Krieg ums Öl: Hunderte Tote in Nigerias Ölrevier
Eine Großoffensive nigerianischer Militärs gegen Rebellen in den Sumpfgebieten des Niger-Deltas fordert zahlreiche zivile Opfer.
BERLIN taz | Oporoza existiert nicht mehr. Am Freitag vor einer Woche sollte in der südnigerianischen Kleinstadt ein Fest stattfinden: Traditionelle Tänzer sammelten sich vor dem Königspalast, eine Menschenmenge füllte die Straße. Dann näherten sich Kampfhubschrauber im Tiefflug und eröffneten das Feuer mit Raketen, so Augenzeugen. "Ich sah Bomben und Feuer und Schüsse, wir ergriffen die Flucht", berichtete die 19-jährige Happiness Michael gegenüber BBC.
Fünf Tage stapfte sie mit den anderen Ortsbewohnern durch den Sumpf des Niger-Flussdeltas in die Provinzhauptstadt Warri. Da lebt jetzt auch Oporozas traditioneller König, Chief Alfred Bubor. "Ich war auf dem Klo, als es bumm machte", erinnerte er sich, "das Licht ging aus und die Wand fiel in sich zusammen."
So begann am 15. Mai ein Militärschlag gegen Rebellen in Nigerias Ölfördergebieten, der nach Angaben von Beobachtern die schwersten Kämpfe in der Region seit dem Biafra-Sezessionskrieg Ende der 1960er-Jahre ausgelöst hat. Von 1.000 Toten, meist Zivilisten, spricht die militante Jugendorganisation Ijaw National Congress. Am Donnerstag erklärte Amnesty International, die Armeeoffensive habe "hunderte" Todesopfer gefordert, meist Frauen und Kinder. "Viele Häuser wurden angezündet und von den Soldaten zerstört", so die Menschenrechtsorganisation. "Die Menschen verstecken sich im Wald."
Mit dieser Offensive zeigt Nigerias 2007 gewählter Präsident Umaru Musa YarAdua erstmals drakonische Härte gegen die Ölrebellen, nachdem er zunächst vergeblich auf Friedensgespräche und Amnestieangebote gesetzt hatte. Überfälle, Geiselnahmen und Sabotageakte haben seit 2007 weite Teile der Ölgebiete unzugänglich gemacht und hat Nigerias Ölförderung hinter die Angolas zurückfallen lassen.
Die Armee behauptet, es gebe bei ihrer Operation keine zivilen Opfer, und wer zu Schaden komme, sei "kriminell". Die pauschale Kriminalisierung der bitterarmen Bewohner von Nigerias Ölgebieten, aus deren Heimat Reichtum in Milliardenhöhe gefördert wird, ist nicht neu in Nigeria. Neu ist aber die Härte der Konfrontation.
Die neue Armeeoffensive wurde als Reaktion auf "barbarische Vorfälle" angekündigt. Gemeint war damit die Kaperung zweier Schiffe von Ölfirmen, womit Nigerias Rebellen sich Somalias Piraten anglichen und höchste Alarmstimmung in der Ölindustrie auslösten. Die größte Rebellenbewegung Mend (Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas) rief nach den ersten Militärschlägen den "totalen Krieg" aus und die "Generalmobilmachung aller Männer in kampffähigem Alter". Dies macht des dem Militär leicht, die gesamte Zivilbevölkerung als Feind zu behandeln. Und Mend hat diese Woche angekündigt, alle Wasserwege zu blockieren, um Nigerias Ölexporte abzuschnüren. Die Ölförderung des Landes liegt inzwischen bei 1,2 Millionen Barrel am Tag, gegenüber 1,76 Millionen im April und 2,17 Millionen im Jahr 2007. Dadurch sind die Ölpreise auf dem Weltmarkt auf über 60 US-Dollar pro Barrel gestiegen.
Am Donnerstag stellte sich Nigerias Parlament hinter die Militäraktion und beschloss deren Ausweitung auf alle Bundesstaaten des Niger-Deltas. In der hitzigen Debatte rief der Nordnigerianer Bala Ibn NaAllah Empörung hervor, als er sagte: "Damit 100 Millionen Nigerianer überleben, dürfen wir 20 Millionen andere vernichten." Er nahm das nach Protesten zurück und sagte, er habe bloß einen Witz gemacht.
Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka sprach von einer "Schande für Nigeria" und warnte, die Vorfälle im Niger-Delta würden vor dem Internationalen Strafgerichtshof landen. Der Kommandeur der Militäroperation, Generalmajor Sarkin Bello, sagte derweil: "Ich bin mit der Operation sehr zufrieden."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid