piwik no script img

Konflikt in der UkraineWaffenruhe vor dem Kollaps

Die USA berichten von massiven Truppenbewegungen in der Ukraine. Die UN warnen vor Kämpfen. Russland schickt vier Schiffe vor Australiens Küste.

Militärlaster und Soldaten an einem Checkpoint in Donezk. Bild: reuters

NEW YORK afp | Die UNO hat sich besorgt angesichts der Gewalt in der Ostukraine gezeigt und fürchtet einen kompletten Rückfall in einen bewaffneten Militärkonflikt. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass die Anfang September vereinbarte Waffenruhe "unaufhörlich gefährdet" sei, sagte UN-Vizegeneralsekretär Jens Anders Toyberg-Frandzen am Mittwoch bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats. Er warnte vor einer Rückkehr zu „ausgewachsenen“ Kämpfen.

Als zweites Szenario benannte Toyberg-Frandzen einen „eingefrorenen Konflikt“, der den Status Quo in der Krisenregion in der Ostukraine auf Jahre oder gar Jahrzehnte zementiere. Für ebenfalls denkbar hält er drittens die Variante eines über Monate hinweg schwelenden Konflikts „mit sporadischen Kämpfen geringerer Intensität“, die sich mit heftigeren Gefechten abwechseln.

Das Treffen des Sicherheitsrats hatten die USA anberaumt, nachdem die Nato am Mittwoch über das Vordringen weiterer „russischer Kampftruppen“ in die Ukraine binnen der vergangenen zwei Tage berichtet hatte. Russland wies das zurück: Die Berichte entbehrten jeder Grundlage, erklärte das Verteidigungsministerium. Minister Sergej Schoigu warf der Nato eine „antirussische“ Stimmungsmache vor.

Danach befragt, was er von dem Treffen des Sicherheitsrats erwarte, sagte Russlands stellvertretender UN-Botschafter Alexander Pankin indes in New York: „Nichts“. Dem Gremium warf er anschließend „Propaganda“ vor. Es war das 26. Treffen des UN-Sicherheitsrats zur Ukraine-Krise.

Vom Frieden sprechen, Krieg anheizen?

Die UN-Botschafterin der USA, Samantha Power, warf Russland vor, ¡„vom Frieden zu reden“ und gleichzeitig „einen Krieg anzuheizen“. Die US-Außenamtssprecherin Jen Psaki erklärte die Bereitschaft der USA, bestehende Sanktionen gegen Russland auszuweiten. Moskau wird insbesondere vorgeworfen, die prorussischen Separatisten in der Ostukraine mit Waffen und Kämpfern zu versorgen. Trotz der Anfang September beschlossenen Waffenruhe kommt es in dem Gebiet immer wieder zu schweren Kämpfen mit Regierungstruppen.

Unterdessen sichtete das australische Militär vier Schiffe der russischen Marine vor der Nordküste Australiens. Die Armee beobachte die Lage, teilte das Militär mit. Außenministerin Julie Bishop sagte dazu, Russland sei wie andere Länder auch dazu berechtigt und bewege sich wie vorgeschrieben in internationalen Gewässern. Nach ihrer Einschätzung befragt, ob es sich um eine Machtdemonstration Russlands handle, sagte sie, Russland sei ein „bedeutendes Land mit einer bedeutenden Marine“. Das käme der Überlegung gleich, ob auch die USA „Macht demonstrieren, wenn sie im Pazifik sind“.

Russland unterhält derzeit wegen des Abschusses einer malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine auch mit Australien schwierige Beziehungen. Unter den 298 Todesopfern waren 38 Australier. Nach ersten Erkenntnissen war die Passagiermaschine von einer Rakete getroffen worden. Die prorussischen Separatisten und Kiew machen sich gegenseitig für das Unglück verantwortlich. Russlands Präsident Wladimir Putin wird beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer erwartet, das am Wochenende im australischen Brisbane stattfindet.

Russland kündigte zudem an, dass seine Langstreckenbomber regelmäßige Patrouillenflüge in einem Gebiet vom Arktischen Ozean über die Karibik bis hin zum Golf von Mexiko und damit an die Grenze zu den USA durchführen würden. Die Nato hat bereits eine erhebliche Zunahme russischer Militärflüge über dem Schwarzen Meer, der Ostsee, der Nordsee und dem Atlantik registriert. Sie sieht einen Grund dafür in der Ukraine-Krise und den deswegen verhängten westlichen Sanktionen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Diskussion mit Gysi, Wimmer, Gauweiler und Lafontaine, sehr empfehlenswert:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=tifbCDC2wjc#t=3929

  • Das war abzusehen. Auf der Homepage der OSZE finden sich seit einiger Zeit Berichte über Truppenbewegungen von Ost nach West.

     

    http://www.osce.org/ukraine-smm/daily-updates

     

    Wenn die Terroristen voll ausgerüstet sein werden, werden weitere Gebiete erobert werden.

  • Das war zu erwarten, dass das so kommt.

     

    Wenn man mal die realen Fakten in der Ostukraine betrachtet, dann ist es doch so:

     

    1. mehrheitlich russischsprachige und sich zu Russland zugehörig fühlende Bevölkerung.

    2. Wichtige Rohstoffvorkommen (Steinkohle) und viel Schwerindustrie und Maschinenbau; die Ostukraine war eine der wichtigsten industriellen Kernzonen der alten Sowjetunion (und auch des alten Russlands der Zarenzeit) und Russland unterhält bis heute unverzichtbare Geschäftsbeziehungen dorthin;

    z.B. die von der Russischen Eisenbahn bekannten Großdiesellokomotiven (fuhren auch bei der DDR-Reichsbahn, teilweise noch heute bei der DB) werden in Lugansk gebaut.

    3. Die staatsrechtliche Zugehörigkeit der Ostukraine zur Ukraine war für Russland solange unproblematisch, wie die Regierung in Kiew zur festen russischen Einflusszone gehörte; das war mit den mehr oder weniger "erfolgreichen" Versuchen einiger EU-Politiker und neoliberaler westlicher "Wirtschafts-Vordenker" die Ukraine da politisch rauszulocken natürlich vorbei.

    Es waren ja schon z.B. Planungen im Gange, wie westliche Energiekonzerne die bis jetzt noch staatliche Öl- und Gaswirtschaft unter sich aufteilen, äh "privatisieren" können.

    Dass Russland da nicht tatenlos zuschaut, wer hätte anderes erwartet ?

    Und jetzt verteidigt Russland eben dort seine "legitimen und historisch gewachsenen Interessen".

     

    Ergo, mit etwas mehr Fingerspitzengefühl seitens westlicher Politiker und "Wirtschaftslobbyisten" und etwas mehr vorheriger Einarbeitung und Berücksichtigung historischer und realer Sachzusammenhänge hätte man das ganze Theater schlicht vermeiden können.

     

    Was würden z.B. die USA oder Kanada dazu sagen, wenn im umgekehrten Fall China oder Russland anfangen würden, irgendwelche Autonomie- oder Unabhänigkeitsbewegungen in Alaska oder Westkanada zu unterstützen, mit dem Hintergedanken, sich damit die dortigen Öl- und Ölsandvorkommen unter den Nagel zu reissen ?

     

    So what, that's it.

    • @Maharishi:

      Der Artikel geht nimmt das Völkerrecht als irrelevant (darf die BRD dann auch ihre "legitimen Interessen" in Nachbarstaaten vertreten? Einfach Einmarschieren wenn dem Bundeskanzleramt "nicht passt" was die machen?), ist außerdem widersprüchlich und macht daher wenig Sinn: Denn: wenn das so wäre könnte mn offiziell sagen, dass die RF Soldaten dort hat um ihre Interessen zu vertreten, aber man versucht auf jede möglich Art zu vermeiden, dass russische Soldaten auf Befehl im fremden Land agieren.

      zu 1. Die Gebiete der Ostukraine, die an der ukrainischen Parlamentswahl teilgenommen haben, haben nicht für "Sezessionsparteien" gestimmt, in vielen Oblasten sogar in der Mehrheit gegen "Pro-Russische" Parteien. So sieht "sich zu Russland zugehörig fühlend aus"? Ganz davon abgesehen ist in den von russischen Militärs und Seperatisten kontrollierten Gebieten das Narrativ "Novorossija" = "gute alte Zeit der Sowjetunion". Viele Menschen dort sind weniger "zu Russland hingezogen" als "zur Sowjetunion". Sprache ist ein zu vernachlässigender Faktor. Kyiv ist die größte russischsprachige Stadt außerhalb Russlands.

      • @Halusky:

        zu 2.: Stimmt, im Osten der Ukraine ist viel Maschinenbau, rentable Chemie und Waffenindustrie: ABER: nicht in den besetzten Gebieten. In Zaporizhzhiya steht mit Motorsizh ein Motorenhersteller für Maschinenbau und Militär, in Dnipropetrovsk steht sehr viel Chemieindustrie und Waffenindustrie und die Panzerfabrik in Kharkiv war schon zu Sowjetzeiten legendär nur: nichts davon befindet sich in besetzten Gebieten.

        Der Steinkohleabbau in den besetzten Gebieten ist in etwa so rentabel wie der in der alten BRD in den Achtzigern und muss daher massenhaft subventioniert werden. Auf russischer Seite (Rostov am Don) wurden alle Zechen bereits geschlossen, weils die Steinkohle wo anders billiger gibt.

        Außerdem: Was würde passieren, wenn eine der interessanten Firmen Pleite geht und zumachen müsste?

        zu 3. Ein Großteil der ukrainischen Öl- und Gasindustrie (sagen wir mal, alle rentablen Bereiche) sind bereits privatisiert, Oligarchen wachsen eher selten auf Bäumen. Das Transportnetz und die hochdefizitäre Gasversorgungsgesellschaft "Naftogaz Ukrajiny" und ein paar weitere Gesellschaften sind in Besitz des Staates. Um die ging es Russland?

        Ach und hier noch ein altes Interview ausm Kremel, da hatte man keine Probleme mit einer EU Mitgliedschaft der Ukraine:

        http://eng.kremlin.ru/news/11489

        • @Halusky:

          Okay, mögen die Dinge in der Detailbetrachtung etwas komplexer aussehen.

          Aber grundsätzlich bleibt der Sachverhalt, dass die ostukrainische Wirtschaft schwerpunktmässig auf Russland ausgerichtet ist, Russland diese Resourcen und Potentiale braucht und deshalb eben jetzt interveniert, damit das eben in russischer Hand bleibt und nicht an die EU fällt.

          Ob die Öl-/Gasindustrie jetzt staatlich oder von Oligarchen bewirtschaftet wird, spielt auch keine Rolle, solange eben Russland auf dem "Gesamtsystem Ukraine" die Hand drauf hat und entsprechend seiner Interessen da "reinsteuern" kann.

          Ob jetzt die für Russland interessanten Gebiete in der Ostukraine nun militärisch von "Rebellen" oder russischer Armee ganz, teilweise oder gar nicht besetzt sind, spielt auch keine Rolle.

          Zunächst geht es ja darum, wichtige Schlüsselpositionen militärisch unter Kontrolle zu bekommen, um die ukrainische Regierung an der Ausübung ihrer Hoheitsrechte im Osten aktiv zu hindern und das haben die "Rebellen" mit russischer Unterstützung recht erfolgreich gemacht. Dazu muss nicht gleich der ganze Osten besetzt werden, das holt man dann später noch nach.

          Welche Gebiete in der Ostukraine Russland zukünftig aber definitiv für sich haben will, geht aus den mittlerweile rumgereichten "Neurussland"-Landkarten eindeutig hervor.

          http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-karte-der-ostukraine-und-neurussland-und-russland-a-990512.html

           

          P.S ganz tot scheint der Kohlebergbau in Rostov aber nicht zu sein:

          http://link.springer.com/article/10.3103/S1068364X10040010