Konflikt zwischen den USA und Venezuela: Kriegsschiffe in der Karibik
Drohnenangriffe, Drohungen und ein gekaperter Öltanker – was will die US-Regierung in Bezug auf Venezuela? Und was hat die EU mit dem Drama zu tun?
Kein Tag mehr ohne Nachrichten zu Venezuela. Da ist der Friedensnobelpreis, der an die venezolanische Oppositionelle María Corina Machado ging. Da ist Donald Trump, der nach US-Angriffen auf Boote vor Venezuelas Küste damit droht, dass es „sehr bald“ zum Landangriff kommen wird. Da ist ein Telefongespräch Trumps mit Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro. Da ist der venezolanische Öltanker, den die USA nach eigenen Angaben unter ihre Kontrolle gebracht haben. Und da ist eine Botschaft Trumps auf Truth Social: „an alle Fluggesellschaften, Piloten, Drogenhändler und Menschenhändler: Bitte betrachtet den Luftraum über und um Venezuela als vollständig geschlossen.“
Nach internationalem Recht kann der US-Präsident zwar keinen fremden Luftraum schließen. Doch was in den vergangenen Tagen und Wochen an der Karibikküste passiert ist, reißt schon längst den Rahmen des Rechts. Recherchen der Washington Post zufolge soll US-Kriegsminister Pete Hegseth bei einem Drohnenangriff auf ein mutmaßliches Drogenboot Anfang September den Befehl gegeben haben, alle Besatzungsmitglieder zu töten, die den Beschuss aus der Luft zuerst überlebt hatten. Ein Ausschuss des US-Senats wird die Vorwürfe jetzt prüfen, unter anderem, ob es sich dabei um Kriegsverbrechen handelt.
Doch was will die US-Regierung überhaupt in Bezug auf Venezuela?
Machthaber Nicolás Maduro und einige Analyst:innen sagen: Erdöl. James Bosworth vom Latin America Risk Report argumentiert hingegen: Die Geschäftsleute, die Venezuelas Öl wollen, seien auf einen Deal mit Maduro aus – nicht auf eine Invasion. Die US-Ölfirma Chevron sei zudem längst in Venezuela tätig. Bosworth geht davon aus, dass Trump tatsächlich denkt, er würde venezolanische Kartelle bekämpfen, die die USA mit Drogen überschwemmten. Die jedoch mit dem neu platzierten US-Flugzeugträger vor der Küste Venezuelas bekämpfen zu wollen, sei eine dumme Idee.
José Antonio Sanahuja, Professor für Internationale Beziehungen
Zumal feststeht: Fentanyl kommt aus Mexiko in die USA, nicht aus Venezuela. Kokain kommt über die Pazifikroute, nicht über die Karibik.
Südamerika ist in der Sache gespalten
José Antonio Sanahuja, Professor für Internationale Beziehungen an der Universidad Complutense in Madrid, geht nicht davon aus, dass es tatsächlich zu einem Landangriff kommen wird. Vielmehr hoffe Trump, durch Drohungen einen Regierungswechsel in Venezuela herbeizuführen. Auch wenn die US-Regierung das bislang nicht offen sagt.
Der Süden Amerikas ist in der Sache gespalten – in Länder, wie Argentinien, Ecuador, Paraguay, El Salvador und Costa Rica, die sich mit Trump gut stellen und dafür Unterstützung bekommen, auch finanzielle. Die Dominikanische Republik erlaubte den USA zeitweise sogar die Nutzung von Stützpunkten für Bootsangriffe. Dem gegenüber stehen Länder wie Mexiko, Brasilien und Kolumbien, die Trump widersprechen oder ihn gar kritisieren. Der offenste Gegner des US-Kurses ist Kolumbiens Präsident Gustavo Petro. Und das, obwohl Kolumbien über Jahrzehnte der wichtigste lateinamerikanische Partner der USA in Sachen Drogenbekämpfung war. Rund 85 Prozent der Informationen, die von den USA zur Beschlagnahmung von Drogen aus Südamerika genutzt wurden, stammten Berichten zufolge aus Kolumbien.
Doch jetzt gilt Kolumbien den USA nicht mehr als Partner. Präsident Petro sagt, das venezolanische Drogenkartell, an dessen Spitze die USA Maduro sehen, gebe es gar nicht. Er spricht von den US-Angriffen als „außergerichtlichen Hinrichtungen“. Petro, der sonst gern austeilt, hat es außerdem vermieden, Maduro einen Diktator zu nennen. Er bescheinigt Venezuela lediglich einen „Demokratiemangel“. Zwar hat Kolumbien die Wiederwahl Maduros nicht anerkannt, die diplomatischen Kanäle aber offen gehalten. Bei einer „Invasion in Venezuela“, sagt Petro, werden kolumbianische Truppen nicht mitmachen. Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises am Mittwoch hat Petro eine Übergangsregierung für Venezuela vorgeschlagen – und eine General-Amnestie.
Denn Venezuela gilt in Kolumbien als Bruderstaat. Die Länder teilen mehr als 2.000 Kilometer großteils ungesicherte Grenze. Als Venezuela boomte, emigrierten Kolumbianer:innen in Massen hinüber. Seit geraumer Zeit ist es umgekehrt. 3 Millionen Venezolaner:innen sind wegen der Krise nach Kolumbien emigriert. Viele haben beiderseits Verwandte.
Die EU duckt sich weg
Die Grenzregion ist ein Brennpunkt – und die venezolanische Seite ein Rückzugsort für die kolumbianische ELN-Guerilla. Eine Lösung der innerkolumbianischen Konflikte, wie Petro sie will, ist ohne Unterstützung aus Venezuela schwierig.
Auch ein Fischer aus Kolumbien ist wohl bei einem US-Angriff ums Leben gekommen. Beweise, dass die getroffenen Boote Drogen an Bord hatten, fehlen. Insgesamt haben die Machtdemonstrationen der USA in der Karibik und im Pazifik schon 87 Menschenleben gekostet. Die internationale Gemeinschaft beobachtet das – scheitert aber weitgehend daran, der USA Paroli zu bieten.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Anfang November etwa traf sich die EU mit der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten zu einem Gipfel in Kolumbien. Doch mehr als zwei Dutzend hochrangiger Politiker:innen beider Seiten sagten ihre Teilnahme ab, unter ihnen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das Signal: in der Causa Karibik wollen sie sich nicht mit Trump anlegen.
Denn noch immer lasten US-Zölle auf EU-Exporten. Und die US-Drohung, aus der Nato auszutreten, schwebt im Raum. Hinzu kommt die digitale Abhängigkeit Europas von US-Plattformbetreibern. In der Abschlusserklärung des Gipfels in Kolumbien fehlen klare Worte zu den Angriffen, die ganz in der Nähe stattfanden.
Neue Beziehungen zu Lateinamerika
Lediglich beim G7-Treffen der Außenminister:innen in Kanada Mitte November warf der französische Außenminister der USA einen Völkerrechtsverstoß vor. Das Land unterbrach, wie die Niederlande und Großbritannien, den Austausch von Geheimdienstinformationen mit der USA. Alle drei Staaten sind für den Schutz ihrer eigenen Überseegebiete in der Karibik verantwortlich. US-Außenminister Marco Rubio antwortete auf die Kritik: „Die Europäische Union bestimmt nicht, was internationales Recht ist.“
Trotz der US-Drohungen sollte die EU Verantwortung übernehmen und das Völkerrecht in der Karibik stärker verteidigen, sagt Politologe Sanahuja. Zumal die bisherigen transatlantischen Beziehungen ohnehin zu Ende seien. Die USA isolierten sich. Die EU müsse auf Partnersuche gehen – etwa in Lateinamerika.
Dazu dürfe die EU nicht, wie bisher, hauptsächlich an den Ressourcen Südamerikas zehren – sondern müsse langfristig investieren: „Es geht um eine Beziehung auf Augenhöhe.“
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert