Konkurrenz unter Obdachlosen-Zeitungen: Streit auf der Straße
Schwierigkeiten für das Hamburgs Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“: Nach Auftreten dubioser Konkurrenz, folgte ein Angriff auf deren Renommee.
HAMBURG taz | Eine stressige Zeit hat das Team der Hamburger Straßenzeitung Hinz&Kunzt derzeit – von den Verkäufern auf der Straße bis hin zur Chefredakteurin und dem Geschäftsführer: Auf der Straße gilt es, sich der Konkurrenz einer dubiosen weiteren Obdachlosen-Zeitung zu erwehren. Und im Büro, das Renommee der gesamten Organisation zu verteidigen.
Die Probleme haben schon im April angefangen, als das Straßen Journal Deutschland in Hamburg aufgetaucht ist. Das neue Straßenmagazin bezeichnet sich selbst als „vollkommen legal und verkauft von Obdachlosen“. Diese kommen wie ihr Chef Martin Sjirkov vor allem Osteuropa.
Sie verkaufen ihre Zeitung für einige Cent weniger als die Hinz&Kunzt-Verkäufer und machen diesen die Verkaufsplätze streitig: Die Hinz&-Kunzt-Verkäufer werden dazu gedrängt, ihren persönlichen Verkaufsplatz den Neuen zu überlassen. Bisweilen kommt es dabei zu Gewalt – mehrfach musste die Polizei eingreifen.
Solche Streitereien stören das Geschäft: Die Auflage des in Hamburg etablierten Magazins Hinz&Kunzt hat sich in den vergangenen Monaten um einige Tausend Exemplare verringert. Vor allem aber schaden die Konflikte dem sozialen Ziel des Projektes: der Wiedereingliederung von Obdachlosen.
Insgesamt 38 Mitarbeiter sind bei der Zeitschrift fest angestellt. 21 davon sind ehemalige Obdachlose.
520 Verkäufer gibt es. Jeder hat einen festgesetzten Verkaufs-Platz. Sie kaufen die Zeitung für 1,10 Euro bei der Redaktion und verkaufen sie für 2,20 Euro auf der Straße.
Unverkaufte Ausgaben werden nicht zurückgenommen. Zweck ist es, den Verkäufern die Verantwortung für die Ware zu übertragen.
Genau auf diesen Aspekt richtet sich ein Angriff, der in der jüngsten Ausgabe des Straßen Journals zu lesen ist. Der Beitrag wurde wie der größte Teil der Artikel nicht speziell für das Straßen Journal selbst verfasst – er ist aber dieses Mal deutlich als Gastkommentar gekennzeichnet.
Die Kritik wurde zuerst bei Hanse Tipp, einem Anzeigenblatt veröffentlicht. Als Autor zeichnet Sven Wolter-Rousseaux, der Chefredakteur. Dieser ist bei Hinz&Kunzt schon seit Jahren bekannt: 2008 hatte er Jens Ade, dem Hinz&Kunzt-Geschäftsführer, das erste Mal ein Angebot unterbreitet: Die Hinz&Kunzt-Verkäufer sollten auch sein Blatt anbieten – das Angebot wurde abgelehnt. Jetzt stellt Rousseaux die Ehrlichkeit von Hinz&Kunzt in Frage.
Der erste Kritikpunkt betrifft den Verkäufer-Status: Sie sind nicht fest angestellt. Tatsächlich kauft jeder Verkäufer eine gewisse Menge von Zeitungsausgaben und verkauft sie wieder auf der Straße, mit einem Gewinn von ungefähr einem Euro pro Ausgabe. Das ist der erste Schritt zu einer normalen Beschäftigung in der Arbeitswelt und funktioniert mit festen Verträgen einfach nicht.
„Ein fester Vertrag bedeutet, eine gewisse Menge von Zeitungen zu verkaufen“, sagt Stephan Karrenbauer, Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter. „Das klappt nicht immer und so stehen die Verkäufer unter Stress.“
Ebenfalls merkwürdig findet Rousseaux die Rücklage von Hinz&Kunzt in Höhe von rund 1,7 Millionen Euro. Allerdings hat Hinz&Kunzt aus der Rücklage und deren Höhe nie ein Geheimnis gemacht. Sie wird dafür verwendet, Wohnraum für die Verkäufer bereit zu stellen, sowie für andere langfristige Projekte – wie das Brotretter-Geschäft, bei dem ehemalige Obdachlose fest angestellt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland