Konferenz zu Accessible Yoga: Entspannt euch, es ist nur Yoga!
Dicke, körperlich eingeschränkte oder kranke Menschen werden beim Yoga häufig ausgeschlossen. Eine Bewegung aus den USA will das ändern.
Eine kurze Recherche in sozialen Medien zeigt ein einheitliches Bild von denen, die Yoga praktizieren. Knapp 60 Millionen Nutzer*innen posten unter dem Hashtag #yoga auf Instagram und die Körper der Yogis entsprechen bis auf wenige Ausnahmen einem Typus: Sie sind jung, weiß, weiblich, sehr schlank und sehr flexibel.
Hier setzt Accessible Yoga an, eine Graswurzel-Bewegung aus den USA, deren Unterstützer*innen sich am vergangenen Wochenende auf einer Konferenz im brandenburgischen Rheinsberg trafen. Anliegen von Accessible Yoga ist die Inklusion all jene*r, die bislang wenig oder keinen Zugang zu Yogaklassen finden: Menschen mit körperlichen oder psychischen Erkrankungen, Alte oder Dicke, Menschen in Rollstühlen und People of Color. Motto der Bewegung: „If you have a mind and a body, you can do yoga“(dt. Wenn du Geist und Körper hast, kannst du Yoga machen). Ist doch klar, könnte man meinen.
„Wir wollen nicht weniger als eine Revolution anzetteln, eine innere und eine äußere“, erklärt Gründer Jivana Heyman. Die innere sei es, die Philosophie des Yoga zu nutzen, um Glück und Gelassenheit im Leben zu finden. Ihr Grundgedanke ist radikal antikapitalistisch, im Zentrum steht die Vergänglichkeit aller Dinge, die Streben nach Geld oder Prestige geradezu lächerlich erscheinen lässt. Äußere Revolution heißt für Heyman, eine soziale Bewegung zu sein, die der Kommerzialisierung von Yoga Grenzen setzt und die Vorstellung wandelt, wer Yoga üben und unterrichten kann und wie ein Yogi aussieht.
Heyman selbst ist über den Tod zum Yoga kommen. Der Amerikaner hatte sein Coming-out inmitten der Aids-Epidemie der 80er Jahre. Er lebte in San Francisco und musste zusehen, wie seine Freund*innen um ihn herum reihenweise erkrankten und starben. Voller Wut ging er auf die Straße, kettete sich an Metro-Züge. Die Wut, erzählt er, brachte ihn nicht weiter, seine Freunde starben weiter. Er begann in einem Hospiz zu arbeiten und dort Yoga zu unterrichten. „Tod und Krankheit sind für mich schon mit Mitte 20 ganz normal gewesen“, erzählt der 51-Jährige.
Im Seehotel in Rheinsberg, einem barrierefreien Domizil, haben sich 100 Teilnehmer*innen und 18 Speaker*innen versammelt, um in Workshops und Vorträgen von ihrer Arbeit zu berichten, sich zu vernetzen und Yoga zu machen. Fast alle Teilnehmer*innen sind selbst Lehrer*innen, manche kommen in Rollstühlen, andere tragen weniger sichtbare Versehrtheiten mit sich. Aus ganz Europa und den USA sind die Teilnehmer*innen angereist, die Konferenz wird in drei Sprachen simultan übersetzt. Wie im Yoga üblich, sind deutlich mehr Frauen* als Männer* gekommen, viele haben das Alter von 50 Jahren überschritten. Statt knapp sitzenden Tops dominieren gemütliche Zwiebellagen und warme Socken.
Vorträge und Workshops gibt es zu den verschiedensten Themen, etwa zur Sichtbarkeit von People of Color im Yoga, zur Arbeit mit autistischen Kindern, zum Nutzen von Yoga für Menschen mit Psychosen oder der medialen Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen.
Yoga auf dem Stuhl
Noch vor dem Frühstück bittet Liz Oppedijk zum Chair Yoga: Get fit where you sit (dt. Werde fit, wo du sitzt) ist ihre Devise. Die quirlige Engländerin mit einem grauen Lockenschopf kam erst in ihren 50ern nach einer Verletzung zum Yoga. „Wir sehen immerzu junge und fitte Menschen Yoga machen. Aber gerade Ältere können immens von einem sanften Programm profitieren“, erklärt Oppedijk. Auf einem Stuhl zu sitzen und zu meditieren mag noch gut vorstellbar sein. Doch wie geht eigentlich ein Sonnengruß auf einem Konferenz- oder im Rollstuhl? Und wie bringt man seinen Körper von einer Position in die nächste, ohne dass der Allerwerteste von der Sitzfläche rutscht?
Yoga hat in seiner Sanskrit-Übersetzung viele Bedeutungen, aber eine der meist genutzten ist das Beruhigen des Geistes. Vom Ursprung gedacht hat die Technik wenig damit zu tun, seinen schlanken, leicht bekleideten Körper am Strand in Stellung zu bringen, eine Leggins mit sichtbarem Label in die Kamera zu halten, seinen Fuß hinter den Kopf zu klemmen und das Ganze auf Instagram zu posten.
Fast immer werden diese Bilder mit Botschaften konterkariert, die innere statt äußere Flexibilität propagieren und von dem irrenden Streben nach Perfektionismus erzählen, doch alles unter dem Label der Body Positivity. Die Bild-Text-Schere könnte nicht größer sein, denn von Lebenskrisen, inneren und äußeren Verletzungen ist lediglich zu lesen, während die Bilder in sozialen Medien Yogis zeigen, die mit ihren fortgeschrittenen Übungen auch im Cirque du Soleil auftreten könnten.
Wie lässt sich ein Hexenschuss auch ordentlich in Szene setzen? Wie mit Innenmeniskusriss posieren? Beides sind häufige Verletzungen im Yoga. Der Vortrag des Berliner Orthopäden Günter Niessen, der sich auf Yoga spezialisiert hat, handelt dann auch von Verletzungsprävention im Yoga.
Von einer anderen Form der Unsichtbarkeit kann Donna Noble erzählen: „Ich war oft die einzige Woman of Color in meinen Yogastunden – dabei war ich die Lehrerin“, erzählt die Londoner*in, die ein spezielles Programm für dicke Frauen entwickelt hat. Immer wieder seien Freund*innen zu ihr gekommen. „Sie wollten gerne Yoga machen, trauten sich aber nicht, weil sie sich zu dick, zu ungelenk, zu unsportlich fühlten oder nicht genügend Geld für die schicken Studios hatten.“
Zu dicke Schenkel für Yoga
Eine Teilnehmer*in von Nobles Workshop in Rheinsberg erzählt, dass sie nach ihrem gerade beendeten Teacher Training noch größere Probleme mit ihrem Körper habe. Von ihrer Lehrer*in sei sie wie eine Außenseiterin behandelt worden, nach dem Motto: Du und deine dicken Schenkel können diese Alternative versuchen, wenn’s anders nicht klappt.
Yogalehrerin Noble hört solche Geschichten ständig. Ihr Programm „Curvesomeyoga“ will darum einen geschützten Raum bieten, der die Grundidee des Yoga – also den Geist zur Ruhe bringen – ermöglichen soll, ohne dass die Kursteilnehmer*innen darum fürchten müssen, dass jemand anderes im Raum über die Ästhetik urteilt, während sie in der Yogaposition des abwärtsschauenden Hundes sind.
Die Body-Positivity-Bewegung sieht Noble zwiespältig. Für große Firmen und Marken der Yogaszene sei es leicht, sich eine Aktivist*in einzukaufen und habe maximalen Effekt, ohne dass sich die Firmenpolitik ändere. Aber natürlich erhöhen Partnerschaften die Repräsentation.
An vielen Geschichten auf der Konferenz wird deutlich, dass Inklusion nicht immer Ziel sein kann. Manche Gruppen brauchen geschützte Räume für sich, in denen sie ihre Körper spüren und kennenlernen und Freude an Bewegung empfinden können.
„Wir werden nie eine Massenbewegung sein“, sagt auch Gründer Jivana Heyman. Doch die Gruppe wächst, die Konferenz findet bereits im sechsten Jahr in Folge statt, nach Stationen in den USA und Kanada fand sie zum ersten Mal ihren Weg nach Europa und Deutschland. Seit einigen Jahren hat Accessible Yoga ein eigenes Teacher Training Programm, mehr als 20 Facebook-Gruppen in zehn Sprachen und weltweit Unterstützer*innen.
Dass Shannon Roche von der Yoga Alliance, dem Weltverband der Yoga-Lehrer*innen, nach Rheinsberg gekommen ist, zeigt, dass auch die Yogawelt langsam Interesse an Diversität entwickelt. Und wenn es nur ist, weil die Überrepräsentanz Hunderttausender hyperflexibler Yogis sterbensöde ist.
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