: „Kostenargument überzeugt mich nicht“
Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller hält den Entwurf zum Betriebsverfassungsgesetz für hochmodern und keineswegs mittelstandsfeindlich. Die Reform der Mitbestimmung sei überfällig, die Kritik der Arbeitgeber falsch
taz: Seit der Entwurf zur Reform der Betriebsverfassung vorliegt, tobt die Wirtschaft. Ihre Vertreter reden von einem „Relikt der Vergangenheit“, wollen aus dem Bündnis für Arbeit austreten und prophezeien den Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft. Gibt Ihnen das zu denken?
Kerstin Müller: Ich halte die Kritik der Arbeitgeberverbände für völlig kontraproduktiv. Modernisierung darf keine Einbahnstraße sein. Und die Drohung der Arbeitgeber, aus dem Bündnis auszusteigen, ist aberwitzig. Die deutschen Unternehmen sind in den vergangenen 20, 30 Jahren mit dem deutschen Mitbestimmungsrecht wirklich gut gefahren. Wir haben sozialen Frieden in den Betrieben – weil es klare Strukturen gibt, in denen Konflikte ausgetragen werden können. Nun hat sich die Arbeitswelt in dieser Zeit gewandelt. Es gibt neue Formen von Beschäftigung. Wir sind auf dem Weg in eine Wissensgesellschaft mit komplexeren Anforderungen an die Arbeitnehmer. Flexibilisierung, die die Arbeitgeber verlangen, erfordert mehr Mitbestimmung. Eine Reform, die die Betriebsverfassung an die neuen Verhältnisse anpasst, ist längst überfällig.
Auch die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, die Grüne Margareta Wolf, meint, dass der Entwurf den Mittelstand überfordert.
Nein, im Gegenteil. Für Betriebe bis 50 Beschäftigte soll die Bildung eines Betriebsrats doch durch das vereinfachte Wahlverfahren weitgehend entbürokratisiert werden. Statt acht Wochen inklusive Wahlausschreibung dauert es dann nur noch knapp einen Tag. Gewählt wird auf einer Wahlversammlung. So braucht man auch nicht wochenlang einen Wahlvorstand teilweise freizustellen. Das bring enorme Kostenersparnis.
Frau Wolf kritisiert eher, dass es zu teuer wird, wenn Betriebe ab 200 Beschäftigte einen Betriebsrat freistellen müssen.
Das Argument überzeugt mich nicht. Denn es sind gut investierte Kosten. Bei kleinen und mittelständischen Betrieben kommt es immer wieder zu Konflikten. Wenn es etwa zum Konkurs kommt, bedauern es beide Seiten oft, wenn sie keinen Betriebsrat haben. Hinzu kommt, dass sich Betriebsräte in der globalisierten Welt in viel mehr Bereichen auskennen müssen als früher. Ich nenne nur europäisches und internationales Recht, es können aber auch Umwelt- oder Arbeitsschutzauflagen sein. Diese Arbeit können sie zumindest ab einer bestimmten Betriebsgröße nicht mehr ehrenamtlich machen.
Es ist auch Psychologie. Unternehmer der New Economy sehen es als persönliches Versagen, wenn ihre Mitarbeiter einen Betriebsrat gründen.
Wenn diese neue Unternehmergeneration glaubt, sie brauche keine Mitbestimmung, irrt sie. Das hat man Anfang des Jahrhunderts auch schon mal geglaubt und ist eines Besseren belehrt worden.
Auch die Gewerkschaften sind nicht ganz zufrieden, ihnen greift der Entwurf zu kurz. So bemängeln sie, dass auch mit dem neuen Arbeitnehmerbegriff nicht alle Beschäftigten in die Mitbestimmung fallen.
Der vorliegende Entwurf ist hochmodern und gut austariert Wesentlichen Änderungsbedarf sehe ich nicht. Neue Beschäftigungsverhältnisse wie Teleheimarbeit oder Leiharbeit – wenn der Arbeitnehmer für einen genügend langen Zeitraum im Betrieb ist – sollen künftig miteinbezogen werden. Anders ist das bei den Auszubildenden: Hier gilt die Jugend- und Auszubildendenvertretung nur für die, die auf normalen betrieblichen Ausbildungsplätzen lernen. Jugendliche in über- und außerbetrieblichen Ausbildungen fallen raus. Sie haben so schlechtere Startchancen und werden zugleich aus der betrieblichen Demokratie ausgegrenzt. Auch angesichts des zunehmenden Rechtsextremismus könnte die betriebliche Mitbestimmung eine sinnvolle Maßnahme zur Integration sein.
Sie wollen also doch noch draufsatteln?
Nein. Es geht nur darum, dass man noch einmal schaut, wo noch Lücken sind.
Wie kommt man aus dem Dilemma mit der Abwehrhaltung der Arbeitgeber raus?
Ich fände es gut, wenn die Gewerkschaften diesen hochmodernen Gesetzesentwurf der Bundesregierung unterstützen würden. Die Arbeitgeber kann ich nur auffordern, sich aktiv an der Reform zu beteiligen.
INTERVIEW: BEATE WILLMS
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