Kompromiss bei Online-Durchsuchung: Die Gedanken bleiben frei
Union und SPD streiten über die Onlinedurchsuchung. Zypries Ministerium: Auf der Festplatte abgelegte Mails dürfen nicht gelesen werden.
Im Streit über die heimliche Ausspähung privater Computer bietet das Justizministerium jetzt einen Kompromiss an: "Der Zugriff auf laufende Kommunikation, die mit Passwörtern und Verschlüsselung geschützt ist, ist mit uns sehr wohl vorstellbar", sagte Justizstaatssekretär Lutz Diwell (SPD) am Samstag bei einem Kolloquium des Deutschen Anwaltvereins in Hamburg. Abgelehnt würden aber der heimliche Zugriff auf "Gedanken, die noch nicht nach außen gelangt sind", und auf "geronnene Kommunikation", also abgelegte E-Mails, die nur auf der Festplatte gespeichert sind.
Zustimmen will das Justizministerium damit also der Überwachung von Internettelefongesprächen, die zum Beispiel via Skype geführt werden. Solche Gespräche sind nämlich verschlüsselt und laufen nicht über einen Provider. Nach Darstellung der Polizei können sie nur abgehört werden, indem direkt auf dem Computer von einem der Gesprächsteilnehmer eine Überwachungssoftware installiert wird. Nach Ansicht von Innenminister Schäuble (CDU) ist dies heute schon zulässig, nach Ansicht von Justizministerin Zypries (SPD) eher nicht; über eine gesetzliche Regelung wird verhandelt.
Erfasst wäre von Diwells Angebot auch die Überwachung von passwortgeschützter Kommunikation im gemeinsam genutzten Entwurfsordner eines E-Mail-Providers. Auf diese Weise haben zum Beispiel die Mitglieder der islamistischen Terrorgruppe um Fritz G. Informationen ausgetauscht.
Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes, zeigte sich bei der Hamburger Tagung mit Diwells Angebot nur teilweise zufrieden. Er will auch auf die Festplatte der Computer zugreifen. "Ich will wissen, welche Ziele eine terroristische Vereinigung ins Auge gefasst hat", sagte Ziercke, "nur wenn ich sehe, welche Informationen aus dem Internet heruntergeladen wurden, kann ich erkennen, wo die nächste Gefahr droht."
Ulrich Hebenstreit, Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH), hielt dem entgegen, dass die Polizei an solche Informationen ja durchaus herankommen könne. Computer dürften schon heute beschlagnahmt und ausgewertet werden. "Es muss eben offen passieren und nicht heimlich, das ist der gravierende Unterschied", betonte Hebenstreit, der im letzten November als erster Richter eine heimliche Computerausspähung nicht genehmigte und auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage hinwies. Ziercke legt aber gerade Wert auf den heimlichen Blick in den Computer: "Nur so kann ich den roten Faden bis in die Spitze einer Organisation finden, ohne die Überwachten vorzeitig zu warnen."
Justizstaatssekretär Diwell ließ offen, mit welchen Mitteln ein Computer so präpariert werden kann, dass nur die dort laufende Kommunikation ausgespäht wird. "Es gibt noch viele offene technische Fragen", sagte er in Hamburg, warnte jedoch davor, dass am Ende nur der "virtuelle Eierdieb" überwacht werde, während sich professionelle Täter vor dem Zugriff schützen könnten.
BKA-Chef Ziercke sieht diese Gefahr nicht. "Wir profitieren ständig davon, dass Verbrecher nicht perfekt sind", so Ziercke. "Zwar weiß jeder, dass Telefone abgehört werden können, trotzdem gewinnen wir bei der organisierten Kriminalität 60 bis 70 Prozent unserer Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung."
Mit einer baldigen Einigung in der Bundesregierung ist nicht zu rechnen, weil das Justizministerium das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Onlineüberwachungen in Nordrhein-Westfalen abwarten will. Es wird für Anfang 2008 erwartet.
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