Konferenz zum Selbstbestimmungsgesetz: Zerknüllt am Boden
In Kreuzberg diskutieren Aktivist*innen über die Selbstbestimmung von trans, inter und nichtbinären Personen. Das neue SBGG wird scharf kritisiert.
Organisiert wurde das bundesweite Vernetzungstreffen mit ungefähr 150 Teilnehmenden vom Bündnis „Selbstbestimmung Selbst Gemacht“. Luce deLire ist Mitglied des Bündnisses und erklärt, dass der Titel „Queerokratia“ eine „Aneignung von Demokratie“ und die „Herrschaft der Queers über sich selbst“ beschreibt.
Anlass für die vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Konferenz ist das Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. August in Kraft treten wird. Es wird das Transsexuellengesetz (TSG) ablösen, das vom Bundesverfassungsgericht schon vor 40 Jahren in Teilen als verfassungswidrig eingestuft wurde. Volljährige tin* Personen sollen nun ihren Vornamen und Geschlechtseintrag nach einer dreimonatigen Wartefrist beim Standesamt mit einer einfachen Erklärung ändern können.
Lange wurde für das neue Gesetz gekämpft. Dessen ungeachtet gibt es deutliche Kritik aus der Community. „Frustriert“ ist eines der Worte, das am häufigsten fällt bei den Teilnehmer*innen der Konferenz, die sich am Samstag in einer Arbeitsgruppe über ihre Gedanken und Gefühle zum neuen Gesetz austauschen.
Scharfe Kritik in gemütlicher Umgebung
Ein viel diskutierter Kritikpunkt ist der Hausrechtsparagraf. Dieser besagt, dass das Recht der Eigentümer*innen, über den Zugang zu Räumen entscheiden zu können, unberührt bleibt. Befürchtet wird, dass trans* Frauen weiterhin aus Frauenräumen – wie Frauensaunen – von den Betreiber*innen ausgeschlossen werden. DeLire kritisiert: „Das Gesetz strotzt vor trans* Misogynie.“
Ein Gefühl, das viele der ungefähr 20 Menschen in der Kleingruppe ansprechen, ist das der Ambivalenz. „Wir sagen nicht, dass das SBGG überhaupt kein Fortschritt ist. Wir wünschen uns das TSG nicht zurück.“ sagt deLire. Doch zufrieden sind die Aktivist*innen mit dem Selbstbestimmungsgesetz nicht. Neben dem Hausrechtsparagrafen kritisieren sie die dreimonatige Wartefrist und fordern niedrigere Altersgrenzen.
Auch Paragraf 9 drückt den Aktivist*innen zufolge „Misstrauen statt Selbstbestimmung“ aus. Der Paragraf regelt, dass eine Änderung des Geschlechtseintrags zu „weiblich“ oder „nichtbinär“ im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ nicht möglich ist. Verhindern soll das, dass cis Männer das Gesetz missbrauchen, um der Wehrpflicht zu entgehen.
So scharf die Kritik der Konferenzteilnehmer*innen, so vertraut, ja gemütlich die Atmosphäre in der „Vierten Welt“. Eng beieinander sitzen und liegen sie auf Betten mit blauer Blümchenbettwäsche und riesigen Kissen. In den vom Künstler Fadi Aljabour gestalteten Räumen soll sie entstehen können: die neue „Zartheit im politischen Miteinander“, die das Bündnis schaffen will. Lachend wird der pink glitzernde Moderationshut hin und her geworfen und trotz der ernsten Themen ist die Stimmung locker.
„Gute Zeit für Allianzen“
An der Konferenz nehmen Mitglieder aus tin* Verbänden, Aktivist*innen und Vertreter*innen anderer politischer Gruppen teil. Auch Nora Eckert, Vorstandsmitglied des Bundesverbands trans*, ist dabei und betont, dass sie viele der hier besprochenen Kritikpunkte bereits im Rahmen der Verbändebeteiligung gegenüber der Bundesregierung angemerkt haben. Umgesetzt wurde jedoch kaum etwas davon, sagt sie.
Gemeinsam beginnen die Aktivist*innen neue Solidaritätsstrukturen für tin* Personen zu planen. In anderen Workshop-Räumen sprechen sie über den Zusammenhang zwischen Faschismus und Transfeindlichkeit und tauschen sich über die Unterschiede der Lebensrealitäten von trans* Personen auf dem Land und in der Stadt aus.
Konferenzteilnehmer Luca, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen möchte, findet die Vernetzung mit den anderen Teilnehmer*innen sehr wertvoll. „Es ist eine gute Zeit für Allianzen, nicht fürs Alleinkämpfen“, sagt er.
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