspielen meist dem Gegner die Initiative.

Die Folge: Nach nur einem Punkt aus den letzten vier Spielen, bei zwei deftigen 0:4-Niederlagen, verlor die Mannschaft den Anschluss zur Tabellenspitze – Trainer Markus Kauczinsky und der bis zuletzt an ihm festhaltende Sportchef Uwe Stöver mussten vergangenen Mittwoch ihren Hut nehmen.

Die Vereinsführung: Personelle Kontinuität hatte Oke Göttlich bei seinem Amtsantritt vor viereinhalb Jahren versprochen und seitdem vier Sportchefs verschlissen. Heute sagt Göttlich: „Wenn ich die Wahl zwischen Kontinuität und Entwicklung habe, wähle ich die Entwicklung.“ Das Problem: Die Trainer und Sportchefs, die Göttlich für diese Entwicklung holte, hatten meist nur eine kurze Halbwertzeit. Die eigenen Fehlentscheidungen mussten korrigiert, das scheidende Personal abgefunden werden. Das kommt den Verein teuer zu stehen und das Geld fehlt für die Verstärkung der Mannschaft.

Trainer weg, Sportchef weg und im September nimmt auch der kaufmännische Direktor, Andreas Rettig, der für die nächsten Wochen übergangsweise auch als Sportchef fungiert, den Hut. Niemand weiß, wer Ende des Jahres bei St. Pauli am Ruder ist. Das erschwert die Kaderzusammenstellung für die neue Saison und jede mittelfristige Planung.

Die Fans: Das vielbeschworene Freudenhaus existiert nicht mehr, die Fans sind mit sich selbst beschäftigt. Pyro-Dauerbeschuss, der fast zum Abbruch des Stadtderbys gegen den HSV führte, und beleidigende Transparente gegen Jeremy Dudziak, der nach der Saison ausgerechnet zum Stadtrivalen wechselt, haben die Spaltung zwischen einzelnen Blöcken vertieft und eine „Wertediskussion“ unter den Fans ausgelöst. Von Euphorie im Aufstiegskampf ist auf den Tribünen nichts mehr zu spüren.

Die Finanzen: Anders als beim HSV wird auf St. Pauli solide gewirtschaftet und er ist nicht aus finanziellen Gründen dazu verdammt, aufzusteigen. Das neue Stadion wird planmäßig abbezahlt, das Nachwuchsleistungszentrum und das Trainingsgelände der Profis wurden modernisiert. Die finanziellen Planungen fußen fest auf der Zweiten Liga. Trotzdem kann der Club sich keine großen Sprünge erlauben und mit den finanzkräftigen Vereinen der Liga nicht mithalten.

Der Neue: Mit Jos Luhukay hat der Club das erste Mal seit Jahren einen Trainer verpflichtet, der für „Ballbesitzfußball“ und damit eine aktive, offensive Spielweise steht. Doch es wird dauern, bis die Mannschaft das neue Spielsystem wird umsetzen können. Viele Fans reagieren skeptisch auf den Neuen, weil er keinen Stallgeruch mitbringt, „nicht zu St. Pauli passt“. Ohnehin hat Göttlich aus Sicht vieler Anhänger zu selten verdiente Spieler nach ihrer Karriere an den Verein gebunden und zu oft auf externe personelle Lösungen gesetzt.

Der Neuanfang: In der ersten Halbzeit wirkte St. Paulis Mannschaft verunsichert und war den Gästen in allen Belangen gnadenlos unterlegen. Sie konnte sich glücklich schätzen, nur mit einem 0:1-Rückstand in die Pause zu gehen. Doch in der zweiten Hälfte zeigte das Team am Sonntag gegen Arminia Bielefeld ein anderes Gesicht: Die Hamburger dominierten die Ostwestfalen, zeigten engagierten Fußball und kamen durch Ryo Miyachi (48.) zum schnellen und letztendlich verdienten 1:1-Ausgleich. Zum fünften Mal hintereinander ohne Sieg rutschte das Team dennoch auf Platz sieben ab. Die Mannschaft braucht nun eine Siegesserie, um noch um den Aufstieg in die Bundesliga mitzuspielen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!