Krieg in Afghanistan: Wikileaks publiziert Geheimprotokolle
Ein Desaster für das Pentagon: 92.000 Militär-Dokumente wurden von der Plattform Wikileaks ins Netz gestellt. Sie belegen, wie schlecht es um den Kampf gegen die Taliban steht.
WASHINGTON afp | Die auf Enthüllungsgeschichten spezialisierte Internetseite WikiLeaks hat mit der Veröffentlichung von zehntausenden teils geheimen Dokumenten zum Afghanistan-Krieg für Furore gesorgt. Die rund 92.000 Unterlagen von 2004 bis 2010 zeichneten ein "düsteres Bild" von der Lage am Hindukusch, berichtete der "Spiegel" nach einer Prüfung der Unterlagen in seiner neuen Ausgabe vom Montag. Das Weiße Haus kritisierte die Enthüllungen.
Die brisanten Dokumente wurden dem Internetportal WikiLeaks von bisher unbekannter Seite zugespielt. WikiLeaks wiederum gab das Material vor wenigen Wochen an den Spiegel sowie die New York Times und The Guardian weiter. Die drei Medien kamen laut Spiegel nach eingehender Prüfung zu dem Schluss, dass die Dokumente authentisch seien, und berichteten am Sonntag auf ihren Internetseiten zeitgleich über die Enthüllungen.
Laut Spiegel zeichnen die Einsatzberichte und Dokumente aus dem US-Verteidigungsministerium aus unmittelbarer Sicht der Soldaten ein "ungefiltertes Bild des Krieges". Die afghanischen Sicherheitskräfte würden darin "als hilflose Opfer" von Anschlägen der radikalislamischen Taliban beschrieben. Zudem zeigten die Dokumente, dass der Krieg im Norden des Landes, wo die Bundeswehr stationiert ist, immer bedrohlicher werde.
5. April 2010: Wikileaks veröffentlicht ein Video aus Bagdad ("Collateral Murder"), das zeigt, wie im Juli 2007 von einem US-Hubschrauber aus zwölf Menschen erschossen werden - darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Reuters hatte zweieinhalb Jahre vergeblich versucht, an das Video zu kommen.
13. Dezember 2009: Der Feldjägerbericht der Bundeswehr zum Angriff auf einen Tanklaster bei Kundus, bei dem bis zu 142 Menschen starben, erscheint bei Wikileaks. Bis dahin kannte die Öffentlichkeit den mit "VS - nur für den Dienstgebrauch" gekennzeichneten Bericht nur in Auszügen.
Juli 2009: Interne Dokumente zur Kaupthing-Bank erscheinen, aus denen hervorgeht, wer für deren Pleite verantwortlich zu machen ist. Der Zusammenbruch der Bank hatte Island an den Rand des Staatsbankrotts gebracht. Als das isländische Fernsehen über die Dokumente berichten will, erwirkt die Bankenaufsicht ein Berichtsverbot. Der Sender verweist die Bürger auf www.wikileaks.org.
Februar 2008: Hunderte von Unterlagen der Schweizer Privatbank Julius Bär, die deren Verwicklung in die Steuerflucht ihrer Bankkunden nahelegt, gehen online. Die Anwälte der Bank erwirken in Kalifornien zwar vorübergehend eine Sperrung der Seite. Aber über zig andere Seiten ("mirror sites") und die in Zahlen angegebene IP-Adresse in Schweden bleiben die Dokumente zugänglich.
November 2007: Wikileaks stellt ein Handbuch für US-Soldaten im Gefangenenlager Guantánamo ins Netz. Daraus geht hervor, dass Mitarbeitern des Roten Kreuzes absichtlich der Zugang zu bestimmten Gefangenen verweigert wurde. Die US-Regierung hatte dies bisher bestritten.
2010: Wikileaks hat weitere Veröffentlichungen angekündigt: So soll ein Video existieren, das zeigt, wie 97 Zivilisten in Afghanistan durch einen US-Luftschlag sterben. Außerdem sollen demnächst 37.000 interne E-Mails der NPD veröffentlich werden.
Für den Norden Afghanistans gibt es demnach zahlreiche sogenannter "Threat Reports", Bedrohungsszenarien und konkrete Warnungen vor bevorstehenden Anschlägen. Aus den Meldungen gehe anschaulicher als aus den Informationen der Bundesregierung an den Bundestag hervor, dass die Sicherheitslage in der Region immer schlechter werde, berichtete der "Spiegel".
Die Dokumente offenbaren demnach auch, dass der pakistanische Geheimdienst der "vermutlich wichtigste außerafghanische Helfer der Taliban" ist. Abgesandte des pakistanischen Geheimdienstes sind dem Bericht zufolge dabei, wenn sich Aufständische zum Kriegsrat treffen und sollen auch präzise Mordbefehle erteilen, etwa gegen den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai.
Das Weiße Haus hat verärgert auf die Veröffentlichung zehntausender vertraulicher Dokumente über den Einsatz in Afghanistan reagiert. "Die Vereinigten Staaten verurteilen die Enthüllung von Geheiminformationen durch Einzelpersonen und Organisationen, die das Leben der Amerikaner und ihrer Partner gefährden könnten und unsere nationale Sicherheit bedrohen", sagte der Nationale Sicherheitsberater James Jones am Sonntag. Diese "unverantwortlichen Lecks" hätten jedoch keine Auswirkungen auf das Bekenntnis der USA zu einer vertieften Partnerschaft zu Afghanistan und Pakistan.
Der pakistanische Botschafter in den USA, Husain Haqqani, bezeichnete die Veröffentlichung der Geheimdokumente als "unverantwortlich", da sie nicht die "tatsächlichen Gegebenheiten" widerspiegelten. Die USA, Afghanistan und Pakistan seien "strategische Partner", die militärisch wie politisch das Terrornetzwerk El Kaida und dessen Verbündete der Taliban bekämpfen wollten.
Die US-Regierung räumte allerdings ein, dass ihr die Verbindungen des pakistanischen Geheimdienstes zu Aufständischen seit geraumer Zeit Sorgen bereiten. Das Weiße Haus veröffentlichte als Beleg dafür mehrere Dokumente, unter anderem ein Schreiben von Verteidigungsminister Robert Gates vom 31. März 2009. Diese Kontakte seien eine "echte Sorge" für die USA. Dies sei Pakistan auch direkt mitgeteilt worden, heißt es darin.
Die Internetplattform WikiLeaks will mit der Veröffentlichung von geheimen Dokumenten aus anonymen Quellen Missstände öffentlich machen. Im April hatte ein armeeinternes Video der US-Streitkräfte weltweit für Bestürzung gesorgt, das den tödlichen Beschuss irakischer Zivilisten durch einen US-Kampfhubschrauber zeigte. Anfang Juni wurde ein US-Soldat festgenommen, der das Video an WikiLeaks weitergereicht haben soll.
Auf die Kritik aus dem Weißen Haus und von anderen Seiten, reagiert die Organisation gelassen. Der Gründer WikiLeaks, Julian Assange, hat die Veröffentlichung zehntausender teils geheimer US-Dokumente zum Afghanistan-Krieg verteidigt. Guter Journalismus sei "von Natur aus" kontrovers, sagte Assange der britischen Tageszeitung "The Guardian" vom Montag. Zugleich begrüßte er die Debatte, die die Veröffentlichung der Dokumente auslöste. Guter Journalismus müsse den Missbrauch der Mächtigen aufdecken. Wenn dies geschehe, gebe es immer Gegenreaktionen. Diese "Kontroverse" sei gut, sagte der 39 Jahre alte Australier. Das Weiße Haus hatte die Enthüllungen scharf kritisierst.
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