Korruptionsvorwurf gegen Michel Temer: Gerichtsverfahren erstmal auf Eis
Trotz Bestechungsvorwürfen und sinkender Beliebtheit bleibt Brasiliens Präsident im Amt. Im Parlament kam die nötige Zweidrittelmehrheit gegen ihn nicht zustande.
Für eine Weiterleitung der Korruptionsvorwürfe an das Oberste Gericht hätten im Parlament 342 der insgesamt 513 Abgeordneten mit Ja stimmen müssen. Temer dagegen benötigte nur 172 Abgeordnete, die sich entweder hinter ihn stellen oder sich enthalten mussten, um den Prozess abzuwenden. Diese Zahl war bereits kurz nach Abstimmungsbeginn schnell erreicht.
Dem Endergebnis der Abstimmung zufolge erhielt Temer sogar 263 Stimmen und damit mehr als die Hälfte der gesamten Kammer. Temer selbst sprach von einem „klaren, unbestreitbaren“ Sieg. 227 Abgeordnete stimmten für die Weiterleitung der Vorwürfe an das Oberste Gericht, zwei enthielten sich.
Wäre die nötige Zahl für einen Prozess erreicht worden, hätte das Oberste Gericht ein Strafverfahren gegen Temer einleiten und den Präsidenten zunächst für sechs Monate suspendieren können. Das Verfahren hätte letztlich zur Amtsenthebung Temers führen können.
Mehr als neun Stunden Debatte
Der Präsident ist nach Überzeugung der Ermittler in einen weit verzweigten Korruptionsskandal verstrickt und soll Bestechungsgelder von einem Fleischkonzern kassiert haben. Ihm wird vorgeworfen, 500.000 Real (rund 130.000 Euro) Schmiergeld vom Chef des Fleischkonzerns JBS angenommen zu haben. Temer weist die Anschuldigungen zurück.
Der Abstimmung vorausgegangen war eine mehr als neunstündige lautstarke Debatte. Abgeordnete der Arbeiterpartei (PT) und anderer Oppositionsgruppierungen taten gleich zu Beginn ihren Unmut kund und hielten Plakate in die Höhe. Darauf forderten sie unter Hinweis auf die Korruptionsvorwürfe und auf Temers umstrittene Sparpolitik dessen Rücktritt sowie sofortige Neuwahlen.
Die linksgerichtete Opposition hatte gehofft, der Skandal könnte den Konservativen Temer stürzen und die Sparmaßnahmen stoppen. Diese hatten zu gewaltsamen Protesten geführt. Temer argumentiert jedoch, die Maßnahmen seien notwendig, um die Wirtschaft nach zweijähriger Rezession wieder anzukurbeln.
Temer in der Bevölkerung äußerst unbeliebt
Die Opposition ist überdies verärgert über Temers Amtsübernahme im vergangenen Jahr. Seine Vorgängerin, die linksgerichtete Ex-Präsidentin Dilma Rousseff, war im August 2016 vom Senat ihres Amtes enthoben. Ihr war vorgeworfen worden, Haushaltszahlen geschönt zu haben. Ihr damaliger Vize-Präsident Temer übernahm daraufhin umgehend das Ruder.
Temer sagte nach seinem Sieg im Parlament am Mittwoch, er werde dafür sorgen, „Brasilien aus der schlimmsten Wirtschaftskrise der Geschichte zu führen“. „Ich will die größte Umwandlung, die je in unserem Land vorgenommen wurde, zu Ende bringen“, sagte er.
Temer ist in der brasilianischen Bevölkerung äußerst unbeliebt. Seine restriktive Sparpolitik, die tiefe Wirtschaftskrise und die Korruptionsvorwürfe treiben die Menschen regelmäßig auf die Straßen. In der weitverzweigten Korruptionsaffäre in Brasilien hatte Temer seinen Kopf bisher immer wieder aus der Schlinge ziehen können.
Es wird allerdings damit gerechnet, dass Generalstaatsanwalt Janot den Staatschef in den kommenden Wochen noch mindestens in einem Punkt beschuldigen könnte, darunter wegen Justizbehinderung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern