piwik no script img

Krieg in ÄthiopienAddis Abeba im Visier der Rebellen

Äthiopiens Regierung verhängt Ausnahmezustand, Addis Abebas Bevölkerung ist zur Verteidigung aufgerufen. Tigrays Rebellen drohen mit Einmarsch.

Der zentrale Platz Meskel Square in Addis Abeba in friedlichen Zeiten Foto: Tiksa Negeri/reuters

Berlin taz | Nach dem Vormarsch der Rebellenarmee TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) im Norden Äthiopiens in den vergangenen Tagen greift die Sorge um sich, der Krieg könne die Hauptstadt Addis Abeba erreichen. Die äthiopische Regierung verhängte am Dienstag nachmittag den landesweiten Ausnahmezustand.

Zuvor hatten die Behörden von Addis Abeba die fünf Millionen Einwohner der Stadt dazu aufgefordert, sich auf die Verteidigung der Hauptstadt vorzubereiten. Alle Bewohner sollten innerhalb von zwei Tagen ihre Waffen registrieren und sich dann „in ihrem Quartier versammeln und ihre Umgebung sichern“, so eine von äthiopischen Medien verbreitete Bekanntmachung der Stadtverwaltung. In ganz Addis Abeba würden Straßensperren errichtet.

Eine von der Stadt eingerichtete „Joint Task Force“ warnte in einer weiteren Erklärung, „Terrorunterstützer und Fanatiker“ würden sich zusammenschließen und Häuser mieten; sie würden außerdem planen, sich in Uniformen der staatlichen Sicherheitskräfte zu verkleiden, um „die Öffentlichkeit zu verwirren und kriminelle Aktivitäten zu begehen“. Die Bevölkerung solle solche „Fanatiker“ melden.

Tigrayer in der Hauptstadt sind nach Angaben von Menschenrechtsgruppen in großer Zahl verhaftet und verschleppt worden, als mutmaßliche fünfte Kolonne des Feindes. Unbestätigten Berichten zufolge erarbeiten ausländische Botschaften in Addis Abeba bereits Evakuierungspläne. Die Stadt beherbergt unter anderem den Sitz der Afrikanischen Union (AU).

Teile von Amhara und Afar erobert

Seit einem Jahr herrscht in Äthiopien Krieg zwischen der Zentralregierung und der in Tigray regierenden TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront). Die war seit 1991 jahrzehntelang in Äthio­pien die dominante Regierungspartnerin, aber der 2018 eingesetzte Reformpremier Abiy Ahmed brach mit ihr und bekämpft sie seit November 2020 als „terroristische Organisation“. Anfängliche Erfolge waren aber von kurzer Dauer, denn ohne TPLF ist Äthiopiens Armee kaum kampffähig.

Bis zum Bruch stellte die TPLF den Großteil der Führungsebene von Äthiopiens Armee und kontrollierte die wichtigsten Rüstungsbestände des äthiopischen Militärs – damit kämpft sie nun auf eigene Faust. Sie genießt auch offenbar die Unterstützung ihrer Heimatregion, die einer Blockade der Zentralregierung unterworfen ist.

Die Tigray-Rebellen haben in den vergangenen Wochen von Tigray aus Teile der Nachbarregionen Amhara und Afar erobert und sich mit einer weiteren historischen Rebellenbewegung verbündet, der OLF (Oromo-Befreiungsfront), deren bewaffneter Arm OLA (Oromo-Befreiungsarmee) Teile der zentraläthiopischen Region Oromia rings um Addis Abeba kontrolliert.

Am vergangenen Wochenende rückte die TPLF in die strategisch wichtigen Großstädte Dessie und Kombolcha ein, deren Kontrolle ihnen den Weg nach Addis Abeba knapp 400 Kilometer weiter südlich öffnen würde. Die Städte bleiben umkämpft, aber die Rebellen meldeten am Montag und Dienstag weitere Geländegewinne.

Abiy Ahmed schwört Bevölkerung auf Krieg ein

Am Montag sagte TPLF-Sprecher Getachew Reda gegenüber Reuters: „Wenn unsere Ziele es erfordern, dass wir nach Addis Abeba marschieren, werden wir das tun.“ OLA-Kommandeur Jaal Marroo sagte in einem BBC-Interview, der Krieg sei fast vorbei und der Einmarsch in Addis Abeba sei „eine Sache von Tagen oder Wochen“.

Der bedrängte äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed schwor die Bevölkerung am Montagabend auf Krieg ein. „Die Herausforderungen sind zahlreich, aber ich kann euch mit Sicherheit sagen, dass wir einen totalen Sieg davontragen werden“, gab die Nachrichtenagentur AFP seine Rede wieder. Die äthiopische Zeitung Addis Standard zitierte ihn mit der Behauptung, die TPLF bekomme Unterstützung von „schwarzen und weißen“ Ausländern und „die Regierung war nicht auf die menschliche Welle vorbereitet“.

Bereits am Sonntag hatte Abiy Ahmed als Reaktion auf die jüngsten Niederlagen an der Kriegsfront die Bevölkerung dazu aufgerufen, sich „mit allen legalen Mitteln und mit allen Waffen und Fähigkeiten“ zu organisieren, um „die terroristische TPLF abzuwehren, zurückzuschlagen und zu be­graben“.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Kriegsrhetorik und Durchhalteparolen, mehr hat der Friedensnobelpreis- und einstige Hoffnungsträger Abyi Ahmed der äthiopischen Bevölkerung nicht mehr zu bieten … er selbst hat mit den schweren Kriegsverbrechen, die von seinen Regierungstruppen und den mit ihnen verbündeten Eritreern und amharischen Milizen in der Provinz Tigray verübt worden sind, den Wind gesät, dessen Sturm er nun ernten wird.



    Zum Einmarsch und dem Wüten seiner Soldateska in Tigray im vergangenen Jahr hat der Westen geschwiegen … ist es der westlichen “Wertegemeinschaft” nun auch gleichgültig, ob in Äthiopien ein weiterer failed state am Horn von Afrika entsteht?



    Da bleibt nur zu hoffen, dass die TPLF die Einheit des Vielvölkerstaats wiederherstellen kann, wie sie es nach dem Sturz des Diktators Mengistu Haile Mariams 1991 schon einmal getan hat … denn auf europäische Unterstützung braucht Äthiopien nicht zu hoffen.