Krieg zwischen Israel und Hamas: Westjordanland könnte Front werden

Mit einem groß angelegten Militäreinsatz geht Israel im Westjordanland gegen Militante vor. Der Iran und Siedler treiben die Eskalation voran.

Hinterlassenschaft des Militäreinsatzes: ein von einer israelischen Bombe zerstörtes Auto am Mittwoch in der Nähe von Dschenin Foto: Nasser Ishtayeh/imago

JERUSALEM taz | In der Nacht auf Mittwoch sind israelische Soldaten in mehrere Orte im Norden des besetzten Westjordanlands eingedrungen, dabei wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums mindestens neun Menschen getötet. Die Armee ging nach eigenen Angaben vor allem in Tulkarem, aber auch in Dschenin und in dem Flüchtlingslager Far’a nahe Tubas vor. Ein Armeesprecher sagte, die Operation stehe im Zusammenhang mit der gestiegenen Anzahl an Anschlägen auf Israelis aus dieser Region, darunter der gescheiterte Bombenanschlag in Tel Aviv Mitte August. Im Einsatz seien Infanteristen, Flugzeuge und Drohnen.

Laut dem Gouverneur von Dschenin riegelte die Armee die Stadt im Norden des Westjordanlands ab. Das Gesundheitsministerium meldete, dass Soldaten ein Krankenhaus und andere medizinische Einrichtungen umstellt hätten. Das Militär würde Krankenwagen auf darin versteckte Kämpfer untersuchen, teilte die Klinik mit. Die Armee meldete, die Soldaten würden das Krankenhaus nicht betreten, auch der Zugang sei weiter möglich. Videoaufnahmen zeigten außerdem gepanzerte Bulldozer in Tulkarem, die Straßen und Infrastruktur zerstören, laut der Armee eine Maßnahme gegen Sprengfallen.

Der Einsatz befeuert Befürchtungen, das Westjordanland könnte sich zunehmend zu einer weiteren Front – neben dem Krieg im Gazastreifen und den Auseinandersetzungen mit der Hisbollah an der Grenze zum Libanon – entwickeln. Die Hamas rief die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde auf, sich „der heiligen Schlacht für unser Volk anzuschließen“. Der bewaffnete Arm der Fatah, der Fraktion von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, erklärte, an den Kämpfen beteiligt zu sein.

Die Operation könnte mehrere Tage andauern, berichtete die Zeitung Haaretz unter Berufung auf die Armee. Im Fokus stehe ein Netzwerk, das im August einen Bombenanschlag in Tel Aviv ausführen wollte. Die Rucksackbombe detonierte jedoch, bevor der Attentäter sein Ziel erreicht hatte, tötete ihn selbst und verletzte einen Passanten. Es war der erste Selbstmordanschlag in Tel Aviv seit acht Jahren. Sowohl die Hamas als auch der Palästinensische Islamische Dschihad (PIJ) bekannten sich zu dem Anschlag. Der Attentäter Jaafar Mona kam laut Haaretz aus Nablus.

Mindestens elf Tote durch Siedlergewalt

Die Hamas versucht seit ihrem Überfall auf Israel am 7. Oktober, den Krieg auf das Westjordanland auszuweiten. Zumindest bisher ist sie damit weitgehend gescheitert. Doch die Lage ist so angespannt wie selten zuvor. Die hohe Zahl der zivilen Opfer durch israelische Angriffe auf Gaza haben viele Palästinenser radikalisiert. Die kontinuierlichen Razzien der israelischen Armee, bei denen seit Oktober mehr als 650 Palästinenser getötet wurden, verschärfen die Spannungen weiter.

Über Jordanien gelangen demnach mit Unterstützung aus Teheran vermehrt Waffen ins Westjordanland

Hinzu kommt eine beispiellose Welle an Gewalt seitens extremistischer Siedler, die seit Kriegsbeginn mindestens elf Menschen getötet haben, mitunter in Anwesenheit israelischer Sicherheitsbehörden.

Der Chef von Israels Inlandsgeheimdienst Shin Bet, Ronen Bar, sah sich vor diesem Hintergrund vor zwei Wochen zu einem Brandbrief an Regierungschef Benjamin Netanjahu und sein Kabinett veranlasst. Darin warnt er, der „Terrorismus“ radikaler Teile der jüdischen Siedlerbewegung sei außer Kontrolle und eine Bedrohung für die nationale Sicherheit.

Auch der Iran versucht laut Medienberichten, die Lage in dem besetzten Gebiet zur Eskalation zu treiben. Über Jordanien gelangen demnach mit Unterstützung aus Teheran vermehrt Waffen ins Westjordanland. Laut Israels Armee verübten militante Palästinenser aus Tulkarem und Dschenin seit dem Beginn des Krieges in Gaza etwa 150 Anschläge – mit Schusswaffen und mit Sprengsätzen. Der israelische Außenminister Israel Katz schrieb auf Twitter von einem „islamistisch-iranischen Terrornetzwerk“.

Außenminister Katz: „Terrorfront gegen Israel“

Ähnlich wie im Gazastreifen und dem Libanon wolle Teheran im Westjordanland eine „östliche Terrorfront gegen Israel“ aufbauen. Die israelische Armee müsse daher „mit der terroristischen Infrastruktur genau so umgehen, wie in Gaza“. Dazu zähle auch die temporäre Evakuierung von Zivilisten. Die Armee teilte allerdings mit, dass es keine Evakuierungspläne für das Westjordanland gebe.

Israels rechtsextremer Minister für Nationale Sicherheit, Ita­amar Ben Gvir, hatte jüngst die Stimmung mit umstrittenen Aussagen zum Tempelberg in Jerusalem weiter angeheizt. Es sei Juden erlaubt, dort zu beten, sagte er dem Armee-Radiosender. Eigentlich herrscht dort ein sensibler Status quo: Juden dürfen das auch für Muslime heilige Gelände besuchen, nicht aber dort beten. Verteidigungsminister Joav Galant kritisierte Ben Gvirs Aussage und nannte sie „unverantwortlich“.

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