Kostenloses Leihradsystem: Eine extrem niedrig hängende Frucht

Die Linken fordern, das Berliner Leihradsystem zu vergrößern und dabei kostenlos zu machen. Ein ebenso sinnvoller wie breit ignorierter Vorschlag.

Ausschnitt von Rädern mit Beschriftung "Tier" und "Nextbike"

Auch wo „Nextbike“ drauf steht, ist mittlerweile „Tier“ drin Foto: dpa/Monika Skolimowska

Gut 6.500 sind es jetzt: die silbernen Leihräder der Firma Nextbike (mittlerweile im Portfolio des Anbieters Tier, besser bekannt für seine E-Scooter). Sie können an 2.900 Stationen gemietet werden, von denen sich jetzt immerhin 1.200 außerhalb des S-Bahn-Rings befinden. Das System wird vom Land Berlin bestellt und subventioniert. Gratis ist der Service für die NutzerInnen freilich nicht: Wer kein Abo zu monatlichen Festpreisen abschließt, zahlt pro Viertelstunde umweltfreundlichen Radelns 1 Euro.

Die Linksfraktion hat nun die Forderung erhoben, dass das Leihradangebot erstens massiv – auf rund 10.000 Stück – ausgebaut und zweitens den BerlinerInnen weitgehend kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Mindestens die erste Stunde Radfahren solle „für alle“ frei sein, so Niklas Schenker, der radverkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion. Finanzschwache Gruppen wie SchülerInnen und InhaberInnen des Sozialtickets sollen generell von Zahlungen befreit werden.

Neu ist diese Forderung nicht: Zuletzt vor einem Jahr meldete sich die Linke mit diesem Vorschlag zu Wort. In Sachen Verkehr hatte die Fraktion allerdings schon im Rahmen der damaligen rot-grün-roten Koalition wenig zu melden. Und alles, was Geld kostet – eine Komplettübernahme würde selbstredend deutlich teurer als der bisherige Zuschuss von rund 1,5 Millionen pro Jahr –, lässt sich am leichtesten verlangen, wenn man für die Finanzierung nicht verantwortlich ist. Unter Schwarz-Rot also noch leichter.

Tatsächlich ist die Idee aber so simpel wie sinnvoll: Denn auch wenn die Senatsverkehrsverwaltung sich in Superlativen ergeht, wenn es um das Nextbike-Angebot geht, ist noch unendlich viel Luft nach oben. „Jedes Rad wurde durchschnittlich bis zu 1,4 Mal pro Tag genutzt“, heißt es aus dem Haus von Senatorin Manja Schreiner (CDU) – das bezieht sich auf die radelstarken Monate Mai, Juni und Juli. Eine Ausbeute, die bei genauerer Betrachtung nicht viel besser ist als die viel kritisierte Nutzung von Pkws als „Stehblech“.

Das ist auch nicht wirklich ein Wunder. Die Nachteile der Räder – sie sind relativ behäbig und lassen sich abgesehen von der Sitzhöhe keinen persönlichen Bedürfnissen anpassen – wiegen aus Sicht vieler die Vorteile wie die spontane Verfügbarkeit und die Sorglosigkeit vor Diebstahl auf, solange es keinen echten finanziellen Anreiz gibt. Die allermeisten haben ja noch andere Mobilitätsausgaben, ob sie nun mit den Öffentlichen fahren oder dem Auto.

Missbrauch leicht zu verhindern

Ein kostenloses Leihradsystem ist verkehrspolitisch im Grunde eine extrem niedrig hängende Frucht, wie man so sagt. Die Prophezeiung sei erlaubt, dass ein Gratismodell die Nutzung massiv ausweiten würde. Dass Einzelne das Rad dann gar nicht mehr hergeben wollen, lässt sich durch technische Lösungen wie eine Begrenzung der Leihdauer oder eben durch die Beibehaltung von Gebühren ab einer bestimmten Fahrtdauer leicht verhindern.

Wie die Linke zu Recht moniert, werden CDU und SPD jetzt eine Stange Geld in das fragwürdige 29-Euro-Ticket für alle stecken. Stemmen ließe sich ein kostenloses Leihradsystem aus diesem Topf locker. Dass die Politik es nicht bezahlen will, zeigt, wie wenig ernst sie ihre eigenen Ziele nimmt. Denn die Auswirkungen auf Mobilität und Klimaschutz würden im Grunde wohl alle einschränkungslos begrüßen – vielleicht ließen sich, wie von den Linken erhofft, sogar die oft nervigen E-Scooter damit verdrängen.

Schon mit einem Kompromiss wäre im Übrigen viel erreicht: Warum erhalten nicht wenigstens Abo-KundInnen des ÖPNV das Recht, die Mieträder gratis als Zusatzangebot zu nutzen? Sie tun ohnehin schon viel fürs Klima und sichere Straßen und hätten sich diese Belohnung mehr als verdient. Auch im Sinne der vielbeschworenen Multimodalität, also der sinnvollen Kombination unterschiedlicher Verkehrsmittel, um die Stadt feinmaschig zu erschließen, wäre das nichts weiter als logisch.

Warum kommt da eigentlich niemand drauf?

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Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.

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