Komplize einer Militardiktatur: VW und die Folterknechte
Volkswagen soll in Brasilien während der Militärdiktatur Arbeiter an die Polizei verraten haben. Mutterkonzern und Gewerkschafter bleiben fast stumm.
Öffentlich sind die Vorwürfe schon seit 2015. Ehemalige Beschäftigte des Werkes in der Nähe von Sao Paulo werfen der Konzerntochter VW do Brasil vor, „schwarze Listen“ mit Namen und Adressen von Mitarbeiter angelegt zu haben und Informationen an die Politische Polizei in Brasilien weiter gegeben zu haben.
In Brasilien übernahm 1964 das Militär nach einem Putsch die Macht und regierte bis 1985. Linke und kommunistische Oppositionelle wurden gerade in den ersten Jahren unterdrückt. Es soll staatliche Morde und Folter gegeben haben. Seit 2010 werden die Verbrechen von der sogenannten Brasilianischen Wahrheitskommission untersucht.
Ein unabhängiges Gutachten, dass Volkswagen selbst zur Prüfung der Ereignisse in seinem Werk in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Ergebnis, dass es tatsächlich „eine regelmäßige Zusammenarbeit“ zwischen dem sogenannten Werksschutz und der Politischen Polizei sowie der Militärpolizei gegeben hat.
„Ich habe Belege dafür gefunden, dass im Jahr 1972 sechs VW-Mitarbeiter verhaftet wurden“, sagt Christopher Kopper, Professor der Uni Bielefeld, der von VW mit dem Gutachten beauftragt wurde und als Experte für Unternehmensgeschichte gilt. VW habe etwa Flugblätter, die im Werk gefunden wurden, an die Polizei weitergegeben und Verhaftungen auf dem Werksgelände zugelassen. „Sie haben zumindest die Aufmerksamkeit auf die VW-Mitarbeiter gezogen“, sagt Kopper.
Einige der ehemaligen Mitarbeiter berichteten davon, dass sie nach ihrer Verhaftung gefoltert wurden. „VW hat die Folter nicht veranlasst“, sagt Kopper. Dennoch habe der Konzern auch nicht verhindert, dass die Mitarbeiter verfolgt wurden. „Sie hätten die Flugblätter nicht melden müssen.“
Der VW-Konzern äußert sich derzeit zu den inhaltlichen Vorwürfen nicht, bestreitet aber auch nicht, dass es die Kooperation mit der Militärdiktatur gegeben hat. Man wolle die Ergebnisse des Abschlussberichtes des Gutachtens abwarten, sagt Konzernsprecher Eric Felber. Dieser läge noch nicht vor. Man treibe aber „die Aufarbeitung der Rolle des Unternehmens mit der gebotenen Notwendigkeit, Konsequenz und Sorgfalt voran“, sagt Felber.
Das 125 Seiten starke Gutachten ist jedoch schon fertig und liegt VW seit Sonntag vor, sagt Gutachter Kopper, der für seine Recherchen nicht nur die VW-Archive durchforstet, sondern auch drei Wochen lang in Brasilien mit Betroffenen gesprochen und Originaldokumente gesichtet hat. Sein Problem: Nach dem Ende der Militärdiktatur sei ein erheblicher Teil der Akten der Politischen Polizei vernichtet worden.
Das Arbeiterforum für Wahrheit, Gerechtigkeit und Reparation in Brasilien hat bereits 2015 Klage gegen VW eingereicht und fordert eine Entschädigung. Allerdings habe es nach dem Ende der Militärdiktatur eine Amnestieregelung in Brasilien gegeben. „Das stellt beide Seiten von Strafverfolgung frei“, sagt der Historiker Kopper. Oppositionelle, die im Exil gelebt hatten, konnten zurückkehren, aber auch die Militärs wurden nicht für ihre Taten verurteilt. „Juristisch wird das nicht zu lösen sein“, sagt Kopper deshalb. Er glaubt aber: „Eine großzügige Geste ohne rechtliche Verpflichtungen würde in der Öffentlichkeit große Anerkennung finden.“
Zu möglichen Entschädigungen gibt es von VW noch keinen Kommentar. Man werde sich nach den Ergebnissen des Gutachtens „über adäquate Maßnahmen verständigen“, so VW−Sprecher Felber.
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