Konsequenz aus NRW-Wahl: Merkel versenkt Steuersenkung
Am Tag nach der Wahl beendet die Bundeskanzlerin das leidige Steuerthema. Seehofer und Westerwelle stehen nun im Abseits, doch der Preis dafür war hoch.
Es hat nach der Schließung der Wahllokale exakt 19 Stunden und 30 Minuten gedauert, bis Angela Merkel persönliche Konsequenzen zog. Über die Krise redete sie an diesem Montagmorgen nach den Sitzungen der Parteigremien in Berlin, über die Staatsverschuldung und den Zwang zur Konsolidierung. Dann sprach sie ihr lange erwartetes Machtwort. "Das heißt, dass Steuersenkungen auf absehbare Zeit nicht umsetzbar sein werden." Punkt.
Damit ist die Kanzlerin wieder dort angekommen, wo sie vor eineinhalb Jahren schon einmal war. Auf dem Stuttgarter CDU-Parteitag im Dezember 2008 erläuterte sie aus guten und heute noch gültigen Gründen, warum Steuersenkungen nicht zu verantworten seien. Wenige Wochen später fiel sie um, aus taktischem Kalkül. Sollten doch CSU-Chef Horst Seehofer und der mögliche Koalitionspartner Guido Westerwelle mit dem Thema selbst gegen die Wand laufen. Dann wäre nicht Merkel die Spielverderberin, müsste sich nicht länger für ihr Parteitagswort von der schwäbischen Hausfrau verlachen lassen.
Hoher Preis
Der Preis dafür war hoch, das Thema verhagelte den Start ihrer zweiten Amtszeit und kostete in Nordrhein-Westfalen zumindest einen Teil der Macht. Was Westerwelle und Seehofer betrifft, ist das Kalkül allerdings aufgegangen. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass durch die veränderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat dieses Projekt nicht leichter geworden ist", sagte Westerwelle am Montag (siehe Artikel rechts). "Die CSU sieht auf absehbare Zeit leider keine Chance der Durchsetzbarkeit einer Steuerentlastung", erklärte Seehofer.
Schon wieder zwei Quälgeister, die jetzt ganz kleinlaut sind. Der dritte stand direkt neben der Kanzlerin, am Montag im Berliner Konrad-Adenauer-Haus. Jürgen Rüttgers sah einigermaßen entspannt aus, entspannter jedenfalls als in den Wochen eines Wahlkampfs, der für ihn mehr und mehr zum Albtraum geworden war. "Ich werde meinen Beitrag dazu leisten, dass Nordrhein-Westfalen wieder eine stabile Regierung hat", sagte er. Es klang, als könne dieser Beitrag auch in einem Rückzug bestehen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Oder vielleicht eine Berliner Aufgabe in Aussicht steht.
Das Instrument, das Merkel von nun an zu benutzen gedenkt, hört auf den Namen Bundesrat. Die fehlende schwarz-gelbe Mehrheit dort ist ein Argument, das selbst Westerwelle und Seehofer akzeptieren müssen. Der Zwang zum Kompromiss weist den Weg zurück zu der Rolle, die Merkel am liebsten ist. Als Madame Vermittlungsausschuss kehrt die Konsenskanzlerin zurück.
SPD und Grüne können sich schon darauf vorbereiten, dass Merkel sie gegeneinander ausspielen wird. Merkel erinnerte an die Jahre zwischen 1995 und 1998, als sie Umweltministerin im Kabinett Kohl war und SPD-Chef Oskar Lafontaine mit seiner Mehrheit in der Länderkammer alle Regierungsprojekte torpedierte. "Diese Situation haben wir ja so nicht", sagte die Kanzlerin am Montag. "Da gibt es Schwarz-Grün, da gibt es Jamaika im Saarland." Merkel kann sich aussuchen, mit welcher der beiden Oppositionsparteien sie von Fall zu Fall paktiert. Auch ohne Schwarz-Grün in NRW reicht es mit den Grünen im Bundesrat zur Mehrheit.
Das zweite Instrument, mit dem Merkel den Zwang zum Konsens begründen kann, ist die Krise. Sie hat schon die Schlussphase des Wahlkampfs überschattet, ohne den Verdruss der CDU-Klientel über das griechische Hilfspaket hätte die Partei wohl eine regierungsfähige Mehrheit zustande gebracht.
Flucht nach Moskau
Immerhin hat Merkel es geschafft, das neue Hilfspaket aus den letzten Wahlkampfstunden herauszuhalten. Schon in der Nacht zu Samstag musste sie dem Drängen des Franzosen Nicolas Sarkozy auf eine große Lösung nachgeben. Eilig reiste sie aus Brüssel dann ab, sie gab kein Pressestatement, vermied dadurch eine größere Berichterstattung. Den Samstag verbrachte sie in Moskau, bei den russischen Siegesfeiern zum 65. Jahrestag des Kriegsendes. Erst am Sonntagabend, als die Wahl bereits vorüber war, wurden die Einzelheiten des europäischen Rettungsfonds bekannt.
Vor dem Hintergrund der globalen Krise erscheint die NRW-Wahl, die lange als politischer Höhepunkt des Jahres galt, nun fast als Petitesse. Wäre da nicht der Vorwurf, Merkel habe das Thema mit Blick auf Düsseldorf absichtsvoll verschleppt. Am Ende blieben nur wenige Stunden zwischen dem Schließung der Wahllokale an Rhein und Ruhr und der Öffnung der Börsen im fernen Asien und Australien, um die Rettung der Gemeinschaftswährung zumindest vorerst zu vollenden.
Die globale Krise muss jetzt auch als Argument herhalten, warum sich die SPD als Juniorpartner in eine Düsseldorfer Koalition bequemen soll. Stabile Verhältnisse, lautet das Stichwort. Auf den Posten des Ministerpräsident könne die CDU auf keinen Fall verzichten, hheißt es am Montag im Konrad-Adenauer-Haus, das sei nun mal das Recht des Stärkeren und mithin eine Regel, die nicht aufzugeben sei. Dass dieser Jemand dann auch Rüttgers heißen muss, darauf legt sich keiner der Christdemokraten nach der Sitzung fest.
Mit einem Hinweis auf ihre Terminnot beantwortete Merkel auch die Frage, warum sie die Konsequenzen aus der Steuerschätzung erst nach Schließung der Wahllokale zog. "Die Steuerschätzung lag nur zwei Tage vor der NRW-Landtagswahl", sagte sie. "Da hatte ich noch keine Gelegenheit, Schlussfolgerungen deutlich zu machen."
Man mag es sich bildlich vorstellen, wie die Parteivorsitzende während der Sitzungen von Präsidium und Vorstand endlich den Bericht der Steuerschätzer aus der Aktenmappe zog, der zuvor wegen Eurogipfel und Russlandreise ungelesen blieb. Man kann ja nicht an alles denken in turbulenten Zeiten wie diesen.
Vor dem Hintergrund der globalen Krise erscheint die NRW-Wahl, die lange als politischer Höhepunkt des Jahres galt, nun fast als Petitesse
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich