Konzert beim Festival CTM: Hoodie-Wesen ohne Gesicht

Die britische Produzentin Gazelle Twin taucht ihre Maschinen in industriell-kühlen Klang. Ihre Stimme setzt sich gegen nagende Beats durch.

Immer schön verpixelt bleiben: Gazelle Twin. Bild: CTM/Promo

Graziös ist eine Gazelle mit ihren filigranen Beinen. Scheu ist sie auch. Die Elektroproduzentin und Sängerin Elizabeth Bernholz aus dem südenglischen Brighton hat das Tier für ihren Künstlernamen gewählt und es mit einem anderen Begriff verbunden: „Twin“, der Zwilling. Dem Zwilling kann etwas Unheimliches anhaften. Zwiegespalten, diabolisch kann er sein.

Mit ihrer Stimme greift Elizabeth Bernholz die Doppelgesichtigkeit ihres Zwillingssymbols auf: Auf weite Sopranhöhen kann sie klettern mit einem warmen Timbre und ausgedehntem Vibrato, aber kühl und tief kann sie auch singen: „Don’t know how to feel / When you want to see / All the pain you cause / To your family“ – abgehackt, fast maschinell haut die 33-Jährige diese schwarzen Zeilen auf einen industriellen Sound.

Ist Elizabeth Bernholz Gazelle Twin, dann hat sie ihr Gesicht verloren. Aus einer hellblauen Hoodie-Kapuze fällt nussbraunes, langes Haar hervor. Auf der Bühne setzt sie sich eine hautfarbende Maske vors Konterfei. In jedem ihrer Musikvideos, auf jedem ihrer PR-Fotos ist ihr Anlitz unkenntlich gemacht, verpixelt, zu einer Hautmasse geschmolzen.

Rohes, rotes Fleisch

Gazelle Twin: „Unflesh“ (Anti-Ghost Moon Ray/Last Gang)

Live: Donnerstag 29.1. CTM-Festival „Berghain“ Berlin, 30. 1. „UT-Connewitz“ Leipzig

Auch ein Stück rohes, rotes Fleisch kann an seine Stelle collagiert sein. Das unheimliche, gesichtslose Hoodie-Wesen Gazelle Twin ist kein Alter Ego. Aus Scheu vor dem Publikum soll die Musikerin 2011 begonnen haben, sich bei ihren Liveperfomances zu maskieren. Das machte Elizabeth Bernholz schließlich zu einem bildpolitischen Konzept: Einer Medienwelt, in der weibliche Musikerinnen zu sexy Ikonen stilisiert werden, tritt sie mit Anonymität entgegen. Was für ein Körper sich unter den lockeren Sportklamotten verbirgt, oder ob das lange, leicht gewellte Haar echt ist, bleibt Vermutung.

In ihren Texten zudem changiert Bernholz zwischen weiblicher und männlicher Rolle. Gazelle Twin wird so ein ungreifbares, androgynes Wesen in Kapuzenpulli und hochgezogenen Baumwollsocken.

Spiel mit Ungewissheiten

So queer das ist, Elizabeth Bernholz’ Spiel mit Ungewissheiten ist vor allem gruselig. Das Schauerhafte sitzt in den alltäglichen Dingen, denen sie in ihrer Musik ein eigenes, dunkles Leben einhaucht. Der simple Signalton einer Supermarktkasse etwa, dieses monotone Piepen, wenn der Laser einen Warenartikel erfasst, wird plötzlich zum unheilvollen Herzton. Er schlägt über einen nagenden Beat aus Holzstick-Samples. „I’ll take it like milk from a baby, swallowing it down /Tasting that sweet thing / I’m stuck in the belly of the beast“, singt sie dazu. „Exorcise“ ist der Titel des Tracks, in dem ein Hundebellen zu einer teuflischen Gebärde wird. Ruckartig bricht es aus einer langsam sich aufbauenden Überlagerung stumpfer Synthiepatterns heraus.

Beengend, angsteinflößend, aber auch industriell-kühl ist Gazelle Twins Sound. Ein in Synthie-Klängen gepacktes, modernes Horrorszenario. Nicht von Anfang an hatte Elizabeth Bernholz diesen Stil. Sie, die klassische Komposition studiert hat, debütierte 2011 in ihrem Album „The Entire City“ mit einer breit arrangierten, elektronischen Landschaftsaufnahme. „Ich orientierte mich seinerzeit noch sehr an dem klassischen Zeug aus meinem Studium“, wird Bernholz in dem Online-Magazin The Quietus zitiert. Auf ihrer EP „Mammal“ von 2013 bereitete sie den schaurigen Stil vor, den sie nun in ihrem zweiten, kürzlich erschienenen Album, „Unflesh“, verfeinert hat. Schnitt zum Videoclip ihres Songs „Guts“: Das Hoodie-Wesen sitzt auf dem Rücksitz eines Autos.

Durch die Waschanlage

Langsam rollt das Vehikel in eine Waschanlage. Während große Schwammlocken über die Windschutzscheibe fahren, krümmt sie sich auf der Rückbank im Wagen vor Angst, bäumt sich auf vor Wut, räkelt sich, mal lasziv, mal von Panik ergriffen. „Deep inside / Every part of you/ There’s a will / To resist the cell“, singt sie zur Unkenntlichkeit verzerrt – erneut das Spiel mit der Anonymität – über einem krassen Beat aus trockener Bassdrum und metallischer Hi-Hat. Ein Schrei aus der Ferne beendet die Szene. Klaustrophobie, Paranoia, das banale Setting einer Autowaschanlage, die austestende Erotik zwischen Erschrecken und Lust, der Verweis aufs Körperliche im Text – das Ganze hat etwas von der Brüchigkeit einer Teenagerpsyche.

Es ist der Horror der Adoleszenz, der auch durch Laura Palmers High School in der TV-Serie „Twin Peaks“ schauerte, den Elizabeth Bernholz mit ihrer Kunstfigur verarbeitet. Ihr blauer Hoodie gehört zum Symbolismus von Gazelle Twin dazu: Es ist exakt das Modell, das sie als Teenager im Sportunterricht tragen musste.

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