Kriegsverbrechen in Kroatien: Exgeneral vor UN-Tribunal
Ante Gotovina und zwei Mitangeklagten wird vorgeworfen, für die Morde an 150 serbischen Zivilisten 1995 in Kroatien verantwortlich zu sein. Doch der Nachweis individueller Schuld ist schwierig.
SPLIT taz Die Leidenschaften des Krieges der 90er-Jahre sind auch in Kroatien verebbt. Die Reaktionen auf den am Montag begonnenen Prozess gegen den früheren General Ante Gotovina vor dem UN-Tribunal in Den Haag sind daher eher nachdenklich als aggressiv. Demonstrierten noch im Dezember 2005 Zehntausende in der dalmatinischen Hafenstadt Split gegen die kurz zuvor erfolgte Festnahme Gotovinas, so ist heute mit derartigen Aktionen kaum zu rechnen. Die Menschen sind in Bezug auf die Ereignisse von 1995 müde geworden.
Dennoch dürfte der Fall Gotovina zur Aufarbeitung der Geschichte in Kroatien wesentlich beitragen. Denn was der Ankläger Alan Tieger am Dienstag in Anwesenheit von Gotovina sowie den beiden Mitangeklagten, den ehemaligen Garnisonskommandeur Ivan Cermak und den Polizeigeneral Mladen Markac, vortrug, wiegt schwer. So sollen die drei Angeklagten für die Morde an mindestens 150 serbischen Zivilisten im Rahmen der Operation "Sturmwind" im August 1995 verantwortlich sein.
Tieger benannte in diesem Zusammenhang auch mehrere inzwischen verstorbene hohe Funktionsträger Kroatiens - wie den damaligen Präsidenten Franjo Tudjman und weitere Mitglieder des Generalstabs, so den früheren Verteidigungsminister Gojko Susak und Generalstabschef Anton Bobetko. Auch sie trügen Verantwortung für die Ereignisse. Und die stellen sich laut der Anklage so dar: Während der militärischen Offensive zur Rückeroberung der 1991 von Serben besetzten Gebiete in Kroatien beschossen die kroatischen Truppen auch zivile Ziele und nahmen so den Tod von Zivilisten in Kauf. 150.000 bis 200.000 Menschen seien damals aus ihrer Heimat vertrieben worden. Im Zuge der Aktion "Sturmwind" seien viele serbische Dörfer, insgesamt 16.857 der rund 21.000 serbischen Häuser, durch Brandstiftung und Artilleriebeschuss zerstört worden, erklärte der Ankläger.
Die militärische Offensive diente nicht nur der Rückeroberung der von Serben besetzten Gebiete, sondern der systematischen Vertreibung der serbischen Bevölkerung. Die Anklage sieht Gotovina und seine Mitangeklagten als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zur Vertreibung der Serben aus Kroatien an.
Tieger hat die Anklage sehr breit angelegt. Denn in Bezug auf den Nachweis einer individuellen Schuld tut sich der Ankläger schwer. Ante Gotovinas Verteidiger können anführen, dass sich der Kommandierende der kroatischen Truppen in Dalmatien schon wenige Tage nach der 72 Stunden währenden militärischen Blitzoffensive in ein anderes Kriegsgebiet in Bosnien und Herzegowina begeben hatte. Dort wollte er eine weitere Offensive der kroatisch-bosnischen Truppe HVO und der mit ihnen verbündeten Bosnischen Armee (Armija BIH) vorbereiten.
Die kroatischen Kampftruppen selbst, dies bestätigen auch Menschenrechtsgruppen, hätten kaum nachweisbare Verbrechen an Zivilisten verübt. Für diese Verbrechen seien die nachrückenden Truppen, Zivilisten und kroatischen Polizeieinheiten verantwortlich, die aber nicht mehr unter dem Kommando von Gotovina standen.
Für den kroatischen Intellektuellen Ivo Banac bietet der Prozess die Möglichkeit, die wirklichen historischen Hintergründe für die Vertreibung der Serben aus Kroatien und die Vertreibung von Kroaten aus Bosnien aufzudecken. Er spielt damit auf die These an, die kroatischen und serbischen Präsidenten Franjo Tudjman und Slobodan Milosevic hätten von vornherein einen Bevölkerungsaustausch geplant.
Die 1992 über 200.000 von Serben vertriebenen Kroaten aus dem nordbosnischen Posavina-Gebiet sollten 1995 nach der Vertreibung der Serben aus Kroatien in deren Gebieten angesiedelt werden, während die serbischen Vertriebenen aus Kroatien in die von Kroaten verlassenen Gebiete in Bosnien einrücken sollten. Die als "ethnical engeneering" bezeichnete Politik ist bisher nicht bewiesen, obwohl vieles dafür spricht.
Die Menschen allerdings haben dabei nicht mitgespielt. Nur sehr wenige Posavina-Kroaten sind, wie vom damaligen Präsidenten Tudjman gewünscht, in die von Serben verlassenen Gebiete der Krajina eingerückt. Und immerhin ein Drittel der Serben sind nach Kroatien zurückgekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen