Krieg in Syrien: In Paris wird geredet
In Frankreichs Hauptstadt findet am Samstag ein Treffen mehrerer Außenminister zum Thema Syrien statt. Derweil versucht der IS Palmyra zurückzuerobern.
Paris/Brüssel/new york/manama/Damaskus dpa | Vor dem Hintergrund der zugespitzten Lage in Aleppo beraten Außenminister großer westlicher Staaten und Länder aus der Region über die Lage in Syrien. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) reiste am Samstagmorgen zu dem Treffen in Paris. Vertreten sind zehn Staaten, die auf der Seite der Rebellen gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad stehen – darunter die USA, Frankreich, die Türkei und Jordanien. Mit Blick auf mögliche Ergebnisse des rund dreieinhalbstündigen Treffens im Pariser Außenministerium hatten sich Diplomaten im Vorfeld sehr zurückhaltend gezeigt.
Im heftig umkämpften Aleppo erleiden Rebellen derzeit eine schwere Niederlage, die Lage der Zivilbevölkerung ist dramatisch. US-Außenminister John Kerry sprach am Freitagabend vor Journalisten in der amerikanischen Botschaft in Paris von der schlimmsten Situation „seit dem Zweiten Weltkrieg“. Er wolle die Bemühungen fortsetzen, um Aleppo vor der kompletten Zerstörung zu bewahren.
Inzwischen hat die EU wegen der anhaltenden Offensive syrischer Regierungstruppen auf Aleppo weitere Sanktionen angekündigt. Diese würden sich gegen verantwortliche Personen sowie Organisationen richten, die das Regime von Baschar al-Assad unterstützten, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in einer Stellungnahme vor Syrien-Konferenz. Die Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mögliche Kriegsverbrechen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. „Straflosigkeit für solche Verbrechen darf nicht toleriert werden“, sagte Mogherini am Freitagabend. Die Europäische Union werde schnell handeln.
Mogherini verurteilte vor allem exzessive Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, Helfer und Mediziner sowie Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser. Das syrische Regime sei für den Schutz der Bevölkerung verantwortlich, betonte die Außenbeauftragte und forderte eine sofortige Waffenruhe.
UN-Vollversammlung fordert umgehende Feuerpause
Erst am Fraitag hatten nach gescheiterten Versuchen im UN-Sicherheitsrat, dem verheerenden Bürgerkrieg in Syrien ein Ende zu bereiten, Mitglieder der Vollversammlung zu eigenen Schritten gegriffen. Das 193 Staaten zählende Plenum verabschiedete am Freitag eine Resolution, die für Syrien eine umgehende Feuerpause und ein Ende willkürlicher Attacken auf Zivilisten fordert. Der Rat konnte sich bislang nicht einmal dazu durchringen, mittels Resolution ein Ende des Konflikts zu fordern.
Die mit 122 Ja-Stimmen angenommene Resolution ist politisch nicht bindend und dürfte die Lage am Boden daher auch nicht verändern. Sie belegt aber den Unmut der Weltgemeinschaft über die aussichtslose Lage in dem sechsjährigen Konflikt, den der Sicherheitsrat angesichts eines diplomatischen Patts bisher nicht lösen konnte. 13 Länder, darunter Russland, Nordkorea, Kuba und Simbabwe, stimmten gegen die Resolution, 36 Länder enthielten sich.
Nach einer Resolution aus dem Jahr 1950 kann das Plenum selbst tätig werden und Maßnahmen vorschlagen, sofern der Rat seine Pflicht nicht erfüllt, Frieden und Sicherheit in der Welt aufrecht zu erhalten.
USA schicken 200 zusätzliche Soldaten nach Syrien
Die USA wollen rund 200 zusätzliche Soldaten nach Syrien schicken, um den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat zu unterstützen. Dabei handele es sich um Spezialkräfte, Ausbilder, Militärberater und Sprengstoffexperten, sagte US-Verteidigungsminister Ashton Carter am Sonntag auf einer Sicherheitskonferenz im Golfstaat Bahrain.
Die US-Truppe solle syrische Oppositionskräfte für die Rückeroberung der syrischen IS-Hochburg Al-Rakka ausbilden, ausrüsten und beraten. Die Soldaten kämen zu den 300 US-Spezialkräften hinzu, die bereits in Syrien stationiert seien, sagte Carter.
Diese Entscheidung sei „ein weiterer wichtiger Schritt, um unsere Partner in die Lage zu versetzen, dem IS eine bleibende Niederlage zuzufügen“, sagte Carter. Er betonte, dass die Oppositionstruppen nur noch 15 Kilometer von Al-Rakka entfernt seien.
An der Sicherheitskonferenz „Manama Dialog“ nimmt auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen teil. Sie wird am Mittag reden.
IS hat wichtige Gasfelder eingenommen
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat in Zentralsyrien erneut mehrere wichtige Gasfelder eingenommen. Zugleich rückten die Extremisten bis auf wenige Kilometer an die historische Oasenstadt Palmyra heran, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Samstag erklärte. Sie seien auf ihrem Vormarsch von Süden her nur noch acht Kilometer von der Stadt entfernt.
Der IS hatte Palmyra bereits in der Vergangenheit fast ein Jahr lang unter Kontrolle. Damals zerstörten die Extremisten zahlreiche einzigartige, rund 2000 Jahre alte Ruinen, die zum Unesco-Welterbe gehören. So sprengten sie die Tempel Baal und Bal-Schamin sowie den Triumphbogen. Im März dieses Jahres konnten Regierungstruppen Palmyra mit russischer Luftunterstützung wieder zurückerobern.
Nach heftigen Kämpfen mit syrischen Regierungstruppen hätten die Extremisten jetzt das Gasfeld Dschihar eingenommen, meldeten die Menschenrechtsbeobachter und armeenahe Kreise. Auch das IS-Sprachrohr Amak berichtete von dem Vormarsch der Terrormiliz.
Die regimenahe Nachrichtenseite Al-Masdar berichtete, die dort stationierten Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) seien zum Rückzug gezwungen gewesen. Die Regierungskräfte hätten 100 Kämpfer verloren. Demnach schickte die Armee neue Truppen in die Region.
Der IS beherrscht im Norden und Osten Syriens trotz einiger Verluste noch immer große Gebiete. Die Terrormiliz hatte in dieser Woche eine Offensive in der Region um Palmyra begonnen und die Regimetruppen aus mehreren Richtungen angegriffen. Mittlerweile kontrolliert die Terrormiliz wieder mehrere Gasfelder, darunter Al-Schair.
Dieses hatten die Extremisten bereits 2014 sowie im Mai dieses Jahres zeitweilig unter Kontrolle. Die Gasanlagen wurden bei den Kämpfen schwer beschädigt. Die Gasfelder und Pipelines in der Region sind von zentraler Bedeutung für die Energieversorgung des Landes.
Leser*innenkommentare
jhwh
Zur Erinnerung, warum gerade unser Außenminister und zukünftiger Bundespräsident sich beim Thema Menschenrechte in Syrien zurückhalten sollte: http://www.stern.de/investigativ/projekte/geheimdienste/kooperation-mit-einem-folterstaat-die-syrien-connection-3525940.html
WBD-399
"Vertreten sind zehn Staaten, die auf der Seite der Rebellen gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad stehen – darunter die USA, Frankreich, die Türkei und Jordanien."
Entschuldigung bitte, mit welchem Recht ist auch Deutschland in dieser Koalition? Völkerrecht - braucht man wohl nur, um es den Russen um die Ohren zu hauen !?!
Wer Kriege anzettelt ('Regime Change'), darf sich nicht wundern, wenn es dabei Tote gibt.
74450 (Profil gelöscht)
Gast
Ein Regime, dass seine eigene Bevölkerung vernichten will, hat keine Legitimität. Dem kann auch das Völkerrecht nicht helfen.
Wer friedliche Demonstranten in Folterlager steckt, darf nicht auf deutsche Solidarität hoffen. Jedenfalls nicht von Seiten der deutschen Regierung.
Privat kann natürlich jede*r selbst entscheiden auf welcher Seite er*sie steht.
warum_denkt_keiner_nach?
"Wer friedliche Demonstranten in Folterlager steckt..."
Damit meinen Sie aber jetzt nicht die Rebellen? Oder ist es eine regionale Sitte, bei friedlichen Demonstrationen Zwölfjährige zu enthaupten?
"Ein Regime, dass seine eigene Bevölkerung vernichten will..."
Solche Sprüche gibt es immer, wenn mal wieder die eigenen Ambitionen verschleiert werden sollen. Und jedes Mal tauchen (mindestens) 2 Fragen auf.
Wäre es besser, wenn eine Regierung ein anderes Volk vernichten will?
Wo beginnt denn eigentlich die "Vernichtung der Bevölkerung"?
Der Begriff wird mittlerweile inflationär verwendet. Auf Syrien bezogen stellen sich die tatsächlichen Ereignisse etwas anders dar. Es stimmt, dass Assad den Teil seiner Gegner, den er als besonders gefährlich einschätzt, einsperren, foltern und auch töten lässt. Es gibt aber keinerlei Belege, dass er die "Bevölkerung vernichtet". Die lebt nämlich auch unter seiner Herrschaft weiter. Er braucht sie ja noch. Schließlich macht Diktatur ohne Untertanen keinen Spaß.
WBD-399
Naja, wenn eine Regierung auf ihre eigenen Bürger schiessen lässt - ich gehe wohl Recht in der Annahme, daß Sie die USA da ausschliessen, oder?
Aber im Ernst, mir fehlt das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit der Syrien-Berichterstattung der ALLERMEISTEN Medien. All' die vielen Foltervorwürfe - aber ist Assad wirklich essentiell schlimmer als zB Saudi-Arabien (...Badawi...) ??
Es ist ein bißchen so wie mit den Massenvernichtungswaffen vom Kollegen Saddam, nicht wahr?
warum_denkt_keiner_nach?
Zum Thema Realismus in Paris habe ich vorhin eine nette Nachrichtensendung auf n-tv gesehen.
Erst kam die Erklärung Steinmaiers, in der er Assad und so ziemlich alle anderen aufforderte, die Zivilisten aus Ostaleppo rauszulassen. Die Rebellen hat er natürlich dabei „vergessen“.
Gleich darauf kam ein Interview mit einem jungen Mann aus Ostaleppo, der erklärte, dass ihn die Rebellen zum Kämpfen zwingen wollten und dass er ihnen nach mehreren Versuchen endlich entfliehen konnte.
Der Widerspruch ist in der Redaktion scheinbar niemanden aufgefallen, denn er wurde nicht kommentiert.
Am Schluss wurde dann noch gemeldet, dass die Rebellen noch ca. 7% von Ostaleppo halten und dass dort noch ca. 10.000 Zivilisten vermutet werden. Da fragt man sich natürlich, was die Show in Paris eigentlich soll.
WBD-399
Ich finde es wirklich sehr makaber, wenn ich eben im Radio den Herrn Steinmeier mit der Forderung höre, daß man dringend einen Waffenstillstand brauche, damit die Bevölkerung und die Rebellen unbeschadet abziehen können. Also, das muss man sich mal im Hirn zergehen lassen: Jemand, der die anti-Assad-Koalition unterstützt, benutzt sozusagen die gequälte Bevölkerung als Argument, um 'seinen' Kämpfern einen unbeschadeten Abzug (und ein weiterkämpfen?) zu ermöglichen...
WIE MIES IST DAS DENN ??
warum_denkt_keiner_nach?
"Die mit 122 Ja-Stimmen angenommene Resolution ... 13 Länder, darunter Russland, Nordkorea, Kuba und Simbabwe, stimmten gegen die Resolution, 36 Länder enthielten sich."
Bleiben noch 22 Länder zu erwähnen, die den Zirkus garnicht erst mitmachen...
74450 (Profil gelöscht)
Gast
@warum_denkt_keiner_nach? Sie haben Recht. Eine Veranstaltung, in der eine Vetostimme die Entscheidung von 122 Staaten überstimmen kann, ist nicht mehr als ein Zirkus. Ein sehr trauriger Zirkus...
warum_denkt_keiner_nach?
@74450 (Profil gelöscht) In der UNO Vollversammlung gibt es kein Veto.