Kriegsrecht in Südkorea: Wachsam für die Demokratie
Erst vor wenigen Jahrzehnten haben sich die Koreaner ihre Demokratie erkämpft. Nach dem kurzzeitig ausgerufenen Kriegsrecht sind sie bereit, sie zu verteidigen.
A ls der 21-jährige Nam am Dienstagabend auf sein Smartphone blickt, traut er kaum seinen Augen. „Ich dachte: Ist das ein Film?“, erinnert sich der Student, der vor der Yonsei-Universität in Seoul gerade eine Raucherpause macht. Doch was wie ein Action-Blockbuster anmutet, ist bittere Realität: Militärhubschrauber, die im Mondlicht auf dem Dach des Parlaments landen.
Soldaten, die die Nationalversammlung weiträumig abriegeln. Und ein Präsident, der von „pro-nordkoreanischen Kräften“ fabuliert. All dies kennen koreanische Millenials nur aus Geschichtsbüchern über die Zeit der Militärdiktatur. Doch spätestens seit dieser Woche ist jene überwunden geglaubte Vergangenheit kurzfristig wieder zurück gekehrt.
„Präsident Yoon sollte zurücktreten“, findet Student Nam. Und bevor er wieder in die Uni huscht, fügt er noch hinzu: „Viele Ausländer denken, dass es jetzt gefährlich ist in Korea. Aber das stimmt nicht. An allen Unis im Land verteidigen Studenten ihre Demokratie.“
Erinnerungen an frühere Staatsgewalt
Seine Worte sind weit mehr als nur rhetorische Floskeln. Vor nicht einmal vierzig Jahren hüllten fast täglich dicke Nebelschwaden das Eingangstor der Yonsei-Universität ein und Polizisten gingen mit Tränengas gegen protestierende Studenten vor. Einer von ihnen, der damals 22-jährige Lee Han Yeol, wurde dabei von Sicherheitskräften getötet. Eine Tafel erinnert bis heute an den „Märtyrer der Demokratiebewegung“.
Weil sich die Koreaner ihre Freiheit so hart erkämpft haben, sind sie besonders wachsam – selbst über die eigenen Lager hinweg.
So hat der Vorsitzende der Regierungspartei, Han Dong Hoon, am Freitagmorgen unmissverständlich klargemacht: Präsident Yoon Suk Yeol müsse seines Amtes enthoben werden. Nur wenige Minuten zuvor hatte Han die schaurigen Details von Yoons Plänen erfahren: Yoon hatte demnach die Verhaftung mehrerer Abgeordneter befohlen, auch aus den eigenen Reihen.
Hohes Bildungsniveau, bürgerrechtliches Bewusstein
„Für mich klang das alles nach Nordkorea-Zeugs“, sagt Chan Yeong, ebenfalls Student. Doch Sorgen um sein Heimatland hat er nicht: Das Bewusstsein für Bürgerrechte in Südkorea sei hoch, das Bildungsniveau auch. Sein Freund Jeon stimmt zu: „Ich habe Vertrauen in unsere Verfassung. Wir haben das schließlich alles schon mal erlebt, während der Zeit der Militärs.“
Und wahrscheinlich genau deswegen sind die Koreaner bereit, für ihre demokratischen Werte aktiv einzustehen. Am Freitagabend formierten sich entlang der breitspurigen Sejong-Straße Zehntausende Demonstranten beider Lager: Die konservativen Befürworter Yoons, fast ausschließlich ältere Menschen, schwenkten wahlweise Südkorea- oder USA-Flaggen. Ihnen gegenüber marschierten die Anhänger der Opposition auf, zahlenmäßig überlegen. Getrennt wurden sie von Bereitschaftspolizisten, die ansonsten dem Treiben friedlich zuschauten.
Tatsächlich wurde Südkoreas Demokratie in den vergangenen Tagen auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Doch bisher sieht es so aus, als würde das Land sie bestehen. Der neue Verteidigungsminister, erst seit wenigen Stunden im Amt, hat dies ebenfalls unterstrichen: Einem Befehl für ein erneutes Kriegsrecht werde er nicht Folge leisten. „Gestern war Südkorea eine dynamische, manchmal chaotische, aber durch und durch friedliche Demokratie“, sagt der Holländer Jacco Zweetsloot, der seit Jahrzehnten in Seoul lebt: „Heute ist es das immer noch. Die Koreaner können stolz auf sich sein.“
Bis zum Samstagabend werden die Abgeordneten nun über ein Amtsenthebungsverfahren abstimmen, das große Aussicht auf Erfolg hat. Vor dem Parlamentsgebäude, wo noch vor wenigen Jahrzehnten Militär aufmarschierte, werden Hunderttausende laut ihre Meinung kundtun. Und dafür einstehen, dass ihr Land politisch nicht in die Vergangenheit zurückfällt.
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