Kreuzberger Rap-Crew RAPK: Kiezchampions brauchen keinen Pokal
Die Musik von RAPK erzählt vom Alltag im Kiez – aber auch von den Schattenseiten: Gentrifizierung, Drogenmissbrauch und Polizeigewalt.
Zu dritt sind sie RAPK – eine Rap-Crew aus Kreuzberg. Victor und Tariq rappen, Gustav ist für das Visuelle zuständig und dreht die Musikvideos. „Wir haben schon als Kinder gerappt“, erzählt Victor, während sie auf das Frühstück warten. Die drei Endzwanziger sind in Kreuzberg aufgewachsen, waren zusammen im Kindergarten, haben gemeinsam Fachabitur gemacht. Ihre ersten Rap-Sessions machten sie in Jugendzentren am Halleschen und Schlesischen Tor.
„Es gab für uns keine finanzielle Unterstützung“, erzählt Tariq, der selbst drinnen die Sonnenbrille aufbehält. „Es war nicht absehbar, dass wir Erfolg haben würden. Es hat sich eher organisch ergeben.“ Anfangs verteilten sie ihre Tapes auf der Straße, 2017 erschien mit „Lauf“ ihr erster Song auf Spotify. Dann ging alles schneller als gedacht: Im August 2022 spielte RAPK eine kleine Show im Hole44 in Neukölln, ein Jahr später schon in der deutlich größeren Location „Huxleys Welt“. Im Oktober 2023 füllten sie bereits die Columbiahalle – diesen Freitag erneut.
Die Songs von RAPK erzählen vom Kreuzberger Alltag: Abhängen im Kiez, zielloses Umherstreifen zwischen Späti und Hinterhof, chillen bei Aral und Kiffen auf der Parkbank. Gleichzeitig haben die Tracks einen politischen und sozialkritischen Impetus: Es geht um Verelendung durch Drogen, Racial Profiling im Görlitzer Park, die Polizeiwache am Kottbusser Tor und Gentrifizierung.
Probleme oder Street Credibility?
„Das Ziel war nie, darauf aufmerksam zu machen, wie kacke es im Kiez läuft“, sagt Gustav. Die Gruppe hätten die Probleme sogar idealisiert – weil das Street Credibility brachte. „Und dann checkt man: Das ist alles gar nicht so cool, hier läuft ganz schon viel schief“, ergänzt Victor. Inzwischen klären sie durchaus anhand ihrer eigenen Erfahrungen darüber auf, was im Kiez schiefläuft.
„RAPK!“, ruft der Kellner durch das Café. Kurz darauf stehen drei dampfende Menemen auf dem Tisch. Einige Gäste werfen neugierige Blicke, tuscheln, erkennen die Lokalstars. „Wir sind hier schon oft“, erzählt Gustav und nimmt einen Bissen. Den Jungs ist es wichtig, trotz ihres Erfolgs, nicht diejenigen aus den Augen zu verlieren, die ihnen diesen Sprung ermöglicht haben. So bekommt auch der Menemen-Laden einen Auftritt im Musikvideo zu „Prinzessinenbad“. Für das Video wollten sie einen Eindruck für die Stimmung im Kiez bekommen und haben Passant*innen nach Geschichten aus Kreuzberg gefragt – und wie es ihnen geht.
Die Antworten waren ausführlich – einige Geschichten schön, andere schwer. Ein häufiges Thema ist Verdrängung. „Die Gentrifizierung frisst alles“, sagt Victor und stochert in seiner Eierspeise. „Ständig schießen Fremdkörper wie Pilze aus dem Boden, es hört nicht auf.“
Gentrifizierung als Endgegner
Gleich im Intro ihres 2023 erschienen Albums „Champions“, rappt Victor: „Bin geboren in meinem Haus 36, und in einem Monat muss die Fam da raus, nach fast 40 Jahren, weil ein Bastard kauft.“ Die Wohnung in der Muskauer Straße, in der Victor mit seiner Familie aufwuchs, sei ihnen wegen Eigenbedarf gekündigt worden. „Es gibt viele solcher Geschichten im Kiez“, sagt auch Tariq. Die Nachbarschaft versuche sich im Kampf gegen die Gentrifizierung zu unterstützen. „Aber es funktioniert nicht, weil es einfach nichts Bezahlbares mehr gibt.“
Auch das Zentrum Kreuzberg am Kottbusser Tor sei nicht mehr dasselbe, wie als die Jungs groß wurden. Anfang 2023 eröffnete dort die stark umstrittene Polizeiwache. In dem Lied „Cortez“ kritisiert RAPK: „Der Kotti nicht mehr gleich, im Zentrum wohnen jetzt Cops / Problembezirk er bleibt, aber nur am andern Spot.“
„Das ist das Gleiche, wie mit dem Zaun um den Görli“, sagt Victor. „Die Probleme verlagern sich nur.“ Auch der als kriminalitätsbelastet geltende Park taucht in ihren Tracks immer wieder auf. In „Bon Voyage“ beschreibt Tariq seine Erfahrungen mit Racial Profiling: „Görli Park is’ gefährlich / Cops nicht ehrlich / Keiner hier hat awareness / Kriminell ist mein Status / Werde bewertet, Black Boy.“
Trotz all der Wut und der Missstände, trotz Freund*innen, die im Knast sitzen und Drogenabhängigen, die gegen ihre Sucht ankämpfen, empfinden RAPK große Liebe für ihren Kiez. „Seit ich denken kann, beschützt mich diese Gegend“, heißt es etwa in „Tageins“.
Stille Helden
Ihr Album „Champions“ haben sie all jenen „Beton Champions“ und „Alltags Champions“ gewidmet, die nicht mit einem Pokal irgendwo stehen: Kids, alleinerziehenden Müttern, Menschen, die Müll wegräumen. Lieder aus dem Album, wie „Cortez“ oder „Gangfoto“ sind Liebeserklärungen – an Freundschaft, Familie und den Kreuzberger Alltag zwischen Kotti und Prinzenbad.
Diese Gleichzeitigkeit von Wut und Liebe einfangen – genau das soll auch das Musikvideo zu „Odyssee“, erzählt Gustav. Darin fahren Tariq und Victor auf der Rückbank eines Autos durch Kreuzberg – kiffen, lachen, lehnen sich aneinander. Ihre Blicke treffen auf Menschen draußen, die abwechselnd lächeln und freundlich Grüßen, dann wieder klagen, verrückt werden und ihnen eine Knarre an den Kopf halten. „Da ist gleichzeitig Gewalt, Drogen und Kriminalität, aber auch Freundschaft und schönes Kiezleben. Das Video soll eine Rückbesinnung sein: Es ist alles okay“, erklärt er.
Nur selten spielen die Musikvideos außerhalb von Kreuzberg. Wenn, dann nur in Frankreich, da der Sound von RAPK stark von den Banlieues von Marseille beeinflusst ist. Denn Victors Vater ist in den Banlieues von Paris groß geworden.
Als das Menemen aufgegessen und die Rapper satt sind, verabschieden sie sich vom Restaurantbesitzer, der seine Linsensuppe schlürft. Nach einer Verdauungskippe machen sie sich auf den Weg zum Rio-Reiser-Platz, vorbei an geschwärzten Wänden – ein stiller Protest gegen den Ausverkauf der Stadt. Von Balkonen hängen Transparente mit derselben Botschaft.
„Das ist eine historische Straße“, sagt Gustav, während er die Naunynstraße entlangläuft. Zum Myfest habe hier immer eine Hip-Hop-Bühne gestanden, vor der es regelmäßig zu großen Schlägereien und Kämpfen mit Macheten gekommen sei. „Ich war immer Feuer und Flamme für den 1. Mai“, erzählt er. Für die drei Freunde war die Revolutionäre 1. Mai-Demo immer eine Pflichtveranstaltung – im schwarzen Block.
Als das Myfest 2019 eingestampft wurde, riefen RAPK kurzerhand ihr eigenes ins Leben. Seitdem veranstalten sie jedes Jahr nach der 18-Uhr-Demo ein Soli-Konzert für den Kiez. Tausende kommen, um mit Pyro und Feuerwerk mit ihnen zu feiern – 2024 auf dem Rio-Reiser Platz. RAPK standen auf einem Transporter, der als Bühne diente, die Boxen waren viel zu leise für den Ansturm Feierlustiger. Der Stimmung tat das keinen Abbruch.
Auch sonst veranstalten RAPK häufig Soli-Konzerte – „immer dann, wenn es uns und den Kiez betrifft oder wir es für relevant halten.“ Sie sind in der „Rock ’n’ Roll Herberge“ aufgetreten, als diese wegen einer massiven Mieterhöhung schließen musste. Für Seawatch standen sie zusammen mit dem Moabiter Rapper Apsilon auf der Bühne und auch im autonomen Hausprojekt Köpi in Mitte treten sie häufiger auf.
Die Jungs ziehen vom Rio-Reiser-Platz weiter in Richtung Görli. Sie quatschen, scherzen, regen sich über die neue Messerverbotszone auf. Im Park stoßen sie auf einen Kumpel, rauchen und schnacken – Kreuzberg eben. Aber die Zeiten, in denen RAPK den ganzen Tag einfach abhängen können, sind vorbei. Also heißt es: einschlagen und ab ins Studio.
Konzert: Am Freitag, 25. April, treten RAPK in der Columbiahalle auf. Für spontan Entschlossene gibt es noch Tickets, ab 37 Euro.
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