Krieg in Libyen: Schützt die Belagerten!
Misurata, die drittgrößte Stadt Libyens, wird von Gaddafis Truppen belagert. Um den Menschen zu helfen, reicht eine Unterstützung aus der Luft nicht mehr aus.
B ERLIN taz Der Krieg in Libyen ist nur scheinbar zum Stillstand gekommen. Im Osten des Landes hat sich zwar ein militärisches Patt entwickelt, die Aufständischen kommen ebenso wenig dauerhaft voran wie die Gaddafi-Truppen. Allmählich merken das beide Lager.
Doch in Libyens drittgrößter Stadt Misurata unweit der Hauptstadt Tripolis spitzt sich der Krieg und die Notlage der Menschen zu: Hier befindet sich die letzte Bastion der Aufständischen im Westen des Landes, und hier zieht Gaddafi den Belagerungsring um die "befreite Zone" immer enger.
Hunderte von Menschen sind bereits gestorben, Opfer von Scharfschützen, Artillerieangriffen und dem Mangel an medizinischer Versorgung. Tausende suchen einen Fluchtweg. Hunderttausende leben in ständiger Angst vor dem finalen Großangriff der Regierungsarmee.
DOMINIC JOHNSON ist ist Leiter des Auslandsressorts der taz und zuständig für die Afrika-Berichterstattung.
Misurata ist eine Ermahnung an die Ursprünge des libyschen Krieges. Er begann nicht als bewaffneter Konflikt, bei dem ostlibysche Rebellen gegen die Regierung im Westen kämpfen, wie es international die Relativierer darstellen, die die Konfliktparteien politisch gleichsetzen wollen und damit ihre Neutralität begründen.
Er begann als landesweiter Volksaufstand gegen Unterdrückung, nach dem Vorbild Tunesiens und Ägyptens. Erst als dieser Aufstand blutig niedergeschlagen wurde, griffen die Aufständischen ihrerseits zu den Waffen. Sie hielten anfangs zahlreiche Städte in allen Teilen des Landes. Misurata ist der einzige größere Ort im Westen, wo ihr Widerstand bis heute nicht gebrochen ist.
Dies zeigt die Grenzen der bisherigen internationalen Interventionsstrategie in Libyen auf. Mit Luftschlägen kann man in der Wüste Panzerkolonnen und Raketenstellungen ausschalten, nicht aber in einer Großstadt einen Häuserkampf entscheiden und Scharfschützen eliminieren. Wer den Menschen in Misurata Sicherheit geben will, muss sie gegen die Belagerer schützen.
Selbst wer ihnen einfach das Überleben erträglicher machen will, muss den Hafen offenhalten, humanitäre Korridore zur Versorgung der Bevölkerung und zur Evakuierung von Flüchtlingen schaffen. All dies erfordert den Einsatz militärischer Mittel.
Die UN-Resolution 1973, die der internationalen Militärintervention in Libyen zugrundeliegt, erlaubt nicht nur Luftangriffe. Sie erlaubt "alle notwendigen Maßnahmen, um von Angriffen bedrohte Zivilisten und von Zivilisten bewohnte Gebiete zu schützen". Einzig ausgeschlossen ist "eine ausländische Besatzungstruppe". Das ist in den endlosen Debatten über die Kommandostruktur der Luftangriffe untergegangen. Viele Menschen in Misurata haben derweil mit dem Leben bezahlt. Sie müssen jetzt gehört werden. Misurata darf nicht erst zum Srebrenica Libyens werden.
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