piwik no script img

Kriegsverbrecherprozess in StuttgartDie Opfer haben das Wort

Bei der Eröffnung des Prozesses gegen die beiden Führer der ruandischen Miliz FDLR versucht die Verteidigung, die Verlesung der Anklage zu verschleppen.

Proessauftakt gegen die beiden Führer der FDLR in Stuttgart. Bild: dapd

STUTTGART taz | Es wird mucksmäuschenstill im Saal, als Oberstaatsanwalt Christian Ritscher das Schicksal von Zeugin Z6 verliest. Sie wurde in ihrer Hütte im kongolesischen Dschungel mit dem Bajonett in den Oberschenkel gestochen und dann vergewaltigt, während ihr gefesselter Mann zusehen musste.

Die 13-jährige Tochter wurde gleich von fünf Kämpfern der Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) hintereinander missbraucht. Dann verschleppten die ruandischen Hutu-Milizionäre die kongolesische Familie in den Urwald. Zeugin Z6 wurde in einem FDLR-Militärlager als Sexsklavin eines Milizenkommandanten gehalten und jeden Tag vergewaltigt. Nach sieben Monaten konnte sie fliehen. Ihr Mann und ihre Tochter sind verschollen.

Das alles geschah im Jahr 2008. Am 4. Mai 2011 ist das Leid von Z6 und anderer kongolesischer Opfer der FDLR Thema im 6. Saal des Oberlandesgerichts Stuttgart. Auf der Anklagebank sitzen dort der in Deutschland lebende FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und sein Vize Straton Musoni, angeklagt "als Rädelsführer einer Vereinigung im Ausland, deren Zweck darauf ausgerichtet ist, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen". Es ist der erste deutsche Gerichtsprozess unter dem Völkerstrafgesetzbuch, das die Verfolgung von Kriegsverbrechen weltweit ermöglicht.

Butolongi. Busurungi. Kibua. Kiboko. Lauter kleine Dörfer im Osten der Demokratischen Republik Kongo, deren Bewohner laut Anklage dem Terror der FDLR in den Jahren 2008 und 2009 zum Opfer fielen. Damals habe die unter militärischen Druck der kongolesischen und ruandischen Armee geratene Miliz "planmäßig humanitäre Katastrophen" geschürt, um "die Gefügigkeit der Bevölkerung zu erzwingen". Er zählt auf: 214 Tote. 15 Vergewaltigungen. 5 Versklavungen. 67 Fälle von Freiheitsberaubung. Die nüchternen Worte des Oberstaatsanwalts hallen von den kalten weißen Wänden des Gerichtssaals.

Die Verteidigung erzwingt Unterbrechungen

Aber man sieht Ritscher das Entsetzen an, als nach seiner halbstündigen Verlesung Verteidigerin Andrea Groß-Bölting moniert, er habe den Namen einer Zeugin verschwiegen, und ihn dann selber laut vorliest. Die Verteidigung sieht im Weglassen des Namens eine unvollständige Verlesung der Anklageschrift, also einen schwerwiegenden Verfahrensfehler, und erzwingt zum wiederholten Mal eine Unterbrechung. Während der Pause schimpft Ritscher empört: "Diese Frauen sind Opfer von Verbrechen. Wir wissen doch nicht einmal, ob sie noch leben."

Dass die Anklage überhaupt am Nachmittag noch zur Verlesung kommt, damit rechneten die wenigsten Beobachter, nachdem den ganzen Vormittag lang die acht Anwälte der beiden Angeklagten den Prozess zur Show umfunktioniert hatten. Erst sagten sie per vorab verteilter Presseerklärung, das Verfahren sei ein "politischer Prozess".

Dann beantragten sie aus unterschiedlichsten Gründen die Aussetzung oder Einstellung: Die Akten seien nicht vollständig. Der Angeklagte habe das Recht auf Zugang zu den Aufnahmen seiner abgehörten Telefongespräche. Die Staatsanwälte seien befangen, weil sie erst ermittelt hätten und jetzt die Anklage verträten. Man werde das Bundesjustizministerium einschalten.

Alles reines Theater

Es ist alles reines Theater. "Natürlich kommen die Anträge nicht durch", sagt Verteidigerin Ricarda Lang in der Mittagspause und lacht.

Der Vorsitzende Richter Jürgen Hettich, den Stuttgarter Beobachter als erfahren und kompetent beschreiben, hört sich das alles mit unbewegter Miene an und bleibt auch dann gelassen, als die Verteidigung sogar seinen eigenen Ausschluss aus dem Verfahren fordert. Er geht kurz hinaus, kommt wieder, schmettert alle Anträge auf Unterbrechung ab und lässt die Anklage verlesen. Da plötzlich kehrt Ruhe ein, es geht zur Sache.

FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka, des Deutschen mächtig, aber mit Dolmetscherin ausgestattet, hört aufmerksam zu. Der mutmaßliche Drahtzieher einer Terrorkampagne, die er von Deutschland aus "bestimmt und gesteuert" haben soll, wirkt viel jünger als die 48 Jahre, die er am 14. Mai vollenden wird. Locker und zuversichtlich sitzt er im lila Hemd und guckt aufmerksam in die Runde. Ganz anders als sein nur zwei Jahre älterer Mitangeklagter Musoni, der im Anzug auf der Bank sitzt und nur selten die Augen hebt.

Aber sie beide sagen kein einziges Wort. Außer wenn ganz am Anfang Murwanashyaka die Angaben zur Person seitens des Richters bestätigt. "Ignace" haucht er in den Saal.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • DT
    Der Todsünder

    Nun, die Angeklagten leben in Deutschland, also müssen wir (Deutschen) sie zunächst aus dem Verkehr ziehen. Eine internationale Bühne für dieses Spektakel wäre mir allerdings auch lieber.

    Aber mal Hand aufs Herz, wird es nicht langsam Zeit über ernstzunehmende Strafalternativen zu Todesstrafe oder Inhaftierung nachzudenken? Töten NEIN, aber lebenslang kostspielig versorgen ebenso NEIN.

    Und noch was: Rechtsanwälten, welche die Strafprozessordnung in der geschilderten Weise mißbrauchen, sollte man die Zulassung entziehen.

  • DP
    Der Pessimist

    Ich wünsche mir das es der Wissenschaft eines Tages gelingt so etwas wie ein Soziopathengen zu isolieren.

    Allen Menschen welche ein solches aufweisen wäre es verboten sich zu vermehren.

    Unsere Welt wäre dann nach kurzer Zeit ein guter Ort.

    Die Kreaturen im menschlichen Anlitz würden aussterben.

    Im übrigen denke ich das wir bereits mit beiden Beinen im 3 Weltkrieg stehen. Wenn auch nicht im "klassischen" Sinne.

    7,5 Milliarden Menschen und ich träume eine Welt von maximal 10% dieses Fluches für unsere wunderschöne Heimat Erde.

    Das Elend würde dann allerdings lediglich wieder von vorne beginnen.

     

    Direkte Demokratie gegen Blut, Schweiß und Tränen solange es nicht möglich ist die Saat der Kreaturen weltweit in allen Schichten auszutrocknen.

  • KB
    karin bryant

    Ich bin mir nicht sicher dass die BRD das richtige Land ist um diese Verbrechen vor Gericht zu bringen und zu bestrafen.Den Haag,wo der internationale Gerichtdshof sitzt waere sicherlich der bessere Ort dafuer. Die dt.Gerichte koennen doch nicht einmal einen Gewaltverbrecher der hier im Land uebles anrichtet vernuenftig bestrafen.