Komponistin über Flucht als Opern-Thema: „Wir stumpfen langsam ab“
Die Komponistin Cat Hope zeigt ihre Oper „Speechless“ in Hamburg. Texte gibt es in dem Stück nicht, dafür aber Sänger*innen mit Fluchterfahrung.
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taz: Frau Hope, Sie stecken mitten in den Proben.
Cat Hope: Ja, stimmt, ich habe Ihren ersten Anruf fürs Interview auch verpasst, weil die Probe länger gedauert hat.
Worum geht es in „Speechless“ – und wie ist es dazu überhaupt gekommen?
Ich hatte die Idee vor fast zehn Jahren, 2014, als die Menschenrechtskommission in meiner Heimat Australien einen Report über asylsuchende Kinder in Einwanderungshaft veröffentlicht hat. Die Bedingungen der Haft waren besonders für die Kinder sehr schlecht. Es gab ein hohes Maß an Selbstverletzung. Das australische Parlament hat auf diesen Bericht allerdings kaum reagiert, was mich sehr frustriert hat. Die Oper ist meine Antwort auf den Umgang mit Geflüchteten und Asylsuchenden auf der ganzen Welt.
Sie nutzen Ihre Stimme als Künstlerin, um auf einen Missstand aufmerksam zumachen?
Das Werk ist ein künstlerischer Selbstausdruck, aber ich hoffe, damit dieses Thema in den Köpfen der Menschen am Leben zu erhalten. Man sieht so viele Berichte in den Nachrichten und stumpft langsam ab gegenüber all dem Leid. Ich hoffe, das Stück weckt vielleicht wieder ein bisschen Empathie.
Durch den Krieg in der Ukraine ist das Flüchtlingsthema jetzt auch bei der europäischen Erstaufführung sehr aktuell.
Absolut, und diese Oper passt sich an ihre Umgebung an und reagiert darauf, das ist eine ihrer Besonderheiten: Die Musiker sollen immer dort leben, wo geprobt und aufgeführt wird. Die meisten von ihnen haben einen Fluchthintergrund. Deshalb besteht unser Opernchor in Hamburg auch aus ukrainischen Sängern. In Australien hatten wir zum Beispiel einen iranischen Musiker dabei, der in seiner Heimat nicht mehr auftreten durfte.
Oper „Speechless“: Mi, 3. Mai, 20.30 Uhr, Hamburg, Hochschule für Musik und Theater, Forum;
Dass Musiker mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen mitwirken können: Liegt das auch an Ihrer besonderen Notationsweise?
Ja, denn ich schreibe so, dass die Partitur von jedem Musiker gelesen werden kann, nicht nur von denen mit westlichem Hintergrund. Ich schreibe keine Notenköpfe, sondern arbeite mit Formen und Farben. Es ist eine graphische Notation. Die Musiker lesen die Partitur auf miteinander verbundenen iPads. Es werden dabei auch weitere Möglichkeiten digitaler Medien genutzt: Die Partitur ist ständig in Bewegung und kontrolliert beispielsweise auch automatisch das eingespielte Video und das Licht der Aufführung. Ich nenne es „animierte Notation“. Das ist wirklich ein ganz neues System.
Die Notation ist nicht das einzig Ungewöhnliche: „Speechless“ ist auch eine Oper ohne Text. Wird also gar nicht gesungen?
Eine gute Frage. Es wird gesungen, es gibt allerdings tatsächlich kein Libretto. Die Sänger haben also keinen Text, sondern produzieren Töne und Geräusche. Der Name der Oper ist hier Programm.
In Australien wurde „Speechless“ 2020 als Werk des Jahres bei ausgezeichnet. Erwarten Sie ähnliche Reaktionen nun auch in Deutschland?
Das Flüchtlingsthema ist immer noch auf der ganzen Welt sehr aktuell und ich hoffe natürlich, dass die Reaktionen hier ähnlich ausfallen werden wie 2019 bei der Premiere in Australien. Wir wollen mit der Musik ein Bewusstsein schaffen und die Menschen zum Nachdenken, vor allem aber zum Handeln anregen. Das ist mein Ziel als Künstlerin.
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