Kreuzfahrtroman von Frank Schulz: Defensivkünstler auf Noppensocken
Frank Schulz beherrscht die Hochkomik wie den gemeinen Sprachwitz. Das beweist er in seinem neuen, sehr seltsamen Roman.
Wer sich auf diesen Roman gar nicht erst einlassen möchte, hat sowieso leichtes Spiel. Derbe Witze, Kalauer, Überzeichnungen – man kann den Roman schnell für albern befinden, außerdem noch feststellen: „Das ist nicht mein Humor“ und es dabei belassen. In der Tat ist der Humor streckenweise sehr norddeutsch. Süddeutsche Menschen haben bei den hanseatischen Lautmalereien, die Frank Schulz ebenso liebt wie beherrscht, schnell Akklimatisierungsprobleme.
„Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“ ist der zweite Roman von Frank Schulz um den herzensguten Pleitier, Tagedieb und Möchtegern-Privatdetektiv Onno Viets. Wie schon beim ersten Buch muss man auch hier etwas vorbereitet sein auf den sprachlichen Furor, der auf die Leserin niedergeht.
Aber auch im Positiven kann man es sich mit diesem Roman sehr leicht machen. Unendlich viele komische Stellen stecken darin. Frank Schulz schickt seinen Protagonisten zusammen mit dessen menschenfeindlichem und heruntergekommenem Vetter Donald in die Alltagshölle einer Kreuzfahrt – eben auf das Schiff der baumelnden Seelen. Wirklich großartig, wie treffend und mit wie viel sprachlicher Findungskraft er das Treiben auf dem Schiff einfängt. Den Kampf am Frühstücksbüfett beschreibt er als „Gedränge wie … Massenpanik von Hypnotisierten in Zeitlupe. Oder ein Bacchanal von Zombies“. Das ist einfach gut gesehen.
Und es gibt, wie auch schon im ersten Band, ein Tischtennisspiel, bei dem man beim Lesen das Buch vor Lachen nicht mehr in der Hand halten kann. Onno dreht als Defensivkünstler auf Noppensocken noch ein bitterernst ausgetragenes Spiel, durch drei Kantenbälle und zwei Netzroller in Folge. Dazu der typische Onno-Viets-Sound: „Echt, nech? Tut mir leid, echt. Zorry.“
Frank Schulz: „Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“. Galiani, Berlin 2015, 336 Seiten, 19,99 Euro
Als Frank Schulz kürzlich der Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor verliehen wurde, sollte Sven Regener die Laudatio halten. Der Sänger der Band Element of Crime und bekennende Frank-Schulz-Fan war dann zwar kurzfristig verhindert, aber in der FAZ konnte man seine Laudatio nachlesen. Darin wies Regener auf etwas Wichtiges hin, nämlich darauf, dass Frank Schulz alle Spielarten des Humors beherrscht. Und zwar sowohl die selbstreflexive intellektuelle Hochkomik als auch den gemeinen Sprach- und Situationswitz und auch das wirklich Vulgäre, inklusive aller analen und fäkalen Spielarten. In Form von Kasperle-Zwischenspielen strukturieren sie den Roman.
Ein schieres Sprachkunstwerk
Man kann nun die Kunstfertigkeit genießen, mit der das alles gebaut ist. Der Schriftstellerkollege Gerhard Henschel hat über Frank Schulz gesagt: „So hätte Arno Schmidt geschrieben, wenn er nicht bescheuert gewesen wäre.“ Da ist etwas dran. Der Satz bezieht sich auf die „Hagener Trilogie“, also die drei Romane um den Trinker und Langzeitstudenten Bodo Morten, die Frank Schulz bekannt gemacht haben. Er lässt sich aber auch auf die ins Absurdere gedrehten Onno-Viets-Bücher anwenden. Als schieres Sprachkunstwerk ist das alles kaum zu toppen.
Seite 173: „Und so fuhr unser Schiff übers nächtliche Meer, fuhr übers nächtliche Meer mit 1400 Seelen an Bord (= viermal Besenwisch bei Buxtehude) – eine genormte Arche gegen die Sintflut des genormten Alltags.“ Hohe und niedere Sprache, das treffende Bonmot mit dem Kreuzfahrtschiff als „genormte Arche“, dazu der Lautkontrast von Seele und Besenwisch (das Kaff, aus dem Vetter Donald stammt) – solche schönen, komplex gebauten Schmuckstellen gibt es in dem Buch so viele wie Sterne am klaren nächtlichen Kreuzfahrthimmel.
Das alles ist sehr eigen, leicht verschroben, erzählerisch in sich toll gemacht und irgendwo einfach auch sehr seltsam. Es kann einem mit diesem Buch jenseits dessen, ob man dafür oder dagegen ist, aber auch noch anders ergehen. Man kann mit dem Roman zu drei Vierteln fröhliche und zu einem Viertel verwunderte Lesestunden haben. Dann kann man es erst einmal weglegen. Und dann kann es passieren, dass, während die vielen, vielen Details ein bisschen verblassen, die traumatischen Glutkerne umso stärker zu glühen beginnen.
Und wenn man dann noch einmal nach dem Buch greift, kann es sein, dass man die Leichtigkeit der Lektüre nicht mehr wiederfindet. Woher all dieser Aufwand, fragt man sich dann. (David Foster Wallace hat auf viel weniger Platz in „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ genauso vernichtend über Kreuzfahrten geschrieben.) Und auch wenn es der Sprachkunst dieses Autors gegenüber ziemlich ungerecht ist, bedauert man dann fast, dass er von dem notgedrungenen Lebenskünstler Onno Viets und dem an sich selbst scheiternden Bohemien Vetter Donald nicht klarer erzählt hat.
Mit den traumatischen Glutkernen sind keineswegs die posttraumatischen Belastungsstörungen gemeint, mit denen Frank Schulz seinen Antihelden Onno Viets, der im Buch davor Zeuge eines unglaublich ausrastenden Gewalttäters wurde, hier ausstattet. Und auch nicht gemeint ist das Schicksal, das Onno Viets am Schluss des Buchs droht, aus Gründen des Spannungserhalts ist es sowieso besser, das hier zu verschweigen.
Das Drama des Weitermachenmüssens
Als Trauma lässt Frank Schulz aber immer wieder aufscheinen, dass Onno Viets schon einmal seinen Platz in der Welt gefunden hatte, eine subkulturell-künstlerisch angehauchte Kneipe namens Plemplem, die er führte – und mit der er dann eben pleiteging. „Fünf Jahre donnerndes Leben! Und Onno der ideale Wirt.“ Nachdem es die Kneipe nicht mehr gab, hieß es für Onno Viets nur noch: durchwursteln. Auch eine Vertreibung aus dem Paradies. Das Drama des Weitermachenmüssens, auch wenn man nicht recht weiß, wo es langgeht.
Auch für Vetter Donald gibt es eine traumatische Grundstruktur. Sie zeigt sich darin, dass er sich noch einmal verliebt, gegen alle Wahrscheinlichkeit, als viel zu alter, viel zu abgehalfterter Mann, in eine viel zu junge Frau (der er ohne ihr Wissen auf die Kreuzfahrt folgt). Frank Schulz lässt ihn einen so gnadenlosen Narzissten sein, dass er die narzisstische Kränkung der verschmähten Liebe und seine eigene Lächerlichkeit noch nicht einmal bemerkt. Wenn die Symptome so umfassend sind, muss das Trauma groß sein.
Was hier aufscheint, sind Generationserfahrungen des 1957 geborenen Autors Frank Schulz, vielleicht sogar längst allgemeine Erfahrungen. Dass die Außenseiter-Paradiese der Gegenkulturen nicht ein Leben lang halten – weil sie pleitegehen oder auch weil sie aus der Zeit fallen und uncool werden – und dass das Leben oft ein Plan-B-Leben nach einem Crash ist, das ist Onno und Donald eingeschrieben. Alles, wie es an einer Stelle heißt, „nicht gerade Reklame für die Conditio humana“.
Frank Schulz arbeitet als Autor durchaus mit diesen Erfahrungen. Aber zu einem gewissen Teil verschüttet er sie auch unter all seiner Sprachkunst und seinem Humor. Offenbar muss er mit allem sprachlichen Aufwand noch sublimieren, dass die Welt aus den Fugen ist. Heraus kommt ein grandioses Sprachfeuerwerk. Aber es geht auch auf Kosten des analytischen Gehalts und eines gelassenen Blick darauf, wie Menschen mit so einer Situation umgehen.
Es wäre nun aber unfair, diesen Text über diesen Roman so zu beenden. So viele Szenen sind wirklich großartig. Manchmal hat man beim Lesen geradezu einen Kloß im Hals. Etwa wenn einen Frank Schulz die eigene Liebesbedürftigkeit zum Beispiel in haltlos auf dem Oberdeck plappernden Tussis auf Kreuzfahrt wiedererkennen lässt.
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