Konflikt in Zentralasien: Gas, Gleise, Grenzen
Tadschikistan und Usbekistan stehen möglicherweise vor einer militärischen Auseinandersetzung. Für die Nato könnte dies den Abzug aus Afghanistan erschweren.
BERLIN taz | Zwischen Tadschikistan und Usbekistan könnte es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen. Seit Jahren liefern sich die beiden zentralasiatischen Staaten an der Grenze zu Afghanistan eine Fehde um Grenzverläufe und Wassernutzungen. Jetzt hat sich die Konfrontation verschärft.
Usbekistan will die Fertigstellung des gewaltigen Wasserkraftwerkes Rogun in Tadschikistan verhindern. Als Unteranrainer der zentralasiatischen Ströme sorgt sich Taschkent um den ungehinderten Wasserzufluss. Am 1. April drehte Usbekistan Tadschikistan deshalb den Gashahn zu.
Die Nato versucht den Konflikt auf der Nordversorgungsroute herunterzuspielen, obwohl über Zentralasien und vor allem über diese beiden Länder ein Großteil des Rückzuges aus Afghanistan ablaufen soll. „Uns beeinträchtigt das nicht“, beruhigt eine Nato-Mitarbeiterin, „wir mischen uns da nicht ein“.
Noch Anfang März hatte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle versucht, den Konflikt zu entschärfen und hochrangige Vertreter der zentralasiatischen Staaten zu einer Wasserkonferenz nach Berlin geladen. Über die blaue Diplomatie sollte die regionale Zusammenarbeit gefördert werden.
Aluminiumproduktion ist bedroht
Die Regierungen in Duschanbe und Taschkent liefern sich wenige Wochen nach dem Treffen jedoch einen harschen Schlagabtausch. „Usbekistan setzt den Kurs der Konfrontation fort“, empört sich in einem der taz vorliegendem Bericht die tadschikischen Regierung über die Einstellung der Gaslieferung. „Die Position der Regierung Usbekistans ist begründet“, kontert der usbekische Premierminister Schafkat Mirsijew in einem offenen Brief auf der Webseite der staatlichen Agentur Jahon am Mittwoch.
Ein Ende der Gaslieferung ist für die tadschikische Wirtschaft fatal. „Weitere Gaslieferungen nach Tadschikistan sind nicht mehr möglich“, heißt es in einem der taz vorliegendem Brief des usbekischen Vizepremier Rustam Asimow vom 18. März 2012. Die Aluminiumfabriken, deren Produktion von 500.000 Tonnen im Jahr 70 Prozent des tadschikischen Exports ausmacht, mussten den Betrieb deutlich herunterfahren. Es besteht die Gefahr, dass der wichtigste Industriezweig, der noch aus Sowjetzeiten stammt, in Tadschikistan für immer still gelegt werden muss.
Der Streit betrifft auch Verkehrswege. Usbekistan baut die Gleise ab, die die tadschikische Südprovinz mit den internationalen Eisenbahnnetz verbindet und über die auch Waren nach Afghanistan transportiert wurden.
Aus Usbekistan führen drei Schienenstränge nach Tadschikistan, der südliche nun unterbrochene Strang verläuft in der Nähe der 2006 errichteten Autobrücke über den Grenzfluss Pjansch nach Afghanistan. Von dort ist es eine knappe Autostunde zum Bundeswehrlager in Kundus.
Nato gibt sich gelassen
Ohne den Gleisstrang ist die Versorgung eines Großteil der tadschikischen Bevölkerung gefährdet. Zudem sinken die Chancen Tadschikistans bei dem Abzug der Nato eine wichtigere Rolle zu spielen. Zwar hat das Land mit Hilfe von internationalen Krediten einen Großteil des Straßennetzes repariert, die Schiene ist jedoch der sicherste und preisgünstigere Weg.
Auch hier erklärt die Nato, dass sie der Konflikt nicht tangiere. „Wir transportieren keine Güter über diese zwischenstaatliche Grenze“, wiegelt eine Mitarbeiterin der Nato in Brüssel ab. Doch langfristig schaltet Usbekistan einen lästigen Konkurrenten auf dem Rückzugsweg der Nato aus, analysierte das amerikanische Journal Foreign Policy bereits im Dezember.
Das westliche Verteidigungsbündnis gerät so immer mehr in größerere Abhängigkeit zu Usbekistan – ungeachtet der von dem Regime zu verantwortenden Menschenrechtsverletzungen. Durch das Land verläuft die einzige Eisenbahnstrecke direkt in die nordafghanische Stadt Masar-e-sharif.
Seit Anfang des Jahres geben sich die Außenminister der Nato in Taschkent die Klinke in die Hand, um sich den Herrscher Islam Karimow für den Rückzug gewogen zu halten. Sollte die Rolle Tadschikistans als Partner der Nordversorungsroute gemindert werden, könnte Usbekistan die Preise für den Transit hochschrauben.
Die vorgebliche Gelassenheit der Nato angesichts des usbekisch-tadschikischen Zwistes könnte sich rächen. Schon einmal eskalierte der Konflikt militärisch. 1998 überfiel aus Usbekistan eine tadschikische Renegatenarmee die tadschikische Nordprovinz Chodschent. Noch immer genießt dessen Anführer Machmud Chuderbedijew den Schutz des usbekischen Präsidenten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus