Kostenxplosion bei Gefängnisbau: Großknast wird zur Dauerbaustelle
Ein Jahrzehnt lang wird schon an der sächsisch-thüringischen JVA in Zwickau gebaut, bis 2029 soll es noch dauern. Die Kosten haben sich verdreifacht.
Stellungnahme der Länder Sachsen und Thüringen
Auf dem Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes im Stadtteil Marienthal aber stehen nur die Rohbauten, ein Längsbau und sechs quer angeordnete Riegel. Seit dem Richtfest im Oktober 2022 hat sich auf der Baustelle nicht viel verändert. Die Umsetzung des gemeinsamen Baubeschlusses der Nachbarländer aus dem Jahr 2014 stieß früh auf massive Planungs- und bautechnische Probleme.
Auf Antrag des BSW debattierte der Sächsische Landtag im Mai dieses Jahres über das „Millionengrab“. Ende Juni veröffentlichten die beteiligten Länder Sachsen und Thüringen nach einem Besuch der zuständigen Ministerien in Zwickau eine Vereinbarung, die 2029 als neuen Fertigstellungstermin nennt. Der Kernsatz lautet: „Wir haben uns entschieden, den Weg weiter gemeinsam zu gehen, auch wenn es kompliziert ist.“
Solche Komplikationen deuteten sich bereits 2013 an, als eine Bürgerinitiative in Zwickau 10.000 Unterschriften gegen das geplante Großgefängnis sammelte. Eigenheimbesitzer befürchteten sinkende Grundstückswerte, Mütter sorgten sich um ihre Kinder, die üblichen Ressentiments gegen Gefangene im Freigang kamen zur Sprache, obschon ausdrücklich keine Schwerverbrecher mit mehr als fünf Jahren Freiheitsentzug inhaftiert werden sollen.
Pannen und Fehlplanungen
Insgesamt sind 820 Haftplätze vorgesehen. Dafür will Sachsen die alte Zwickauer Haftanstalt und die in Zeithain schließen. Der Zwickauer Stadtrat lehnte damals das Bürgerbegehren als rechtlich unzulässig ab.
In einer Mitteilung blickt das für Bau zuständige sächsische Finanzministerium selbstkritisch auf die zahlreichen Pannen und Fehlplanungen zurück. Der Aufwand für den Abriss des Reichsbahnwerkes und die Altlastenbeseitigung auf 25 Hektar Baugrund wurde unterschätzt.
2015 erhielt die ARGE Justiz-Planungen den Auftrag als Generalplaner für den JVA-Neubau. Ulrike Grosse-Röthig, justizpolitische Sprecherin der Linken im Thüringer Landtag, kritisierte im Januar 2025 dieses Modell, vor dem Fachleute bereits gewarnt hatten. Erst 2018 trat der Bebauungsplan der Stadt Zwickau in Kraft, was eine Fertigstellung nur ein Jahr später illusorisch erscheinen ließ.
Im selben Jahr scheiterte die beabsichtigte Vergabe der Bauleistungen an einen Generalunternehmer, weil „kein wirtschaftlich annehmbares Angebot abgegeben wurde“. Der Generalplaner schrieb daraufhin die Leistungen nach Gewerken aus. Erst 2019 konnte der Bau beginnen.
Teilabriss wegen Mängeln
Im Jahr des Richtfestes 2022 verstärkten sich die Konflikte mit dem Generalplaner. In etwa 50 Schreiben rügten die sächsisch-thüringischen Bauherren rund 100 konkrete Mängel. Weil der den Pfusch am Bau nicht wirksam korrigierte, wurde ihm 2023 gekündigt, in der Folge auch den beauftragten Firmen. Ab Ende März 2024 ruhten die Arbeiten an dem schon fast fertiggestellten Rohbau.
Es kam noch schlimmer. Ende Januar dieses Jahres bestätigte der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement SIB, dass ein Teilabriss von Gebäuden und technischen Anlagen aufgrund der Mängel im Raum stehe. Der neue Generalplaner S&P Sahlmann und Partner Leipzig, der 2024 seine Arbeit aufnahm, hatte dies in einem mehrere hundert Seiten starken Gutachten vorgeschlagen.
Etwas kryptisch teilte das sächsische Finanzministerium Ende Juni aber mit, auch das Fertigstellungskonzept des zweiten Generalplaners werde nicht weiterverfolgt. Das Prinzip der Generalplanung entspreche nicht der „spezifischen Situation“. Eine späte Bestätigung der bereits vor zehn Jahren hörbaren Anfangskritik also.
Suche nach einem Totalunternehmer
Stattdessen solle nun ein „Totalunternehmer“ gefunden werden, bei dem Planen und Bauen in einer Hand liegt. Die „umfangreiche Ausschreibung“ soll im Dezember dieses Jahres veröffentlicht werden, teilte das SIB Ende August mit.
Thüringen und Sachsen halten das Projekt trotz der Pannen und gestiegenen Baukosten weiterhin für erforderlich und wirtschaftlich. Sogar Valentin Lippmann von den oppositionellen Grünen im Sächsischen Landtag spricht zwar von einem „planerischen Totalversagen“, sieht aber keine Alternative zu einer Fertigstellung. Ein Ausstieg Thüringens steht nicht mehr zur Debatte, wie Staatssekretär Tobias J. Knoblich vom Infrastrukturministerium bestätigt.
Es sei aber wichtig für Thüringen gewesen, „sich von der Seitenlinie aus stärker ins Spiel zu bringen“. In beiden Freistaaten steht eine Abrechnung mit den politisch Verantwortlichen noch aus. Bis auf kleine Seitenhiebe hat die derzeitige Thüringer Brombeer-Koalition in dieser Causa noch nicht heftiger gegen ihre rot-rot-grünen Vorgänger ausgeteilt.
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