Krieg gegen Boko Haram: Nigerias abgelenkte Armee
Ständig meldet das nigerianische Militär neue Erfolge im Kampf gegen die Miliz. Doch die beruhen vor allem auf der Unterstützung durch Nachbarländer.
LAGOS taz | Kein Tag vergeht mehr ohne Erfolgsmeldungen des nigerianischen Militärs gegen Boko Haram. Aber zugleich wird man den Eindruck nicht los, dass die Regierungsarmee den Islamisten hinterherläuft – kaum nimmt sie einen Ort ein, schlägt Boko Haram woanders zu.
Warum ist das so? Nigerias Militär ist viel zu politisiert und viel zu sehr von Politik abgelenkt. Dass die Verschiebung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom 14. Februar auf den 28. März auf Druck seitens des Militärs zurückging und dass danach die Armeeführung dementieren musste, eine Interimsregierung unter eigener Führung zu planen, zeigt, dass die hohen Generäle in Nigeria andere Dinge im Kopf haben als die eigenen Unzulänglichkeiten im Kampf gegen Islamisten im Nordosten.
Die Schwächen des Militärs sind institutioneller Natur. Selbst Soldaten, die kämpfen wollen, beklagen einen Mangel an schlagkräftiger Ausrüstung und Verstärkung. In den vergangenen drei Monaten sind mindestens 70 nigerianische Soldaten von Militärgerichten wegen Ungehorsam zum Tod verurteilt worden. Aber der durchschnittliche nigerianische Soldat ist patriotischer als der durchschnittliche Militärrichter.
Nachdem im April 2014 Boko Haram über 200 Schulmädchen aus einem Internat in Chibok entführt hatte, war den jungen Regierungssoldaten in der Region deutlich anzumerken, dass sie fest hinter dem Krieg gegen Boko Haram standen. Einer sagte, er habe seit fünf Jahren seine Eltern nicht gesehen und sehe sich selbst inzwischen als eine „Spende“ für sein Land. Ein anderer Soldat sagte, er sei bereit, sein Leben zu opfern, wenn damit Boko Haram besiegt werden könnte.
Aber dieser Opfergeist reichte nicht aus. Vor den aktuellen Offensiven sagte ein Soldat in einem Interview, dass in einer durchschnittlichen Konfrontation mit Boko Haram 116 Regierungssoldaten rund 3.000 Islamisten gegenüberstünden. Letztere hätte moderne Raketen und Luftabwehrgeschütze, erstere Sturmgewehre und vierzig Jahre alte Panzer. Generalstabschef Alex Badeh sagte dazu im Januar verächtlich, solange ein Soldat ein Gewehr habe, solle er sich nicht beschweren.
Der Staatshaushalt 2014 umfasste rund 6 Milliarden Dollar Militärausgaben, und im Oktober wurde eine weitere Milliarde bewilligt. Dies hätte ausreichen müssen, die schlimmsten Defizite an Ausrüstung zu beseitigen. Aber das Geld wird offenbar vorrangig dafür benötigt, das lädierte Image von Präsident Goodluck Jonathan aufzupolieren.
Magere Erfolgsaussichten
Das heißt nicht, dass Generäle und Regierung absichtlich den Krieg gegen Boko Haram verlieren wollen, wie es manche behaupten. Aber die politischen Interessen der Militärhierarchie und die Korruption im Staat machen es sehr schwer, diesen Krieg zu gewinnen. Deswegen sind auch die Erfolgsaussichten der laufenden Offensiven kleiner, als die Schlagzeilen es vermuten lassen.
Als die Wahlen vom 14. Februar verschoben wurden, gab sich die Armee sechs Wochen, um Boko Haram zu schlagen. Fast die Hälfte dieser Zeit ist um. Seither sind Eingreiftruppen aus Tschad und Niger in Nigeria gelandet, um die Armee zu unterstützen. Boko Haram soll sehr viele Kämpfer verloren haben; der Ort Baga, wo Boko Haram im Januar Tausende von Menschen getötet haben soll, wurde zurückerobert. Es gibt also Erfolge. Die liegen aber nicht an Nigerias Armee, sondern an deren Entlastung durch die Armeen der Nachbarländer.
Doch Boko Haram greift weiter an, auch außerhalb seines Kerngebiets und erstmals auch in Tschad und Niger selbst. Nach dem Vorbild des „Islamischen Staates“ trägt die nigerianische Islamistengruppe ihren Krieg in jedes Land, das dem eigentlichen Feind unter die Arme greift. In den nächsten Monaten könnte Boko Haram eine Bedrohung für ganz Westafrika werden.
Derweil bleiben die Probleme des nigerianischen Militärs ungelöst. Es hat keine Umbesetzungen in den hohen Rängen gegeben. Die Ausrüstung der einfachen Soldaten ist nicht besser als vorher. Die Erfolge gegen Boko Haram, das steht zu befürchten, werden gerade mal bis zu den Wahlen reichen. Dann regiert in Nigeria wieder das Prinzip Hoffnung.
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