Konferenz gegen Clankriminalität: Politik der Nadelstiche
Bei einer Fachtagung diskutierten Sicherheitsexperten in Berlin über Strategien gegen kriminelle Mitglieder arabischstämmiger Clans.
Der Boss kam erst in der Mittagspause. Im Foyer, wo die anderen Tagungsteilnehmer ihre Kartoffelsuppe löffelten, ließ sich der Chef des Bundeskriminalamts Holger Münch von einem Mitarbeiter über den Verlauf des Vormittags informieren. Viel verpasst hatte der oberste Fahnder Deutschlands nicht.
Auf der Konferenz diskutierten Experten am Donnerstag im Hause von Innensenator Andreas Geisel (SPD) über Strategien gegen kriminelle Mitglieder von arabischstämmigen Clans. Mit dabei: ein Ermittler von Europol, Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik, der BKA-Chef und die LKA-Chefs von Berlin, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Im Panel „Lokale Perspektive“ diskutierte Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) mit dem Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra, zuständig für organisierte Kriminalität. Im Panel „Zivilgesellschaftliche Perspektiven“ diskutierten Wissenschaftler mit einem Reporter von Spiegel-TV. Mitarbeiter der Polizeien von Bund und Ländern und Politiker hörten zu. Fragen hatte kaum jemand, als das Mikrofon geöffnet wurde.
Im Fokus stehen in Berlin laut Oberstaatsanwalt Kamstra sieben bis acht Familienverbände mit einem libanesischen, palästinensischen beziehungsweise kurdisch-arabischen Hintergrund. Bundesweit sprach BKA-Chef Münch von 27 Großverfahren. Die Delikte: Rauschgift- und Menschenhandel, Einbruchs- und Gewaltkriminalität. Die Ermittlungen seien extrem aufwendig, weil sich die Verbände komplett abschotteten, hieß es. Dreistes Auftreten, Zeugeneinschüchterung, Paralleljustiz, luxuriöser Lebensstil, obwohl die Angehörigen offiziell über keine nennenswerten Einkünfte verfügten, so listete Kamstra die Symptome auf. „Wir fangen nicht bei null an“, sagte der Oberstaatsanwalt, aber: „Die Kriminellen fliegen mit der Concorde und wir folgen ihnen mit der Postkutsche.“ Dann präsentierte Kamstra seine Wunschliste: Videoaufzeichnung gleich bei der ersten Zeugenvernehmung steht darauf und die „Beweislastumkehr“, soll heißen, Verdächtige sollen die Herkunft ihres Vermögens belegen müssen. Das 2017 in Kraft getretene Gesetz zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung sei gut, gehe aber nicht weit genug.
In allen Panels gepriesen wurde die Politik der Nadelstiche. 238 Einsätze der Polizei, auch unter Einbeziehung von Ordnungs- und Finanzämtern, hat es 2019 gegeben. Kleinste Vergehen werden dabei geahndet. Der Neuköllner Bürgermeister Hikel freute sich darüber, dass die anderen Bezirke nun auch eine Koordinierungsstelle zur Bekämpfung der Clankriminalität einrichten.
So weit, so bekannt. Hervorzuheben wäre vielleicht der Beitrag des Islamwissenschaftlers Ralph Ghadban, der darauf verwies, dass es sich um ein hausgemachtes Problem handele. Den Familien sei Anfang der 80er Jahre die Integration verweigert worden. Daraufhin hätten sie die Vorteile der Familienstruktur für kriminelle Geschäfte entdeckt. Bei der Mafia könne jeder ein- und aussteigen. Bei den Clans gebe es diese Möglichkeit nicht. Das Hauptproblem für die Polizei sei „diese Geschlossenheit.“ Ghadban forderte Aussteigerprogramme vor allem für die Frauen, die ausschließlich innerhalb der Familien verheiratet würden. „Die Clans stehen und fallen mit den Frauen.“
Auf die Frage der taz, was er sich von der Konferenz erwarte, antwortete BKA-Chef Münch: „Es geht um Vernetzung.“ Sagte es und ging vor die Tür zum Rauchen. Wenig später steckte sich der Berliner LKA-Leiter Christian Steiof neben Münch eine Zigarette an. Das hätte man auch billiger haben können.
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