Konflikte zwischen Kurden und Arabern: Verbrannte Erde im Irak
Im Irak gehen Tausende Hektar Ackerfläche in Flammen auf. Der IS zündet sie an, heißt es. Die Araber seien schuld, geht das Gerücht unter den Kurden.
Es ist Hochsommer im Irak. Wie Hawez ergeht es in diesem Sommer etlichen Landwirten. Ackerbrände haben die Region in einem bisher unbekannten Ausmaß verwüstet.
Als Hawez am Nachmittag aufgibt, kann er seine Hände kaum noch zu Fäusten ballen. „Meine Brüder und ich haben hier 3.500 Dunam“, sagt er. „Was davon noch übrig ist, wird jetzt auch noch verbrennen.“ Ein Dunam, umgerechnet 2.500 Quadratmeter, bezeichnet traditionell die Fläche Land, die ein Bauer an einem Tag pflügen konnte.
Hawez’ Weidegras, das im Morgengrauen noch gelb in der Sonne leuchtete, erinnert jetzt an schwarzes Nähgarn. Der Wirrwarr dieser Fäden reicht bis zu den Hügeln, die den Horizont markieren – und darüber hinaus.
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Verheerende Folgen für die Bauern
Verlässliche Statistiken für das gesamte Land gibt es nicht. Aber allein rund um Hawez’ Dorf Palkana ist nach Angaben eines regionalen Bauernkomitees eine Fläche von mehr als 20 mal 20 Kilometern verbrannt. Weizen, Gerste, Weidegras – die Folgen für die Landwirte sind verheerend. Wie konnte es dazu kommen? Eine Spurensuche in den Gebieten, die besonders heftig betroffen sind: dem sicherheitspolitischen Niemandsland zwischen der Autonomen Region Kurdistan und der Einflusssphäre der irakischen Zentralregierung.
Die Klimaanlage rauscht, auf einem Fernseher flimmern die Abendnachrichten. Hawez hockt im Schneidersitz in seinem Wohnzimmer und massiert seine geschundenen Hände. Jahrelang hätten die Weiden seinen 400 Schafen Gras gespendet, sagt er, Gratisfutter vom September bis in den Februar. Jetzt müsse er die Hälfte seiner Tiere verkaufen, um sich Futter leisten zu können. „Ich bin traurig“, sagt er, „ich bin wütend.“ An eine natürliche Ursache der Brände glaubt Hawez nicht.
Schon zu Beginn der Weizenernte im Mai drängte sich eine mögliche Ursache der Brände auf: Der selbsternannte „Islamische Staat“ (IS) rief damals seine Anhänger zu einer „Ernte“ mit Feuer auf. „Dies dürfte ein heißer Sommer werden,“ hieß es im Propaganda-Newsletter al-Naba. „Ein heißer Sommer, der die Geldbeutel und die Herzen der Ungläubigen verbrennen wird.“ Es wäre nicht das erste Mal, dass die Dschihadisten eine Strategie der verbrannten Erde verfolgen. Setzen die Dschihadisten ein Zeichen, dass sie noch nicht besiegt sind?
Der IS verfügt nicht mehr über eigenes Territorium. Doch mit geschätzt 15.000 Kämpfern ist er heute zahlenmäßig stärker als vor seinem großen Aufbäumen. Sicherheitsexperten warnen: Die Kämpfer könnten sich neu organisieren, wenn sich ihnen der passende Raum bietet. Dieser Raum entwickelt sich in den Gouvernements Niniveh, Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, in dem Hawez’ Heimatdorf Palkana liegt. Die irakische Armee hat hier eine Serie von Operationen gestartet. Doch die Gegend ist sicherheitspolitisches Niemandsland. Wer hier das Sagen hat, ist umstritten.
Der Irak besteht de facto aus zwei Staaten: Den Großteil des Landes kontrolliert die Zentralregierung in Bagdad mithilfe von Milizen. Im Nordosten des Iraks herrschen hingegen Kurden in einer autonomen Region. Sie arrangieren sich mal mehr, mal weniger gut miteinander. Immer wieder aber sorgen die Gouvernements, die beide Seiten für sich beanspruchen, für Streit.
Im Verdacht: Männer des „Islamischen Staats“
Auch Hawez hat die Geschichten vom IS gehört. In lokalen und sozialen Medien gibt es seit Monaten Berichte. Und die Erzählungen ähneln sich: In der Nacht kommen die Männer mit den langen Bärten und den kurzen Hosen. Sie bedrohen Dorfbewohner und fordern Schutzgeld, damit sie ihre Felder verschonen. Einige Bauern halten Lupen in die Kameras, die sie auf ihren verkohlten Feldern gefunden haben – Zünder in der sengenden Sommerhitze. Einige präsentieren improvisierte Sprengsätze.
Auch auf Hawez’ Feld in Palkana liegt ein Sprengkörper. Es handelt sich um eine Mörsergranate. Doch sie ist nicht explodiert. Ein Blindgänger aus vergangenen Kriegen, kein Zünder. Schutzgeld wollte von Hawez auch noch niemand. Vieles deutet darauf hin, dass der IS eine gewichtige Rolle bei den Ackerbränden in einigen Regionen des Iraks spielt. Wer nach Palkana reist, ahnt, dass die Dschihadisten nur ein Teil der Antwort sind.
Wir – ein Übersetzer, ein Sergeant der irakischen Armee und der Reporter – haben mehr als ein Dutzend Bewohner in Palkana und den umliegenden Dörfern getroffen. Keiner machte den IS für die Ackerbrände verantwortlich. An die harmloseste aller Version, nach der Kurzschlüsse die Ursache gewesen seien, glaubten die meisten aber nicht. Ungeschickte Bauern? Zündelnde Kinder? Das Ausmaß sei viel zu groß für Unfälle, heißt es. Der Klimawandel? Temperaturen jenseits der 40 Grad seien hier nichts Neues. Die große Mehrheit der überwiegend kurdischen Bauern macht im Gleichklang eine Ursache aus: „Araber“.
Hawez lässt seinen Sohn Wasser und Ziegenmilch holen. Er kippt die Gläser in großen Schlucken herunter. Warum habe er fast allein gegen die Flammen auf den Feldern gekämpft? „Die Hälfte des Dorfs traut sich nicht mehr raus“, sagt er. „Beim letzten Mal haben sie die Frauen verprügelt, die beim Löschen geholfen haben.“ Mit „sie“ sind „die Araber“ gemeint. Hawez’ Heimat ist im doppelten Sinne verbrannte Erde.
Ethnische Konflikte in der Region Kirkuk
Der Irak ist eines der Länder, die auf dem Reißbrett einstiger Kolonialmächte entstanden sind. Deshalb gibt es jetzt nicht nur das sicherheitspolitische Niemandsland, in dem der IS erstarkt. Es gibt auch ethnische Konflikte. Die Briten zwängten schiitische und sunnitische Araber, Turkmenen, Jesiden und Kurden, unzählige Familien und Stämme in ein Staatsgebiet. Als London den Irak in seine Unabhängigkeit entließ, war ihm der Konflikt in die Wiege gelegt. Vor allem in Regionen wie dem Gouvernement Kirkuk. Dort kommen viele Bevölkerungsgruppen zusammen, und der Boden gibt mehr her als Weizen und Gerste. In Kirkuk gibt es einige der wichtigsten Ölquellen des Landes. Kurden im Nordirak befürchten von jeher: Ohne diese Region werden sie nie unabhängig. Araber sehen es seit je ebenso.
Die Baath-Partei, der der einstige Diktator Saddam Hussein entsprang, ließ im großen Stil kurdische Dörfer zerstören. Sie vertrieb Hunderttausende Menschen. So schaffte sie Raum für die eigenen Leute.
Nach Husseins Sturz 2003 kehrten Tausende Kurden in ihre Dörfer zurück. Die neue Verfassung sollte eigentlich klären, was mit den umstrittenen Gebieten geschieht. Im Zentrum stand Artikel 140. Er sollte die Grundlage dafür schaffen, dass die Bewohner über einen Anschluss an die Autonome Region Kurdistan abstimmen. Doch das Referendum fand nie statt. Kurden und das höchste irakische Gericht beharren auf der Wahl. Die Zentralregierung in Bagdad dagegen hält die Bedingungen nicht für gegeben. Und Araber-Vertreter in Kirkuk sagen schlicht: „Artikel 140 der Verfassung ist tot.“ Der alte Konflikt besteht fort.
Zunächst sah es so aus, als würden Kurden ihn für sich entscheiden. Während ihres erfolgreichen Kampfs gegen den IS dehnten sie ihr Einflussgebiet aus. 2017 wagte die Autonomieregierung Warnungen aus aller Welt zum Trotz einen brachialen Schritt: Sie führte in Eigenregie ein Referendum durch – nicht nur über die umstrittenen Gebiete, sondern über die Unabhängigkeit der Region insgesamt. Doch der Traum des eigenen Staates erfüllte sich nicht. Die Armee der Zentralregierung und ihre Verbündeten vertrieben die kurdischen Streitkräfte aus Kirkuk. Das Gouvernement regiert seither ein von Bagdad entsandter Araber.
Kurdische Dorfbewohner beschuldigen „die Araber“
Bauer Hawez erinnert sich lebhaft, was nach der Machtübernahme folgte: Am 27. Dezember 2017 rollten mehr als einhundert Autos in Palkana ein und mit ihnen 500 Männer – Araber und Militärs. Sie verteilten Flugblätter. Darauf wurden die Kurden aufgefordert, Palkana in 72 Stunden zu verlassen. Auf dem Ultimatum stehen die Unterschriften eines Behördenvertreters und eines hochrangigen Angehörigen der irakischen Streitkräfte. Eine Kopie liegt der taz vor. Die Authentizität der Dokumente, die uns die Dorfbewohner präsentieren, können wir allerdings nicht mit letzter Sicherheit überprüfen. Ist das Ultimatum der Beweis dafür, dass eine neue Welle der Arabisierung im Gange ist? Und stellen die Ackerbrände den Versuch dar, den Widerstand dagegen zu brechen?
Farhad Anwar Hawez, kurdischer Bauer
Hawez fährt über die staubigen Straßen Palkanas. Der Bauer will ein mögliches Missverständnis ausschließen. Wenn von „Arabern“ die Rede sei, meinten die Leute hier natürlich nicht alle Araber. Sie meinten nur die, die Kurden mit Gewalt verdrängen wollten. An einer Kreuzung zeigt Hawez auf ein einstöckiges Haus. „Da wohnt er“, sagt Hawez. Er meint Ali Hawaz. Der Scheich ist ein einflussreicher Anführer des arabischen Schammar-Stammes. Hawez sagt: „Alles hängt mit ihm zusammen.“
Dorfbewohner haben uns einen Brief vorgelegt, in dem der Gouverneur von Kirkuk dazu aufgefordert wird, den Schammar, die traditionell ein Beduinenstamm sind, ein Leben in Palkana zu ermöglichen – wenn nötig mit militärischer Unterstützung. Unterschrieben ist der Brief angeblich von Ali Hawaz. Sicher ist: Ein halbes Dutzend Familien des Stammes haben sich in Palkana niedergelassen.
Hawez fährt weiter. Schon im ersten Sommer, nachdem diese Familien angekommen seien, sei die Zahl der Ackerbrände gestiegen, sagt er. Im zweiten Jahr hätten sie ihren Höhepunkt erreicht. Sind Scheich Hawaz und die Schammar die Brandstifter? Hawez glaubt an einen Pakt der Schammar mit den Behörden. Das Feuer seines Feldes sei in der Nähe eines Checkpoints der irakischen Armee entstanden, sagt er. „Die Soldaten haben gezündelt.“
Hawez zeigt auf einen Geröllhaufen, der eine Straße unter sich begräbt. Die Lebensgrundlage der Bauern zu zerstören sei nicht das einzige Mittel der Araber, sich das Land der Kurden zu erpressen, sagt er. „Sie haben den Weg zum Friedhof blockiert.“ Wer trotzdem hinkommt, stellt fest: Auch hier brannte es. Die Szene erinnert an ein verfaultes Maul. Einige weiße Marmorsteine ragen noch aus dem schwarzen Grund – darum herum stehen nur noch braune Stumpen.
Aussage steht gegen Aussage
Wir wollen an die Türen der Schammar-Familien klopfen, die Gegenseite hören. Doch der Sergeant, der bei dieser Recherche für unsere Sicherheit zuständig ist, rät ab. Einige Tage später sprechen wir Abu Saad am Telefon, ein Mitglied der Schammar. „Wir haben großartige Beziehungen zu den Kurden“, sagt er. „Die Ursache für die Feuer waren elektrische Kurzschlüsse.“ Er wisse nichts von verprügelten Frauen oder versperrten Straßen. Direkte Unterstützung von den Behörden habe sein Stamm auch nicht bekommen. Saad erklärt, dass Schammar sich in den 1960er Jahren in Palkana angesiedelt hätten. Die Kurden, denen das Land zuvor gehörte, seien dafür entschädigt worden. „Die Häuser gehören den Familien.“ Es sei ihr gutes Recht zurückzukommen. Den Kurden wirft er vor, es auf größere Entschädigungen abgesehen zu haben.
Aussage gegen Aussage, klare Fronten zwischen Arabern und Kurden? Nicht ganz. Mawlud Hassan Kerim, ein Kurde und einer der ältesten Männer der Gegend, stützt Saads These: „Einige Kurden provozieren Probleme mit Arabern, damit sie sich hier nicht niederlassen können.“ Und auch er deutet an, dass es manch einem um Entschädigungen gehe. „Ich schwöre es bei Gott.“
Hawez steht auf seinem Feld, von dem noch Rauch aufsteigt. Er streicht über das, was von seinem Weidegras übrig ist, bis seine Hand voll ist mit den Fasern, die an schwarzes Nähgarn erinnern. Hawez streitet nicht ab, dass seine Familie bei früheren Vertreibungen entschädigt worden ist. Dann lacht er ein merkwürdiges, abfälliges Lachen: „Wer verkauft schon das Land seiner Vorväter?“, fragt er. „Als ob wir damals eine Wahl gehabt hätten!“ Was hätte Saddam Hussein mit Verweigerern getan?
An seinen Vorwürfen gegen die Schammar hält Hawez fest. Doch er ahnt, es könnte vergeblich sein. „Die Justiz ist immer auf ihrer Seite gewesen“, sagt er. Und so, wie es die Dorfbewohner schildern, gilt das auch für die Exekutive: Der zuständige Kommandeur der irakische Armee habe den Kurden untersagt, ihre Felder zu bestellen, bis sie ihren Streit mit den Schammar geklärt hätten. Hawez und die anderen Bauern Palkanas fürchten den nächste Ernteausfall. Dafür muss nun nicht mal mehr die Erde brennen.
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