Kongress des Chaos Computer Clubs: Der CCC im Hier und Jetzt

Der rC3 tut der Zivilgesellschaft gut, auch weil er online stattfindet. Zentral diskutiert wird die Frage der Freiheit.

Eine Person hinter einem Laptop, auf dem verschiedene Sticker geklebt sind. Unter anderem steht auf einem Sticker "Defekt", ein anderer zeigt das Linux-Maskottchen Tux, ganz oben steht auf einem Sticker: "Alles Zweifelhafte muss angezweifelt werden."

(K)ein Hacksenwerk: Auf dem CCC gibt es auch Workshops für An­fän­ge­r:in­nen Foto: Sebastian Willnow/dpa

Der rC3 tut der Zivilgesellschaft gut – auch weil er nur online stattfindet und nicht wie bis zur Pandemie vor allem in riesigen Hallen, aus denen jedoch ebenfalls gestreamt wurde. Das verändert das Bild, das Nicht-Hacker*innen vom Kongress haben. Viele wussten bisher nicht vom Streaming-Angebot des Kongresses, dachten beim jährlichen Kongress des Chaos Computer Clubs (CCC) bisher an eine „Nerd-Veranstaltung“, auf der sich nur Ha­cke­r*in­nen treffen. Die Tickets waren begrenzt und die Angst, unter 17.000 Ha­cke­r*in­nen als einzige Person keine Ahnung von IT-Sicherheit zu haben, kann abschrecken. Auch im zweiten Online-Only-Jahr beweist der Kongress, dass er einladend sein kann.

Seit 1984 organisieren Ehrenamtliche den Chaos Communication Congress jedes Jahr. Früher traf sich die Szene Ende Dezember in Hamburg, Berlin und Leipzig, jetzt findet das Ganze wegen Corona zum zweiten Mal als Remote Chaos Experience (rC3) komplett im Internet statt. Der CCC, der sich in seiner Vereinssatzung als „galaktische Gemeinschaft von Lebewesen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Abstammung sowie gesellschaftlicher Stellung“ bezeichnet, ist mit seinem Streaming-Angbot auch für Menschen, die einfach mal kurz reinschauen wollen. Ein vierzigminütiges Gespräch über Chinas Sozialkreditsystem? Kann man sich zwischen den Jahren ja mal ganz entspannt auf der Couch lungernd ansehen.

Dabei kommt die rC3 zum richtigen Zeitpunkt: Nach zwei Jahren Pandemie, Zuhausesitzen, steigt der Drang, wieder aktiv zu werden – auch politisch.

Unter dem Titel „Now/Here“ (Jetzt/Hier), nicht „Nowhere“ (Nirgendwo), setzt der Kongress ein Zeichen: Das Digitale muss und kann mitgedacht werden bei all den großen Themen der Zeit – und zwar global. Die rC3 blickt nach China, in die USA, nach Italien und in die Schweiz, zeigt Probleme und Erfolge der digitalen Zivilgesellschaften auf, die sich in vielen Ländern parallel entwickeln. Die Kernthemen des CCC, Überwachung, Datensicherheit und Informationsfreiheit spiegelt der Kongress dabei in Themenbereichen, die viele Menschen bewegen, insbesondere im Gesundheitssektor.

Wohin mit dem Tatendrang?

Während rechtsideologische, verschwörungsgläubige, teilweise gewaltbereite Corona­l­eug­ne­r*in­nen seit Monaten auf die Straße gehen, bleiben viele andere aus Vernunft zu Hause. Sie können ihren Protest gegen diese Gruppe, aber auch gegen einige politische Entwicklungen nicht in der analogen Öffentlichkeit ausleben. Hinzu kommen schockierende Datenlecks, sei es bei Schul-Software oder bei Coronatestzen­tren. Wohin aber mit all der Wut und dem Tatendrang?

Die rC3 präsentiert da ein paar Vorschläge, auch für Menschen, die (noch) nicht hacken. IT-Wissen wird ohne Expertenton vermittelt, in Talks wird erklärt, wie man Po­li­ti­ke­r*in­nen besonders gute Fragen stellt und welche Möglichkeiten es dafür eigentlich gibt. In anderen Veranstaltungen diskutieren „Panelistas“, wie man Sicherheitslücken am besten meldet, ohne dabei selbst juristisch angegriffen werden zu können, wie es 2021 leider einigen IT-Sicherheitsexpert*innen geschehen ist. Immer wieder betonen die Expert*innen: Ohne Menschen aus anderen Gebieten hätten sie diese Projekte nie umsetzen können.

Die rC3 liefert Themen, die momentan viele bewegen. Die CCC-Klassiker Überwachung und Sicherheitslücken finden 2021 vor allem im Gesundheitsbereich statt, aber auch im neuen Koalitionsvertrag, der Stück für Stück seziert und bewertet wird. Es geht um Umweltschutz und darum, was während Corona mit unser aller Daten und der Gesellschaft so angestellt wird, es geht um Utopien – und um Wut.

Die zeigt IT-Sicherheitsexpertin Lilith Wittmann bereits im Eröffnungsbeitrag des Kongresses. Sie teilt ordentlich aus: Gegen den Hackerparagraf, der es ermöglicht, Menschen anzuzeigen, die durch mutmaßliches Hacking Sicherheitslücken entdecken und darauf aufmerksam machen. Responsible Disclosure heißt dieses Verfahren. Wittmann wurde 2021 deswegen von der CDU angezeigt, nachdem sie deren Wahlkampf-App untersucht und ein großes Datenleck gefunden hat. Inzwischen wurde das Verfahren eingestellt.

Doch die Enttäuschung bleibt. Auch darüber, wie der Staat mit Daten umgeht, für die Bür­ge­r*in­nen mit ihren Steuern gezahlt haben, etwa zu Wetterlagen aber auch Verkehrsaufkommen. Über offene Schnittstellen sind diese Daten frei abrufbar; und eigentlich ist der Staat verpflichtet, diese Schnittstellen zu protokollieren und nutzbar zu machen.

Wittmann und andere haben dafür 2021 eine Seite ins Leben gerufen, auf der sie selbst die von ihnen entdeckten Schnittstellen protokollieren. So können die Daten etwa für eigene Wetter-Apps genutzt werden oder in die OpenStreetMap eingepflegt werden. Wittmann nennt das „Daten aus staatlichen Systemen befreien“. Doch nicht alle Behörden unterstützen das, manche verändern die Schnittstellen nachträglich, erschweren so die Arbeit der digitalen Zivilgesellschaft.

Manchen Lichtblick sehen sie und Co-Moderator HonkHase im Koalitionsvertrag: etwa die Abkehr von Hackbacks, also der Möglichkeit, Hacker zurückzuhacken und damit die Zuwendung zu ziviler, defensiver Cybersicherheit. „Es sind Lernfortschritte der Regierung erkennbar.“

Entwicklerin Bianca Kastl berichtet über die 15 Monate, in denen sie versucht hat, den öffentlichen Gesundheitsdienst während Corona zu digitalisieren. Von Tests an und Lücken bei der Luca-App, über Plattformen für Impfnachweise und Spuren von Kontaktnachverfolgung. IT-Sicherheitsexpert*innen nehmen die Umgebung von technischen Hilfsmitteln wie Herzschrittmachern auseinander und untersuchen, wie diese gehackt werden können.

Hilfe bei der CoronawarnApp

Auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf die Hackingszene selbst werden betrachtet. So diskutiert Podcaster Ajuvo die Frage, wie stark der CCC weiterhin die Freiheit, auch die Freiheit der Unvernunft, verteidigen muss – selbst wenn ein großer Teil des CCC sich stark gegen Corona engagiert, sogar die Bundesregierung beraten hat bei der Entwicklung der CoronawarnApp.

Er habe die Ahnung, dass „die Geschichte mit Impfverweigerung, Registern, Überwachung, Kontaktbeschränkung“ ein weiteres Argument für die Sicherheitspolitik werden könne, das dem „Kinderporno-Argument“ ähnelt.

„Es wird ganz schön schwierig und auch eklig werden, die Freiheit vor Überwachung verteidigen zu müssen am Beispiel von Menschen, deren Meinung und deren Meinungsbegriff man so überhaupt nicht teilen kann.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.