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Krise an der Elfenbeinküste"Am Rande eines Völkermords"

Während das Gbagbo-Lager immer heftiger gegen seine Gegner hetzt, warnt Ouattaras Vertreter bei den UN vor einem Genozid. Die UNO erwägt ein aktiveres Eingreifen.

Gbagbo erkennt seine Niederlage nicht an und reißt das Land in einen Strudel der Gewalt. Bild: dpa

Antoinette Allanny war gerade im Abidjaner Nobelviertel Riviera aus dem Auto gestiegen und wollte eine Bankfiliale betreten, als die mit Eisenstangen und Knüppeln bewaffneten Milizionäre kamen. "Ich hörte Schreie: Das ist sie!", berichtete die bekannte ivorische Sängerin. "Wir werden sie töten!", hätten die Angreifer gerufen und: "Gbagbo hat gesagt, man soll alle Baoulé töten und alle Dioula."

Die Dioula ist die im Norden der Elfenbeinküste beheimatete Ethnie des ivorischen Wahlsiegers Alassane Ouattara, der sein Amt nicht antreten kann, weil Amtsinhaber Laurent Gbagbo das Wahlergebnis nicht anerkennt. Die Baoulé sind die große zentralivorische Ethnie des Expräsidenten Henri Konan Bédié, der mit Ouattara ein Wahlbündnis geschlossen und damit seinen Sieg garantiert hatte.

Allanny hatte im Wahlkampf für Ouattara gesungen; sie ist eine Baoulé. Ihre Angreifer waren Mitglieder der Gbagbo-treuen Studentengewerkschaft Fesci (Föderation der Schüler und Studenten der Elfenbeinküste). Der Fesci-Chef des nahen Studentenwohnheims brachte schließlich die Sängerin in Sicherheit; ihr Auto blieb als Wrack zurück.

Seit die internationale Gemeinschaft über eine Militärintervention gegen Gbagbo nachdenkt, radikalisiert sich der Diskurs der Gbagbo-Anhänger in der Metropole Abidjan. Gbagbos Jugendminister Blé Goudé rief am späten Mittwoch dazu auf, am Wochenende das "Hotel du Golf" zu stürmen, wo Ouattara und sein Premierminister Guillaume Soro unter UN-Schutz residieren. "Die Ivorer" hätten "genug von diesen Eiterbeulen Soro und Ouattara" und warteten nur auf den "Einsatzbefehl, um dieses Geschwür zu entfernen", sagte er vor mehreren tausend Anhängern auf einer Kundgebung.

Solche Töne nähren Warnungen vor einem Genozid in der Elfenbeinküste. "Wir stehen am Rande eines Völkermordes", warnte kurz nach Blé Goudés Rede der von Ouattara ernannte neue UN-Botschafter der Elfenbeinküste, Youssouf Bamba, in New York. In Teilen Abidjans seien die Häuser bereits nach ethnischer Zugehörigkeit ihrer Bewohner gekennzeichnet worden. "Die Lage ist sehr ernst", fügte der erfahrene Diplomat hinzu. "Es muss etwas getan werden. Der Schutz von Zivilisten ist Kern der Mission der UNO in der Elfenbeinküste und wir erwarten, dass sie ihre Mission erfüllt."

Bisher verhalten sich die UN-Blauhelme in der Elfenbeinküste möglichst passiv. Doch jeden Tag kommt es irgendwo in Abidjan zu Zusammenstößen zwischen Gbagbo-Anhängern und UN-Patrouillen. Am Mittwoch wurden drei UN-Panzerfahrzeuge im Viertel Abobo eingekesselt und gaben Warnschüsse ab, um sich freie Fahrt zu erzwingen. In der westlichen Stadt Daloa stoppten Gbagbo-Milizen am gleichen Tag einen UN-Konvoi, durchsuchten die 14 Fahrzeuge und beschimpften eine Stunde lang die UN-Soldaten aus Bangladesch, die zum Glück kein Wort verstanden.

UN-Untergeneralsekretär Alain Leroy erwägt nun eine aktivere Rolle: "Um Zivilisten zu schützen, werden wir Straßensperren durchbrechen", sagte er am Mittwoch zum Abschluss eines Besuchs in Abidjan. Gbagbos Parteizeitung Notre Voie hatte Anfang dieser Woche in Reaktion auf eine militärische Interventionsdrohung der westafrikanischen Regionalorganisation Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) gewarnt, die zahlreichen westafrikanischen Immigranten in Abidjan seien "in Gefahr".

Im Klartext: Sollten Truppen aus Westafrika in Abidjan landen, gelten deren dort lebende Bürger als Feinde. Und die Angehörigen der ethnischen Gruppen, die bei der Wahl Ouattara unterstützten, gleich mit. Ivorischen Zeitungen zufolge sind bereits elf Staatsbürger Malis "summarisch hingerichtet" worden. Der Verband der Burkiner in der Elfenbeinküste zählte am Dienstag neun getötete Angehörige.

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4 Kommentare

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  • 1
    1-Gaou

    "Am Rande eines Völkermordes" - JA! Aber durch die Hetze Frankreich's, eine vorschnelle Festlegung auf einen Kandidaten, ein Beharren auf Nicht-Nachforschung der vielen Anfechtungen bei der Wahl selbst und vor allem, weil die UNO die Rebellen NICHT entwaffnet wurden, wie im Friedensabkommen von Ouagadougou vorgesehen! Der Süden wird NIE einen Ouattara mit seinen Rebellenmilizen akzeptieren!

  • GS
    Gunnar Sturm

    @label

     

    Inzwischen gibt es schon Zeugen die besagen: "UN hat auf unbewaffnete Zivilisten geschossen". Es wird immer doller!

    Ich fahre am 8 Jan. zu einer Demo gegen die UN in Genf.

     

    Es geht nicht nur um Privilegien: Sollten die FN die Macht übernehmen, so werden zuerst die Offiziere und die Polizei getötet (so war das auch in Bouake)

     

    Ihre Meinung interessiert mich sehr. Bitte kontaktieren Sie mich. Sie finden mich leicht indem Sie nach Gunnar Sturm googlen.

     

     

     

    @Beye

     

    Ich bin anderer Meinung als Dominik Johnson, aber hier kann man noch diskutieren. Dafür hatte ich auch schon ein "Danke TAZ" formuliert.

  • L
    label

    "Wir stehen am Rande eines Völkermordes", warnte [..] der von Ouattara ernannte neue UN-Botschafter der Elfenbeinküste, Youssouf Bamba."

     

    Der gute Mann hatte leider seinen bedeutungsschwangeren Satz nicht zu Ende gebracht, es müsste noch ein "... den die UNO durch ihre Parteilichkeit mitzuverantworten hätte." drangehängt werden. Aus dem Völkermord in Ruanda hat die UNO leider nichts dazugelernt, denn es wird wieder eine Ethnie, die zudem Bürgerkriegspartei ist, von der internationalen Gemeinschaft und den ehemaligen Kolonialherren unverkennbar übervorteilt.

     

    Weder Gbabgo noch Outtara sind Präsidenten des ganzen ivorischen Volkes, der eine repräsentiert den Süden, der andere den Norden. Es fehlt ein Kandidat, der beide Seiten vermitteln kann, ein "Brückenbauer", der von allen in der Elfenbeinküste lebenden Ethnien gleichermaßen akzeptiert wird. Nur dann ist ein auf Dauer angelegter Frieden zwischen den Parteien möglich. Interim kann nur eine Beteiligung beider Lager an einer gemeinsamen Regierung aus der Krise helfen. Business as usual: Gbagbo als Präsident und Soro als Premierminister als Gleichgewicht der Kräfte, bis einer oder mehrere geeignete Kandidat(en gefunden wurde.

     

    Die alleinige Fixierung auf Gbagbo als Ultrabösewicht ist meines Erachtens kontraproduktiv für die Zukunft der Elfenbeinküste. Gbagbo wird von den südivorischen Bevölkerung und dem Militär unterstützt, eine militärische Option ist damit ein militärisch Abenteuer, das völkerrechtlich nicht zu vertreten wäre. Selbst wenn Gbabgo freiwillig oder gezwungenermassen abtreten sollte, wird sich das Militär und die Verwaltung nicht ergeben, sondern einen Putsch versuchen. Welcher General, welche ranghohe Funktionär würde denn auf seine Macht und seine Privilegien verzichten? Sollte Outtara die komplette Kontrolle über die Elfenbeinküste gewinnen, werden die Posten der ranghohen Beamten und Soldaten sicherlich neu und ausschliesslich an Dioulas vergeben werden. Das Postengeschacher fängt ja jetzt schon an: Der neue UN-Botschafter Youssouf Bamba, dessen Name eher typisch für einen Mali oder Burkinabé ist, ist zumindestens ein Dioula. Höchstwahrscheinlich werden auch die neuen Botschafter in Paris und Brüssel nordivorischer Herkunft sein. Das Rumdrucksen der französischen Regierung spricht hier Bände! Übrigens gab es unter Gbagbo Posten in der Verwaltung auch für Nordvivorer.

     

    Vielleicht haben aber auch Gbagbo und seine Gefolgsleute keine Lust mit anzusehen, wie aus ihrem Land im Namen der Demokratie mittels "Nationbuilding" ein ewiges Pulverfass kreiert wird, wie es nun in Irak oder Afghanistan passiert ist. Oder geht es hier nicht um Demokratie, sondern um Erdöl für die US-Amerikaner und Wahrung der Interessensphäre Frankreichs?

     

    Es ist zu befürchten, dass Gbagbo, der mit den Chinesen wirtschaftlich enger zusammenarbeiten möchte und deshalb von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreichs zur Persona non grata erklärt wurde, nur allzu schnell und ohne Rücksicht auf Verluste durch Sarkozys Duzfreund Outtara ersetzen werden soll.

  • B
    Beye

    Liebe TAZ-Journalisten, Alles Gute zum neuen Jahr. Ich bin eine Westafrikanerin ( Großeltern aus Mali, Guinea und Senegal) und meine Familie hat 16 jahre in der Elfenbeinküste gelebt. Wir beten Alle Gott, damit die Situation in diesem Land nicht eskaliert. Sehr viele Westafrikaner haben dort Angehörige. Warum? Es war vor Jahren das Eldorado von Westakrika. Wie sie sehen gibt es überall auf dieser Welt Vorurteile gegen Fremde, Xenophobie und Intoleranz.

    Danke für ihre gut recherchierten Informationen, die trotz Pressefreiheit in den Webseiten und Zeitungen unserer Länder noch nicht publiziert wurden.

    DANKE