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Konservative SchulreformpläneDie CDU erfindet eine neue Schule

Hauptsache, es wird getrennt. 40 Jahre zu spät steigt die CDU von einem toten Pferd: der Hauptschule. Und steigt gleich aufs nächste auf: die Oberschule.

Ein Bild des Grauens für Konservative: Gesamtschule. Bild: dpa

Die Realschullehrer und ihre Verbände sind nervös. Sehr nervös. Das ist verständlich, denn die CDU bereitet einen revolutionären Parteitag vor. Die Union ist willens, im September ihre geliebte Hauptschule zu Grabe zu tragen - dabei wird die Realschule notwendigerweise gleich mitbeerdigt.

Der neue Fetisch der Unionschristen heißt Oberschule. Wie die neue Oberschule konzeptionell genau aussehen wird, ist noch nicht klar. An ihr feilen noch mehrere CDU-Minister, einer bedeutender als der andere: Roland Wöller aus Sachsen, KMK-Präsident Bernd Althusmann aus Niedersachsen und Bundesbildungsministerin Annette Schavan. "Wie die pädagogische Verfassung der Oberschule sein wird, muss mit Schulpraktikern und Bildungsforschern erarbeitet werden", sagte Schavan. Das wird die Bürger freuen, dass die CDU offene Experimente mit ihren Kindern machen will.

Freilich gibt es wild lebende Beispiele der neuen Spezies Oberschule. Sie heißen, je nach Verbreitungsgebiet, Mittelschule oder Sekundarschule oder Regionalschule und sind Zusammenfassungen aus Haupt- und Realschule. Allerdings keine echte Integration, allein dieses Wort macht Bildungspolitiker der Union wahnsinnig. Oberschulen sind so etwas wie Kooperative Gesamtschulen - nur ohne Abitur: Mehrere Schulformen unter einem Dach, die aber die Kinder weiter scharf nach Haupt- und Realschülern trennen. Das ist der CDU besonders wichtig.

Ziel der Union ist es, nachdem sie jahrzehntelang das dreigliedrige Schulsystem und besonders die Hauptschule angebetet hat, nun ein Zweisäulenmodell zu etablieren: Neben dem Gymnasium soll es nur noch eine weitere Schulform geben. Freilich ist nicht ganz klar, wieso sie sich dann schnell noch eine neue Schulform erfindet. Denn die Schule neben dem Gymnasium ist die Gesamtschule, mancherorts auch Gemeinschafts- oder Stadtteilschule genannt. "Die Oberschule ist eine echte Alternative zur Gesamtschule", erklärt dazu Bernd Althusmann, "sie ist die richtige Antwort zur richtigen Zeit. Sie wird ein Erfolgsmodell."

Niedersachsen peinigt die Gesamtschule

Althusmann sollte wissen, wovon er redet. Er ist der Präsident der Kultusminister, und er muss in seinem Land Niedersachsen so reden. Die Gesamtschule ist dort 100 Mal vertreten, und sie ist ein echtes Erfolgsmodell. Sie hat gerade wieder den deutschen Schulpreis gewonnen, zum zweiten Mal bereits. 250.000 Niedersachsen haben gerade eine Ehrenerklärung für die Gesamtschule abgegeben.

Nur wollte Althusmanns Partei die Gesamtschule jüngst noch ausrotten, da kann er jetzt nicht einfach sagen: Wir lieben die Gesamtschule - und muss sich also eine Oberschule erfinden und gründen. Und es obendrein der Gesamtschule künstlich schwermachen, indem er ihr verschärfte Ausleseregeln aufdrückt, ihren Namen aus dem Schulgesetz streicht und sie zum Abitur in acht Jahren zwingt. Schulforscher schütteln den Kopf, wenn sie sehen, wie Niedersachsen die Gesamtschulen peinigt. "Es sieht so aus, als zwinge das Land eine erfolgreiche Fußballmannschaft ständig zum Eishockeyspielen", sagt der Göttinger Schulforscher Hermann Veith.

Althusmann sieht das ganz anders. Er sagt, die Oberschule wird die Gesamtschule ablösen. Das zeige sich ganz deutlich in Deutschland. Weil es aber ganz anders ist, will man von Althusmann wissen: Wo zeigt es sich denn? Der KMK-Präsident kennt sich in Deutschland aus, er verweist auf Sachsen und Thüringen. Allerdings vergisst er, Schleswig-Holstein zu erwähnen. Dort standen die Gesamtschule (als Gemeinschaftsschule) und die Oberschule (als Regionalschule) bei der Bevölkerung und den Schulträgern zur Auswahl - die Regionalschule wollte kaum jemand. Heute gibt es über 100 Gemeinschaftsschulen dort und so gut wie keine Oberschule.

taz: "Was sagen Sie dazu, Herr Althusmann?"

Bernd Althusmann: "Als Kultusminister äußere ich mich grundsätzlich nicht zu den inneren Schulangelegenheiten anderer Bundesländer." Das ist auch eine Antwort.

"Hauptschulpädagogik"

Vielleicht kennt sich Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) besser aus. Zwei Kollegen der Zeitung Die Welt haben Schavan gefragt, warum sie die Hauptschulen fallen lasse, und wir können davon Passagen übernehmen, weil sie so interessant sind. "Bald wird es 35 Prozent weniger Schüler geben, darauf müssen wir uns einstellen", sagte Schavan. "Deshalb wollen wir Haupt- und Realschulen zu Oberschulen zusammenlegen."

Die Welt: "Das klingt nach der rot-grünen Gemeinschaftsschule."

Annette Schavan: "Wir machen keine linke Bildungspolitik, weil die in Deutschland gescheitert ist. Die Linke denkt nur in Strukturen, an die sich die Pädagogik anzupassen hat. Im Mittelpunkt unserer Politik stehen Kinder, Bildungsinhalte und Bildungsziele. Danach erst kommen Strukturfragen."

Die Welt: "Den Schulträgern geht es oft nur darum, Schulstandorte zu erhalten, nicht um Pädagogik."

Annette Schavan: "Schulen zu erhalten ist ein berechtigtes Anliegen der Bürgermeister. Wenn es aber allein dabei bleibt, schafft sich die Bildungspolitik selbst ab. Eine Bildungspolitik, die nicht die Pädagogik im Blick hat, ist keine."

Weil die Bildungsministerin die Pädagogik so fest im Blick hat, wollten auch wir und Die Welt wissen, um welche Pädagogik es denn geht. Darauf sagte Schavan etwas von "Hauptschulpädagogik".

Welt: "Was zeichnet die Hauptschulpädagogik aus?"

Annette Schavan: "Die Lehrer an den Hauptschulen haben große Leistungen für die Integration erbracht. In keiner anderen Schulform hat die persönliche Begleitung, die individuelle Betreuung von Schülern eine so hohe Bedeutung. Darauf müssen wir aufbauen."

Wir haben, weil wir weder Schavans Erklärung verstanden haben noch den Begriff kannten, nachgesehen, was Hauptschulpädagogik ist. In der 2.500-jährigen Geschichte der Pädagogik findet sich so etwas nur einziges Mal: als ein einsamer Versuchsstudiengang in Nürnberg-Erlangen. Darauf, immerhin, kann die CDU jetzt aufbauen.

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7 Kommentare

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  • N
    Nils

    Die Union pfuscht mit einem überholten System rum. Das kann sie aber nach wie vor tun, weil es eine ausreichend große "bürgerliche Mitte" in unserem Land gibt, die das Gymnasium als ihr eigenes Territorium betrachtet, das ihrem Nachwuchs gegenüber anderen Schichten den Zugang zu den Fleischtöpfen sichert. Dabei werden beispielsweise die sozialen Probleme und die Überforderung der Kinder auch im Gymnasium immer virulenter, weil seitens der Eltern alles in diese Schule gepresst wird, was nur irgendwie geht, während man den Rest dann in die "Restschulen" quetscht, wo sich die damit aussortierten Probleme nur noch verschärfen - auch dank einer chronischen Unterfinanzierung der des Bereichs "Schule" . Das alles natürlich bei steigenden Ansprüchen seitens der Politik (Abitur mit 12 Jahren; immer wieder neue interne Reformen seitens parteiischer Dezernenten und Referenten) und der Elternschaft ("Mein Kind bekommt selbstverständlich das Abitur, schließlich sind wir doch Anwälte/Ärzte/Unternehmer/Beamte.")

     

    Die vermeintlich lernfördernde annähernde Homogenität des Gymnasiums ist eine Illusion und wird die Probleme nicht lösen, denen sich unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzenten gegenüber sieht. Ich bin ja durchaus konservativ hinsichtlich der Ansprüche, die wir an unsere Kinder stellen bezüglich Bildung und sozialem Verhalten, aber wenn wir unseren Nachwuchs für die Zukunft fit machen wollen, sollten wir mal unser überholtes Schulmodell überdenken. Die Dreigliedrigkeit, die die CDU da wider besseres Wissen verteidigt, wäre ein Punkt, damit zu beginnen.

  • O
    Oblong

    Mein Eindruck verfestigt sich, dass die Mehrzahl aller "Schulreformen" außerhalb des Gymnasiums erfolgen und letztendlich nur dazu dienen, dieses (und seine Klientel)unangetastet zu lassen. Hauptsache, die Gymnasialkinder dürfen unter sich bleiben.

  • K
    Kommentator

    " Freilich gibt es wild lebende Beispiele der neuen Spezies Oberschule. Sie heißen, je nach Verbreitungsgebiet, Mittelschule oder Sekundarschule oder Regionalschule und sind Zusammenfassungen aus Haupt- und Realschule. "

    Ja, z.B. im Norden gibt es diese Beispiele; bei uns in Bremen sogar unter dem Namen 'Oberschule'. Mehr als nur Integration, sondern Inklusion, also auch noch unter Abschaffung der meisten Sonderschulen. Mit gemeinsamen Unterricht ohne interne Aufspaltung in unterschiedliche Klassentypen. Und mit der Möglichkeit zum Abitur nach 13 Jahren - die daneben einzige Schulform der Gymnasien macht es in 12 Jahren.

    Klar gibt es auch am 'Bremer Schulkonsens', der von CDU, FDP, Grünen, SPD getragen wird, noch Kritikpunkte. Aber ich persönlich kann mit dieser Art von 'Oberschule' gut leben.

  • AB
    Arne Babenhauserheide

    Annette Schavan: „Kinder¹, Bildungsinhalte² und Bildungsziele³“

     

    ¹: klingt immer gut!

    ²: möglichst viel auf einmal!

    ³: bloß nicht selbst denken lassen!

  • H
    hitti

    Zu Sachsen:

     

    "Der KMK-Präsident kennt sich in Deutschland aus, er verweist auf Sachsen und Thüringen"

     

    Die Schulen heißen zwar Mittelschulen, aber wie korrekt erwähnt, sind es eigentlich Schulen mit je mind. einem Hauptschul- und Realschulzug.

    Das bedeutet absurderweise auch, dass wenn für die Haupt- oder Realschulklasse nicht ausreichend Kinder zusammen kommen, dieser Mittelschulstandort nicht weiter bestehen darf. In Folge wird die Schule geschlossen. Dies gab es schon mehrfach - trotz Protesten und dem Wissen, dass in den kommenden Jahrgängen absolut wieder mehr Kinder in die 5. Klassen kommen.

    Die sog. Mittelschule in Sachsen muss also Kinder in Haupt- und Realschüler einteilen!!! Und das je mit einer Mindestanzahl an Kindern.

     

    Wahrscheinlich ist es aber politisch so dazu gekommen, dass der "Westen" dies Anfang der 90er Jahre den neuen Bundesländern so aufdoktroiert hat (meine das mal gelesen zu haben). Ebenso wurde die Beibehaltung des "DDR"-Abiturs zum Ende der 12. Klasse mit der Auflage versehen, dass die Gesamtstundenzahl des "Westens" dann auf 8 anstelle von 9 Jahren verteilt werden musste, was zur Folge hat, dass die Kinder und Jugendlichen nun bis spät nachmittags in der Schule sind - im Westen und im Osten Deutschlands - und nicht die Lehrpläne entrümpelt worden sind.

     

    Es handelt sich in Sachsen daher in keinsterweise um die Schulformen der ehemaligen DDR (diese gingen im übrigen bis zur 10., später bis zur 8. Klasse, alle in eine gemeinsame Schule) und auch nicht um eine herausstechende Bildungspolitik. Die Schulen heißen nur anders - angelehnt an die ehemaligen Schulformen, die Dreigliedrigkeit ist in sie hinein gepresst.

     

    In Sachsen kommt zu der Dreigliedrigkeit für mich persönlich erschreckend diese absolute Leistungsfixiertheit auf Schulnoten hinzu. Ich habe selbst drei Kinder im schulpflichtigen Alter und komme ursprünglich aus einem anderen Bundesland. Hier werden Zeugnisse von Viertklässlern behandelt wie zu meinerzeit das Abschlusszeugnis einer weiterführenden Schulart. Wer den besten Durchschnitt hat, wird an entsprechenden Schulen aufgenommen. Bewerben darf sich das Kind bzw. seine Eltern an einem Gymnasium sowieso nur mit einem Durchschnitt von 2,0 in den Fächern D, Ma und SU. Es darf allerdings auch keine 4 darunter sein.

    Ach, und die 'Kopfnoten' sind hier auch besonders wichtig (Betragen, Ordnung etc.)

     

    Zum Schluss noch meine erste Erfahrung mit 'richtigen' Noten in der Schule meiner Kinder (vorher gab es eben entsprechend 5 verschiendene Stempel ;-)):

    "Mama, stell' Dir vor, es gab sogar Kinder, die eine drei bekommen haben!" Das hat mein ältester Sohn mit einer Betonung gesagt, als wenn eine 3 eine 5 oder 6 wäre. So wurde das den Kindern Anfang der zweiten Klasse vermittelt und im Prinzip gilt das hier nach meinen Erfahrungen in Sachsen (Dresden) auch durchweg so: Note zwei geht gerade noch so, alles andere ist schlecht und zum aussortieren in die 'Restschule' geeignet. Abitur sollten laut vieler ehemaligen DDR-BürgerInnen sowieso ja nur ca. 2 Kinder je Klasse machen. Das ist dann der Rest an Ostkultur in den sächsischen Schulen. Daher wurde der "Bildungsempfehlungsdurchschnitt für das Gymnasium" im vergangenen Jahr auch wieder auf 2,0 anstelle des für kurze Zeit eingeführten Durchschnitts von 2,5 in Ma und D eingeführt. Ja nicht so viele Kinder auf's Gymnasium! Und dass keineR denkt, dass es sich hier um eine 'Empfehlung' für die Eltern handelt: Ohne diese Empfehlung für's Gymnasium darf kein Kind in Sachsen auf ein Gymnasium. Die Mittelschulen sind leider auch hier keine angenehme Alternative, sondern werden von den Eltern meist als Restschulen empfunden.

  • E
    Edward

    "Freilich gibt es wild lebende Beispiele der neuen Spezies Oberschule" Und eine wurde natürlich auch von der taz unterschlagen: die Polytechnische Oberschule der DDR, die in Finnland fröhliche Pisa-Würdigung erfährt.

  • H
    hopfen

    In Hamburg haben sie unter Schwarz-Grün auch Gesammtschulen eingeführt, die sie dann Stadtteilschulen genannt haben...man will halt nicht das "Linke Konzept" nachbauen, also benennt man es um...

     

    Die Vorteile der Betreuung, welche die Hauptschule angeblich leistet, leistete eine gute Gesammtschule mit Abitur in 9 Jahren locker. Zudem steht den Schülern dann auch das Abitur als Abschluss zur Verfügung. Ich kenne viele Schüler, die zunächst keine "gymnasialempfehlung" erhalten hatten (In Hamburg die Empfehlung nach der 4. Klasse auf welche Schule ein Kind gehen soll.), sich dann aber für die Gesamtschule und nicht für die Haupt- oder Realschule entscheiden haben und schließlich ein Abitur gemacht haben. Den Vorteil, diese Schüler auf eine Oberschule zu schicken sehen ich nicht. Der Einzige Vorteil ist die schlechtere Bildung, welche vielleicht leichter CDU wählen lässt.