: Komponierende Königinnen und Kirchenfrauen
■ Kleiner Streifzug durch die internationale weibliche Musikgeschichte. 10.000 musikschreibende Frauen wiederentdeckt, darunter auch Marie Antoinette
Mit der Idee, daß es weltweit kaum Komponistinnen gibt, wurde schon 1981 gründlich aufgeräumt: Die „International Encyclopedia of Women Composers“ erschien. Acht Jahre hatte der Autor, Aaron I. Cohen, recherchiert und ein Kompendium zusammengestellt, in dem die Biographien und Werkverzeichnisse von über 5.000 komponierenden Frauen aufgelistet sind. Heute sind bereits doppelt so viele Musikschreiberinnen aus Geschichte und Gegenwart namentlich bekannt.
Und was hatte der Pionierautor Aaron I. Cohen nicht alles gefunden, Superlative und Ungewöhnliches eingeschlossen. Beispielsweise die um das Jahr 720 verstorbene arabische Sängerin Jamila. Sie hat das wahrscheinlich erste tourende Orchester geleitet, das aus 50 Frauen bestand. Auch der erste elektronische Soundtrack für ein BBC-Fernsehspiel wurde von einer Frau, Daphne Blake Oram, geschrieben. Daß drei komponierende Königinnen enthauptet wurden, sollte auch nicht unerwähnt bleiben. Anne Boleyn (ca. 1597–1536) und Maria Stuart (1542–1587) wurden mit der Axt hingerichtet, Marie Antoinette (1755–1793) mit der Guillotine.
Da ging es der Schwester Friedrich des Großen, Anna Amalie Prinzessin von Preußen (1723–1787), doch etwas besser. Sie soll unglücklich und musikbesessen gewesen sein, galt als schrullig und war Äbtissin in Quedlinburg.
Kirchenväter verboten weibliche Klostermusik
Daß in Klöstern komponiert wurde, ist seit der Wiederentdeckung Hildegard von Bingens (1098–1179) kein Geheimnis mehr. Sie war Äbtissin des Benediktinerinnenklosters auf dem Rupertsberg. Als Komponistin setzte sie Zeichen, indem sie die damals herrschenden Regeln der Gregorianik ausweitete. Hildegard gestaltete das tägliche Gotteslob in ihrem Kloster mit ihrer eigenen Musik und einer eigenen Choreographie. An Festtagen trugen die Nonnen beim Psalmengesang offenes Haar und leuchtend weiße Schleier. Angriffe der Kirchenväter blieben nicht aus, Verbote jeglicher Musikausübung wurden nach fadenscheinigen Begründungen vom Mainzer Prälaten ausgesprochen. In einem wutentbrannten Brief antwortete Hildegard: „Ehe Ihr den Mund derer verschließt, die das Gotteslob singen, müßt Ihr darauf bedacht sein, Euch einzig von der Gerechtigkeit Gottes, nicht aber von Entrüstung oder von Rachsucht lenken zu lassen.“
„Den Mund derer verschließen, die das Gotteslob singen“ – welch strategisch klug gewählter Satz, an dem bis heute der Frage nachgegangen werden kann, warum komponierende Frauen kaum im kollektiven Kulturgedächtnis verankert sind.
In der Regel singen Frauen die Kompositionen der Männer. Als Diven sind etliche in die Musikgeschichte eingegangen. Und nicht ohne Ironie kann gesagt werden, daß sie im Grunde dabei das wiederholen, was ihnen komponierende Männer vorschreiben.
Die Komponistin braucht Verleger und Aufführung
Die Stimme der Frau wird als zu modellierendes Instrument unter kompositorische Kontrolle gebracht. Inwieweit da noch Spielraum für die Sängerinnen geblieben ist, den Vorgaben eine individuelle Note zu geben, sei dahingestellt. Der komponierende Mann und die singende Frau jedenfalls finden eine Entsprechung bei dem Aufklärer Rousseau, der in „Emile oder über die Erziehung“ schreibt: „...können die kleinen Mädchen auch so rasch und früh angenehm plaudern und Akzente in ihre Rede setzen, ehe sie deren Sinn ganz verstehen. Deshalb haben die Männer auch ihre Freude daran, ihnen so früh zuzuhören, selbst bevor die Mädchen die Gründe einsehen...“ Heute klingt das Zitat übertrieben, und doch hat es trotz vieler emanzipatorischer Bemühungen einen Kern Wahrheit behalten. Frauen sollen nicht reden, sondern plaudern. Frauen komponieren nicht, sondern sie singen das Vorgeschriebene nach.
Das Dilemma der Komponistin ist also: Sie will sprechen. Und sie braucht andere, die es für sie aus- und aufführen. In der europäischen Gesellschaftsgeschichte der letzten tausend Jahre jedoch gibt es selten eine Bereitschaft, das, was sprechende Frauen zu sagen hatten, zum Gebot zu machen. Hildegard von Bingen kannte offenbar bereits dieses Dilemma. Deshalb beruft sie sich darauf, daß sie das Lob Gottes spricht und unterschlägt dem Mainzer Prälaten dabei, daß sie es auf eine eigene und eigenwillige Art tut.
Forschungen zufolge setzen die Geschlechter nach wie vor in der Musik unterschiedliche Schwerpunkte. Frauen singen eher, Männer konzentrieren sich auf das Instrumentalspiel, Frauen führen auf und aus, Männer komponieren, leise Instrumente werden vermehrt von Frauen gespielt, und die Musikausübung findet eher im kleinen Rahmen statt. Komponistinnen brauchen neben den Verlegern eine weitere Ebene, um an die Öffentlichkeit zu gelangen, die Interpretation. Beides ist notwendig, damit die geschriebene Musik weitergetragen wird. Insbesondere über den Tod der Künstlerin hinaus. Denn da die meisten Komponistinnen auch Instrumente beherrschen, können sie zumindest zu Lebzeiten ihrem eigenen Werk noch eine Stimme verleihen. Robert Schumann etwa wäre kaum so bekannt geworden, hätte Clara Schumann nach dessen Tod nicht sein Werk als Pianistin in die Welt getragen. Als Komponistin, die sie doch auch war, hat sie in jeder Hinsicht dabei zurückgesteckt.
Bekannt ist: Männer haben ihre Seilschaften und Frauen haben sie nicht. Es ist die einfachste aller Erklärungen, trotzdem führt nichts an ihrem Wahrheitsgehalt vorbei. Mit dem Aufbruch der neuen Frauenbewegung begannen Frauen, sich auf vielen Ebenen zu organisieren. Auch in der Musik. Weil sich mit der Forderung nach mehr Repräsentanz von Frauen in der Kunst die Situation alleine nicht änderte, wurden Frauenfestivals in allen möglichen Musiksparten organisiert. Bis heute haftet ihnen der Makel des Geschlechts an.
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