■ Boris Jelzin hält trotz Korruptionsvorwürfen an Vize Tschubais fest: Kraftloser Aufstand
Der Aufruhr begann, als Boris Jelzin vor über einer Woche, in der Nacht zum 5. November, den Hausfreund seiner Familie und stellvertretenden Sekretär des Sicherheitsrates entließ: Boris Beresowski. Angeregt hatten dies die beiden Jelzin-Stellvertreter, Boris Nemzow und Anatoli Tschubais. Auf Beresowskis Antwort brauchten sie dann nicht lange zu warten, sie kam umgehend.
Seit Freitag wissen wir nun, daß Anatoli Tschubais und seine Mannschaft materielle Vergütungen von der Unexim-Bank begrüßten – eben von jener Finanzgruppe, die die letzten Privatisierungsauktionen in Rußland gewann.
Daß Wladimir Potanin, Chef der Unexim-Bank und Beresowskis Hauptkonkurrent, am Freitag abend eine Bombendrohung erhielt, war vielleicht nur ein Zufall. Ganz bestimmt nicht zufällig erfuhr dagegen die verarmte und neidische Mehrheit der Duma-Abgeordneten von dem skandalösen Autorenvertrag hoher Staatsbeamter und Minister. Per Resolution beschlossen die Abgeordneten in Moskau daraufhin, dem Vizepremier Tschubais den Lebensfaden abzuschneiden und die Privatisierung von Staatsbetrieben in Rußland vorerst auf Eis zu legen und einzustellen.
Glücklicherweise haben Resolutionen der Duma aber keinerlei Rechtskraft. In die Praxis umgesetzt, würde dieser Beschluß die Russische Förderation in ein unglaubliches Elend stürzen. Solange die störrische Duma keine Gesetze passieren läßt, die das Produzieren und Steuerzahlen in Rußland attraktiv machen, solange kann die Regierung einzig und allein dank der Privatisierungsauktionen ihren Staatshaushalt auffüllen, um damit dann den Witwen und Waisen ihre Renten zu zahlen. Eben deshab hat Boris Jelzin auch das Rücktrittsgesuch des Privatisierungsspezialisten Tschubais nicht angenommen.
Daß der Präsident drei andere Träger hoher Ämter in die Wüste schickte, war auch keine Willkür. Er hat damit Tschubais und dessengleichen die Angst in den Nacken gepflanzt. Zumindest für die nächsten drei oder vier Privatisierungsauktionen scheint damit garantiert, daß allein der dabei gewinnt, der dem russischen Staat am meisten bieten kann. Woran viele gezweifelt hatten, es hat sich doch erfüllt: Mit der Entlassung des Kreml-Paladins und Leibwächters Korschkow im Frühjahr hat Jelzin sich nicht bloß der Herrschaft eines Günstlings enthoben. Er nahm Abschied von der Günstlingswirtschaft überhaupt. Barbara Kerneck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen