Krieg in Syrien: Kein Ausweg mehr für Flüchtlinge
In der syrischen Provinz Idlib treibt das Assad-Regime die Menschen in die Flucht. Sichere Orte gibt es dort nicht mehr.
Wie viele Syrer aus der ehemaligen Metropole des Nordens sowie aus anderen Städten, in denen Rebellengruppen aufgeben mussten, floh die Familie Alhamdo vor den vorrückenden Assad-Truppen in die Provinz Idlib, die letzte, die noch von Gegnern des Regimes kontrolliert wird. Doch jetzt läuft in Idlib eine Offensive der Armee. „Es gibt keinen Ort, wo wir hinkönnen“, sagt er. „Ich weiß nicht, ob wir es schaffen.“ Mit „es“ meint er das Überleben, seins und das seiner Familie.
Der Lehrer ist mit seinem Problem nicht allein. Denn seit die türkische Armee am 20. Januar in der an Idlib angrenzenden Provinz Afrin einmarschiert ist, wo syrische Kurden die Kontrolle ausüben, haben die Menschen in Idlib keinen Fluchtweg mehr. Im Norden wird gekämpft; südlich, östlich und westlich von Idlib herrscht das syrische Regime.
Die Kämpfe in Idlib haben allerdings schon vor der türkischen Offensive zu einer der größten Massenvertreibungen seit dem Kriegsbeginn in Syrien geführt. Seit Mitte Dezember, so schätzt die humanitäre UN-Koordinationsstelle Ocha, sind knapp 250.000 Menschen vor den Kämpfen in den Norden Idlibs geflohen, unter zum Teil chaotischen Umständen und bei winterlichen Temperaturen.
Seit Sonntag gab es über achzig Luftangriffe
Offizielle Lager für die Flüchtlinge sind überfüllt; ein Großteil der Neuankömmlinge sucht Schutz in einer der 160 provisorischen Unterkünfte. „Die Lage verschlimmert sich immer weiter, weil immer mehr Vertriebene in dieses Gebiet fliehen“, sagt Zuhair Kanjou, Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Idlib. „Eines der provisorischen Lager wurde einige Tage später angegriffen. Die Menschen mussten erneut fliehen. Die Bedingungen sind erbärmlich.“
Als wäre das nicht schlimm genug, werden die jüngsten Angriffe der syrischen Armee und ihrer Verbündeten weitere Fluchtbewegungen auslösen. Allein seit Sonntagmorgen gab es mehr als 80 syrische und russische Luftangriffe; auch die strategisch wichtige Stadt Abu al-Duhur wurde erobert. Die Stadt hat einen Militärflughafen, der ebenfalls wieder von der Armee kontrolliert wird.
Gleich vier Mal bombardiert wurde am Montag unter anderem ein Gemüsemarkt in der Stadt Sarakib, weiter westlich. Die Verletzten wurden in das einzige Krankenhaus der Stadt gebracht. Binnen Stunden erfolgte ein weiterer Luftangriff – auf das Krankenhaus. Zwei Personen wurden schwer verletzt, und das Krankenhaus wurde so stark zerstört, dass der Betrieb eingestellt werden musste, wie ein Arzt berichtete. Nach Angaben der Nationalen Syrischen Koalition mit Sitz in Istanbul teilte der Stadtrat von Sarakib mit, dass neben syrischen und russischen Luftangriffen Fassbomben, Vakuumbomben, Streubomben, bunkerbrechende Bomben, Napalm und Phosphor eingesetzt wurden.
Dies ist der Kontext, in dem der russische Präsident Wladimir Putin zu einem „Kongress des nationalen Dialogs“ in die Schwarzmeerstadt Sotschi einlud. Bereits im Vorfeld sagten die Kurden sowie die größte syrische Oppositionsgruppe ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen